Hitzewellen in Südasien: Hitze verschärft Krisen
In Indien bleiben die Temperaturen auf Rekordniveau. Die Politik setzt auf grüne Technologien, die Menschen retten sich mit Galgenhumor über den Tag.
Südasien erlebt seit Tagen eine frühzeitige Hitzewelle an Land und Tiefdruckgebiete über dem Meer, wovon Indien mit am stärksten betroffen ist. In diesem Jahr stiegen die Temperaturen bereits im März deutlich an, so stark wie noch nie seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in Indien im Jahr 1900. Im April zog sich der besorgniserregende Hitzetrend weiter und nähert sich teilweise der 50-Grad-Marke.
In Teilen Nordindiens gab es zuletzt zwar einige Niederschläge. Doch die Ebenen des Landes haben ihren Jahreshöhepunkt möglicherweise noch nicht erreicht, denn der Sommer steht noch bevor und der abkühlende Monsunregen wird erst nächsten Monat erwartet. Hitzewellen sind für Indien nicht neu, doch sie beginnen sonst erst im Mai und Juni. Hitzewarnungen wurden aber bereits Mitte März veröffentlicht, mit Höchsttemperaturen von bis zu 40 Grad.
„Der Körper kann sich an große Wärme anpassen“, erklärt Pratit Samdani, Facharzt für Innere Medizin vom Breach Candy Krankenhaus in Mumbai. „Schwitzen ist ein Schutzmechanismus.“ Doch zu hohe Temperaturen wirken sich negativ auf den Hypothalamus aus, das Temperaturkontrollsystem unseres Körpers. Sie können das Denkvermögen beeinträchtigen und kosten den Menschen mehr Energie: Schweißdrüsen werden aktiviert, der Blutdruck reguliert und die Blutzufuhr in verschiedenen Organen geregelt.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Kopfschmerzen, Müdigkeit, Erschöpfung und Krämpfe
Jährlich kommt es zwischen März und Juni zu Hitzetoten. Seit 2016 gibt das Wetteramt Hitzewellenwarnungen heraus. Nach offiziellen Schätzungen starben von 1992 bis 2015 über 24.000 Menschen infolge des Extremwetterereignisses. „Die unmittelbaren Auswirkungen von extremer Hitze sind Kopfschmerzen, Müdigkeit, Erschöpfung und Krämpfe“, so Pratit Samdani.
Auf längere Zeit können hohe Temperaturen Schlaf- wie psychische Störungen, Hautprobleme oder einen Hitzschlag auslösen, der tödlich enden kann. „Vor allem die schnell steigenden Temperaturen sind ein Problem“, ergänzt er. Besonders gefährdet sind Personen, die viel draußen sind, Vorerkrankungen haben und jene, die es nicht gewohnt sind, in der prallen Sonne zu sein.
Bisher hat die westindische Metropole Mumbai in diesem Jahr weniger heiße Tage als die Hauptstadt Delhi im Norden oder Gebiete in Zentralindien mit teils 45 Grad erlebt. In Küstenregionen wie Mumbai ist dafür die Luftfeuchtigkeit hoch. Die gefühlte Temperatur liegt hier mehrere Grad höher. „In Mumbai schwitzt man viel, daher ist es wahrscheinlicher, unter einer Dehydrierung zu leiden“, so Samdani.
In Zentral- und Nordindien ist die Luft dagegen trocken. Diese Gebiete sind aktuell hitzewellengefährdeter. Von einer Hitzewelle ist die Rede, wenn die Temperatur auf über 40 Grad steigt. Das führt zu einer erhöhten Zahl an Krankenhausaufenthalten, überlasteten Gesundheitsdiensten und vermehrten Todesfällen.
Der Klimaforscher Fahad Saeed von der Nichtregierungsorganisation Climate Analytics sieht einen Zusammenhang zwischen der aktuellen Hitzewelle in Südasien und dem Klimawandel. Laut dem jüngsten Bericht des Weltklimarats (IPCC) führe dieser dazu, dass die derzeitigen hitzewellenartigen Ereignisse noch heißer und häufiger werden.
„Jeder Temperaturanstieg über 1,5 Grad hinaus wird für viele Menschen in Südasien den Untergang bedeuten“, warnt Saeed. Und weiter: Es sei dringend notwendig, die Nutzung fossiler Emissionen sowohl auf globaler als auch auf regionaler Ebene einzuschränken. Ländern wie Indien und Pakistan, die mehrheitlich mit Kohlestrom versorgt werden, dürfte das zwar schwerfallen. Dennoch sei es höchste Zeit, dass die südasiatischen Länder ihre Energiesysteme von fossilen Brennstoffen abkoppelten, meint Saeed.
Erhöhter Stromverbrauch bei geringeren Kohleimporten
Versorgungsprobleme gibt es bereits. Indischen Kraftwerken fehlt der Kohlenachschub, seit Kriegsausbruch kommt es zu Importengpässen. Gleichzeitig steigt der Stromverbrauch für Klimaanlagen, Kühlmaschinen und Ventilatoren. Landesweit kommt es immer wieder zu Stromausfällen, manche Bundesstaaten rationieren den Strom für Fabriken, um der Bevölkerung entgegenzukommen.
Unterdessen kündigte der indische Premierminister Narendra Modi von der hindunationalistischen Volkspartei (BJP) an, mit Deutschland und Dänemark die grüne strategische Partnerschaft auszubauen. Darunter fällt die Zusammenarbeit im Bereich Sonnen- und Windenergie sowie bei grünem Wasserstoff.
Der Politiker Milind Deora aus Mumbai von der säkularen Kongress-Partei (INC) regte zudem am Rande eines Besuchs des indischen Premiers in Europa an, neben der indisch-nordischen Zusammenarbeit in der Arktis auch die Erforschung des Klimawandels auf den Gletschern des Himalajas zu verstärken. Also dort, wo die Erwärmung wesentlich stärker ist als im weltweiten Durchschnitt.
Doch nicht nur Indien ist von der Problematik betroffen. Auch im benachbarten Pakistan ist die Lage wegen der Hitze angespannt. Obwohl das dortige Ministerium für Klimawandel seine Besorgnis zum Ausdruck brachte, wurden laut der pakistanischen Tageszeitung Dawn keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen. Ähnlich wie in Nordindien sind auch in Pakistan die Niederschläge in diesem Jahr stark zurückgegangen. So trocknen die Gewässer und Flüsse schneller aus, gleichzeitig steigt der Wasserverbrauch. Das dürfte die Situation weiter verschärfen.
Trotz all der katastrophalen Vorwarnungen versuchen die Menschen, Humor zu bewahren: In einem Video, das im Internet viral ging, backt eine Frau ihr Fladenbrot angeblich auf einer Motorhaube statt auf einem Gasherd. In Mumbai bringt ein Schild der St.-Michaels-Kirche die Menschen zum Lachen. Darauf steht: „Ich muss mein Leben in den Griff bekommen. Diese verdammte Hitze hat mir klargemacht, dass ich nicht in die Hölle gehen kann.“
Vielleicht kann das von der Sorge ablenken, dass so manche Gegenden durch klimatische Veränderungen in naher Zukunft wohl nicht mehr bewohnbar sein werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin