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Hochwasser in Nordrhein-Westfalen„Katastrophe ist gar kein Begriff“

Die Folgen des Hochwassers werden vor Ort sehr unterschiedlich gehändelt. Instabil ist die Lage an Talsperren in der Eifel.

Das Technische Hilfswerk (THW) und die Feuerwehr pumpen Wasser in der Steinbachtalsperre ab Foto: Markus Klümper/dpa

AACHEN taz | An diesem Wochenende ist Stück für Stück die Big Aufräume angelaufen in den Katastrophengebieten Westdeutschlands, wo mittlerweile fast 150 Tote zu beklagen sind (und dutzende weitere Menschen vermisst werden). Aufräumen jedenfalls da, wo die Lage stabil genug und übersichtlich ist und wo keine neuen Fluten zu erwarten sind.

Das betrifft eher die Gemeinden rund um Aachen und Düren, auch das schwer getroffene, teilverwüstete ostbelgische Eupen. Dort sind komplette Straßenzüge unbewohnbar und müssen abgerissen werden. Am Samstag durften Menschen vereinzelt und auf eigene Gefahr in ihre Exwohnungen, um Habseligkeiten zu retten. Zwischendurch gab es einen Sprengstofffund in einer gefluteten Fabrik nebenan, also wieder schnelle Evakuierung, diesmal nicht wegen Wasser.

In Pepinster nahe Lüttich ist an Aufräumen noch kaum zu denken. Hier müssen Menschen nach wie vor mit Booten aus ihren Häusern (bis in den 2. Stock geflutet) geholt werden und mit Hubschraubern von Dachfirsten gerettet, wo sie seit Donnerstag ausharren. Hochgefährlich bleibt die unübersichtliche und komplexe Lage in Erftstadt oder an der Ahr. Nach wie vor drohen unterspülte Häuser und Straßen einzubrechen. Noch sind Dörfer nur aus der Luft erreichbar, Stromnetze unterbrochen, Gasnetze zerstört (vermutlich noch viele Monate) und Handynetze offline. Belgien meldet bislang mindestens 24 Todesopfer.

In Städten wie Stolberg und Eschweiler östlich von Aachen, die in der Nacht auf Donnerstag weitgehend geflutet waren, sind die Aufräumarbeiten teils mit schwerem Gerät im Gange, aber es gibt vielfach noch keinen Strom. In Teilen von Eschweiler wird dringend vor unsauberem Trinkwasser gewarnt.

Nach den Überschwemmungen stehen in Stolberg Einrichtungsgegenstände auf der Straße Foto: Dagmar Meyer-Roeger/dpa

Aufgeräumt wurde dort mittlerweile auch mit der Mär aus sozialen Netzwerken, es seien marodierende Banden plündernd unterwegs gewesen. Nach Auskunft der Polizei waren fünf Personen vorläufig festgenommen worden: einer hatte im Vorbeigehen in einem Juweliergeschäft mit zerborstenen Scheiben etwas mitnehmen wollen, die anderen hatten Lebensmittel eines Supermarktes abgegriffen. Alle sind wieder auf freiem Fuß, die Staatsanwaltschaft ermittelt weiter. Der Stolberger Bürgermeister spricht jetzt schon von Milliardenschäden allein in seiner 50.000-Seelen-Gemeinde. Auch das Rathaus ist komplett hin.

Lage an Talsperren weiter instabil

Dramatisch bleiben die übervollen Talsperren in der Eifel. An der Steinbachtalsperre bei Euskirchen droht trotz sinkenden Wasserstands weiterhin ein Bersten des Staudamms. Die Lage sei unverändert „äußerst instabil“, große Teile des Bauwerks seien weggebrochen, so die Bezirksregierung Köln am Samstag. Es drohe akute Überflutungsgefahr. Landesvater Armin Laschet war derweil am Samstag in Erftstadt und versprach Hilfe, sogar „sehr unbürokratisch“.

Gezielt geöffnet wurde Freitagnacht die Rurtalsperre. Also fließen, kontrolliert zwar, zusätzliche Wassermassen in die sonst so idyllische Rur, die ohnehin schon mächtiger angeschwollen ist als ihre Namensvetterin mit h im Kohlenpott. AnwohnerInnen in Düren und Jülich wurden vorgewarnt, es könne schnelle Evakuierung drohen. Bislang verteilte sich das Wasser zum Glück bei leicht sinkenden Pegeln besser als befürchtet. Die Zweitflut blieb bislang aus.

Wohl aber gibt es aktuell 60 Kilometer nördlich neue Probleme, im Kreis Heinsberg. Bei Wassenberg war ein Schutzdamm der Rur gebrochen, 700 Menschen im Wallfahrtsdorf Ophoven mussten in der vergangenen Nacht eilig evakuiert werden. Und gleich gab es vom Wassenberger Bürgermeister Marcel Maurer (CDU) eine Schuldzuweisung Richtung Niederlande, wo bei Roermond die Schleusen geschlossen worden waren, damit die Rur nicht auch noch in die ohnehin weiter steigende Maas fließt. Die Folge: Rückstau. Kontakt nach Holland: keiner bislang, so Maurer. Aber der Bundestagsabgeordnete des Kreises, Wilfried Oellers (CDU) sagt vor Ort: „Katastrophe ist gar kein Begriff, das hier ausreichend zu beschreiben.“

Tagebau-Pumpen liefen trotz Flut weiter

Am Donnerstag hatte das Flüsschen Inde bei Lamersdorf, gleich neben dem Tagebau Inden, ihr Bett verlassen und sich in einem mächtigen Strom in das Braunkohleloch ergossen; ein 58-jähriger Raupenführer wird seitdem vermisst, mittlerweile ohne Hoffnung. RWE Power legte die Bagger still, nach eigenen Angaben bis mindestens Ende nächster Woche. Das hatte umgehend Folgen für das benachbarte, sehr alte und besonders dreckige Kraftwerk Weisweiler: Die Kohlevorräte gingen zur Neige. Die großen 600 Megawatt-Blöcke sind abgeschaltet, befeuert werden derzeit nur die kleinen 300er Blöcke. Inden ist einer der drei Tagebaue im rheinischen Revier; die beiden anderen, Hambach und Garzweiler, befeuern das Klima weiter. RWE nennt derweil einen Schaden im „mittleren zweistelligen Millionenbereich“.

Der Fluss Inde hatte am Donnerstag einen Deich überspült und war in den Tagebau geflossen Foto: Alexander Forstreuter/dpa

Eine andere Frage schließt sich an: Warum wurde zur Entlastung der Flutmassen eigentlich kein Wasser der Inde, vielleicht auch Erft oder Rur, absichtlich in die Braunkohle-Tagebaue geleitet? Mit Räumpanzern und anderen schweren Gerät wären doch Schneisen denkbar, den Inde-Zufluss hätte man ausbauen können. Mehr Auffangreservoir ist kaum denkbar für die zig Milliarden Kubikmeter Niederschlag der vergangenen Woche in der nördlichen Eifelregion. Stattdessen liefen tausende Tagebau-Pumpen weiter und machten etwa die Erft flussabwärts noch voller als sie ohnehin schon ist. Was könnte eine freiwillige Rettungsflutung für ein Imagegewinn für die Kohlegräber sein!

RWE ließ alle diesbezüglichen Fragen der taz bis Samstagabend unbeantwortet. Stattdessen erklärte der Vorstandsvorsitzende Markus Krebber: „Wir fühlen mit den Betroffenen.“ Deshalb habe man eine Million Euro für die Flutopfer gespendet. Das entspricht dem Umsatz mehrerer Stunden.

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17 Kommentare

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  • das wetterphänomen ist ...

    vergleichbar mit dem winter 78/79.

    nur war es damals schnee im norden.

  • Angesichts der Tatsache, dass Klimaforscher seit den 50er Jahren schon vor derartigen klimabedingten Wetterereignissen gewarnt haben, ist „Katastrophe“ bzw. „Naturkatastrophe“ hier sicherlich der völlig falsche Begriff.

  • Wieder mal schiebt der Mensch die Schuld auf die Natur, anstelle sich seine eigenen Fehler einzugestehen und zu Handeln.

    Zur Erinnerung: dass es durch den Klimawandel zu einer massiven Zunahme der Extremwetterereignisse kommen wird sagen die Wissenschaftler schon seit Jahren.

    Das andere Problem ist, dass in Deutschland wie auch sonst in Europa sehr viele Flüsse und Bäche nicht mehr ihren natürlichen Lauf haben, sondern massiv begradigt worden sind. Das Ergebnis sind unnatürliche Flußbetten, die das Wasser schneller transportieren als natürliche Flußbetten. Dazu kommt oft der Wegfall von Flußauen und Überflütungsflächen, häufig hat man in solch ehemalige Flächen Siedlungen und Industriegebiete gebaut. Und das seit dem Mittelalter.

    Dazu kommen noch in manchen Mittelgebirgen auf großer Fläche Fichtenmonokulturen, die einfach viel weniger Regen aufnehmen können als Mischwälder.

    Und fertig ist der von Menschen gemachte, große Beitrag zur Katastrophe.

    Das Problem ist: natürlich kann man sich gegen Hochwasser schützen. Nur das kostet Zeit, Geld und Flächen. Wenn man denn was unternehmen will, sind immer wieder sofort ein Haufen Bedenkenträger am Start, die die Umsetzung verhindern wollen und oft geschieht deswegen genau gar nichts. Bis zum nächsten Hochwasser dann eben...

  • hautsache dieser braunkohleministerpräsident laschet holt für rwe wieder entschädigung für die flutkatastrofenschäden raus

    • @prius:

      Na ja, wenn die Linkspartei nicht weiter bei der CO2 Steuer blockiert, dann kann die ja vielleicht noch wesentlich höher ausfallen.

  • Erst "Big Money", dann "Big Raushole" und jetzt "Big Aufräume"

    Die RAF lebt.

    taz.de/!453088/

  • Immerhin einer findet das Ganze recht lustig: twitter.com/susann...416394444778131456

    Während herr Steinmeier eine ernste Rede hält, lachen Kanzlerkandidat Laschet und seine Kumpanen sich krank im Hintergrund. Besser kann kan n manseine Verhöhnung der Opfer nicht ausdrücken.

    • @rugero:

      So ein Blödsinn !! Es ist Menschlicher wenn ein Politiker auch mal lacht und sich nicht nur Medienwirksam mit Krokodilstränen in den Augen ablichten lässt. Und wenn die Landesregierung in NRW jetzt gute Hilfe leistet darf Herr Laschet gerne jeden Tag lachen.

  • ....diese Situation habe ich schon mal 2001 miterleben müssen. Dort lebte ich im Einzugsbereich des Elbehochwassers. Alle sprachen von einem Jahrhunderthochwasser. Seitdem geschah immer wieder spektakuläres, nicht nur hier, sondern, bezogen auf Europa. Landunter ist angesagt. Es schmerzt mich, mit ansehen zu müssen, wie die CDU Landwirtschaftsministerin, auf fahrlässige Weise, dringende Veränderungen in der Landwirtschaft z.B. Düngemittel- Gülle- und Rundupverordnungen ausgebremst hat. Die Umverteilung, von Kleinbetrieb hin zum Großbetrieb, gar industriellen Agrarbetrieb, ging in den vergangenen Jahren ungebremst weiterging. 1 000 PS Traktoren rollen über unsere Felder, gedüngt wird mit Hubschrauberhilfe, weit und kein Strauch/Baum. Wir sind mindestens im Bereich der Landwirtschaft an dem Punkt angelangt, an dem jetzt eine Veränderung erfolgen müßte.

    • @Albrecht Richter:

      da freut sich der braunkohleministerpräsident laschet wahrscheinlich darüber dass er erfolgreich die baumbesetzer aus dem hambacher forst geprügelt hat

    • @Albrecht Richter:

      Verblüffend, das die Landwirtschaft an ALLEM was bei uns ( schlechtes ) passiert schuld ist.



      - natürlich macht es nicht aus das wir jeden Tag über 50 ha ( 500000 qm ) Fläche in Deutschland versiegeln,



      - natürlich ist es überraschend wenn in früheren Flutgebieten heute Häuser stehen, das diese jetzt betroffen sind,



      - natürlich sind die Landwirte schuld wenn schon gesättigte Böden nicht noch mehr Regen aufnehmen können, was übrigens auch passiert währe wenn die Landwirte mit Pferden geackert hätte,



      aber so haben wir wenigstens jemanden den man ans Kreuz nageln kann.

      • @Günter Witte:

        Nur hat Albrecht Richter der Landwirtschaft gar nicht die Schuld an "ALLEM" gegeben, sondern eine Reihe konkreter Punkte kritisiert und das mE auch zurecht. Nun könnte man sich als Landwirt mit den so kritisierten Punkte inhaltlich befassen und nötige Veränderungen einleiten oder man reagiert eben indem man genau das nicht tut, Kritik an der eigenen Zunft pauschal abbügelt und auf völlig andere Probleme wie die Flächenversiegelung verweist. Stadtplaner*innen und Bauwirtschaft zeigen dann in gleicher Manier auf den Verkehrssektor, dieser auf die Energiekonzerne, ... und am Ende ist niemand Schuld gewesen aber die Probleme sind immer noch ungelöst.

        • @Ingo Bernable:

          Eben. Albrecht Richter pickt sich "Schuldige" heraus, verschiebt so den Fokus weg von den eigentlichen Verursachern und schiebt gleichzeitig noch ein politisches Süppchen auf den Tisch. Er betreibt Wahlkampf. Ein Interesse an Zusammenhängen sehe ich nicht.

          • @Rudolf Fissner:

            Naja, Albrecht Richter spricht einen wichtigen Punkt an, der vielleicht nicht mit der Überflutungskatastrophe direkt zu tun hat, aber sein genannter Aspekt zeigt, dass politisch nicht umgesteuert wird.



            Gerade in wichtigen Zukunftsfragen blockieren konservative Parteien ein Umdenken. Die CDU/CSU ist auf allen Ebenen dabei. Ähnlich die FDP.

            Die SPD ist auch nicht besser und die Grünen sind dogmatisch und haben längst das Ziel aus den Augen verloren. Ihnen geht es nur noch um Klimaschutz, den sie mit grünem Wachstum betreiben wollen.

            Und was soll Ihr Einwand mit dem Wahlkampf? Sollen wir jetzt alle schweigen zu Themen wie Landwirtschaft, Klimaschutz, Ressourcen- und Flächenverbrauch, Biodiversität etc. bis der Wahlkampf vorrüber ist?

            Unsere Gesellschaft sollte endlich beginnen, aus den Fehlern zu lernen und eine große Tranformation umsetzen!

            • @Manzdi:

              "Sollen wir jetzt alle schweigen zu Themen wie Landwirtschaft, Klimaschutz, Ressourcen- und Flächenverbrauch, Biodiversität etc. bis der Wahlkampf vorrüber ist?"

              Was haben Sie an der Kritik nicht verstanden, dass "Klimaschutz, Ressourcen- und Flächenverbrauch, Biodiversität etc. " von Herr Richter gar nicht angesprochen wurden?

              Sie können nun angesichts der Überflutungskatastrophe auch anfangen ursächlich über Fleischkonsum und Vitamin B12 debattieren. Das wäre ebenso einseitig abseitig absurd.

              Und dass die Klimapolitik der Grünen dogmatisch sein soll und dort nichts anderes gesehen wird , soll das ein Witz sein? Auch dort wird noch viel zu wenig gefordert!

  • Und Armin lacht im Hintergrund ...

  • Wollt ihr mit der Überschrift etwa eine gedankliche Verbindung zwischen RWE und RAF konstruieren oder ist das eine Big Zuweithergehole?