Historiker über den Klimawandel: „Aus der Vergangenheit lernen“
Der Blick zurück kann beim Klimawandel helfen, glaubt Historiker Peter Frankopan. Ein Gespräch über Klimaveränderungen der Geschichte und deren Folgen.
wochentaz: Herr Frankopan, Ihr aktuelles Buch „Zwischen Erde und Himmel“ widmet sich der Menschheits- und vor allem der Klimageschichte. Letztere reicht weit zurück, in eine Zeit, wo es noch keine Menschen auf der Erde gab. Wozu braucht es den Blick in die Vergangenheit, um klimatische Veränderungen besser zu verstehen, die jetzt stattfinden?
Peter Frankopan: Mein Beitrag als Historiker besteht darin, herauszufinden, wie sich Dinge in der Vergangenheit zugetragen haben. Und darauf zu schauen, was wir daraus lernen können. Gerade bei komplexen Problemen wie dem Klimawandel hilft der Blick zurück, um den Kontext für erweiterte Perspektiven zu schaffen. Ich wollte zudem verstehen, wie wir an diesen Punkt gelangen konnten, an dem Experten nun davon sprechen, dass wir uns inmitten des sechsten Massenaussterbens befinden.
geb. 1971, Professor für Globalgeschichte an der Universität Oxford in England. Arbeitsschwerpunkte: Byzantinisches Reich, Mittelmeerraum, Osteuropa, Islam und Christentum. Vorherige Bücher u. a.: „Licht aus dem Osten“ (2015), „Die neuen Seidenstraßen“ (2018).
Und dafür ist der Rückblick tatsächlich der richtige Weg?
Ich finde schon. Wir brauchen aber einen umfassenderen Weg, um Geschichte zu denken. Einen anderen als etwa zu meiner Schulzeit. Wenn ich mich zurück erinnere, setzte da der Geschichtsunterricht bei den alten Ägyptern ein und zog sich von dort an bis zur jüngeren Vergangenheit. Meist ging es um einflussreiche Männer und deren Taten. Das hat sich heute sicherlich etwas gebessert. Trotzdem denken wir bei Geschichte häufig ausschließlich an die der Menschen. Kurz gesagt: Wir sind uns zwar unserer Umwelt bewusst, schenken ihr aber historisch gesehen zu wenig Aufmerksamkeit. Da habe ich versucht, mit meinem Buch anzusetzen. Dementsprechend schaue ich auch darauf, wie die Welt vor 10, 20, 30 oder 50 Millionen Jahren ausgesehen hat.
Und das hilft uns dabei, Antworten darauf zu finden, wie wir mit dem Klimawandel umgehen können?
Es gibt zumindest eine ganze Reihe von Lektionen, die man aus der Geschichte ziehen kann. Man muss sie aber aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven betrachten, andere Schwerpunkte setzen.
Wie meinen Sie das?
Uns kommt der Klimawandel jetzt im 21. Jahrhundert sehr akut vor, zu Recht. Gesprochen und geschrieben wird darüber aber schon lange. Anstatt also zu denken, dass wir alle ökologischen Probleme aktuell zum ersten Mal lösen müssten, schauen wir doch vielleicht einmal besser zurück in die Vergangenheit.
Und, was sehen wir da?
Jüngste Klimadaten gewähren beispielsweise Erkenntnisse zu einer sehr unruhigen Zeit im Römischen Reich um die Mitte des dritten Jahrhunderts nach unserer Zeitrechnung. Einige Experten versuchen hier Verbindungen zwischen einem reduzierten Niveau der Sonnenaktivität, der Ausdehnung des Meereises und mehreren größeren Vulkanausbrüchen zu ziehen. All diese Faktoren wiederum sollen zu einer schnellen Abkühlung des Klimas, zu Störungen der Nahrungsmittelproduktion und zu einer Reihe politischer wie ökonomischer Krisen geführt haben.
An mehreren Stellen in Ihrem Buch stellen Sie auch einen Zusammenhang zwischen klimatischen Veränderungen und der Verfolgung von Juden und Jüdinnen her. Was hat es damit auf sich?
Peter Frankopan: „Zwischen Erde und Himmel. Klima – eine Menschheitsgeschichte“. Aus dem Englischen von Henning Thies und Jürgen Neubauer. Rowohlt Verlag, Hamburg 2023, 1.024 Seiten, 44 Euro
In Zeiten von Nahrungsmittelknappheit und hohen Preisen werden leider immer wieder Sündenböcke gesucht. Das können wir aktuell auch wieder beobachten. Historisch lässt sich da ein Muster erkennen. Es zeigt etwa, dass, wenn die Vegetationsperiode im vorangegangenen Fünfjahreszeitraum ungewöhnlich kühl ausfiel, die Wahrscheinlichkeit gewalttätiger antisemitischer Übergriffe deutlich anstieg.
Kann man dies so eindeutig feststellen?
Es gibt inzwischen zahlreiche Daten aus europäischen Ländern und Städten, die diesen Zusammenhang ab den 1090er Jahren dokumentieren. In anderen Teilen der Welt war das nicht anders. Dort traf es dann jeweils andere Minderheiten. 1321 in Ägypten waren es Christen, die man zu Sündenböcken machte. Zusammenfassen könnte man es so: Je schlechter die Witterung, umso mehr wurden Minderheiten Ziel von Angriffen.
Auf den knapp 1.000 Seiten Ihres Buches kommen Sie auch auf den transatlantischen Sklavenhandel zu sprechen. Warum?
Die Frage, die sich im Zusammenhang mit dem transatlantischen Sklavenhandel stellt, ist, warum die Europäer, also die Spanier, die Portugiesen und dann die Briten, die Holländer und die Franzosen ihre Plantagenkomplexe nicht einfach in Westafrika gebaut haben. Die Böden dort sind sehr fruchtbar. Warum also dieser massive Aufwand, Menschen in die Vereinigten Staaten zu verschiffen?
Das wäre jetzt eigentlich meine Frage gewesen …
Und ich beantworte sie: Zunächst einmal gelang es den Europäern lange nicht, in westafrikanische Länder vorzudringen. Der dort geleistete Widerstand hinderte sie daran. Einige Historiker gehen zudem davon aus, dass die Europäer auch nicht resistent genug waren. Reihenweise erlagen sie der Malaria oder dem Gelbfieber. Und viele dieser Krankheitserreger gab es in den Amerikas vor der Kolonisierung zum Beispiel noch gar nicht.
Die Malaria breitete sich also erst mit dem Sklavenhandel in Amerika aus?
Genau. Wobei auch bereits erste spanische und portugiesische Kolonisatoren und Siedler die Erreger nach Süd- und Mittelamerika gebracht haben könnten. Die Malaria-Krankheit war ja schon zur Zeit der Conquista auf der Iberischen Halbinsel verbreitet. Im Süden der späteren Vereinigten Staaten kam es laut der aktuellen Forschung dann ab den 1680er Jahren zu einer Ausbreitung.
Das kostete viele Siedler ihr Leben, auch die First Nations waren stark betroffen. Der Sklavenhandel wurde damals weiter massiv ausgebaut, schreiben Sie.
Sie wollen auf die sogenannte Malariaprämie hinaus, nehme ich an?
Exakt.
Mit den an Malaria dahinsiechenden Einwohnern in den Südstaaten wuchs die Nachfrage nach Zwangsarbeitern. Beliebt waren deshalb Menschen aus besonders malariaverseuchten Gebieten Afrikas, etwa aus den Ländern an der Goldküste. Sie galten als besonders robust, auch aufgrund einer genetischen Malaria-Immunität, und konnten dementsprechend zu höheren Preisen verkauft werden. Anders also als von Sklavenhändlern und -haltern häufig kolportiert, waren die Versklavten nicht nur in keiner Weise „minderwertig“. Sondern im Gegenteil im biologischen Sinne physisch stärker und genetisch besser vorbereitet auf das Leben in der vermeintlich Neuen Welt.
Ihre Klimageschichte beginnen Sie mit einem religiösen Narrativ, dem Garten Eden. Warum dies?
Religiöse Texte gehören zu den frühesten überlieferten Schriften. Wenn wir an Christen- und Judentum oder an den Islam denken, tun wir gern so, als ob es sich um eine Art übernatürliches Glaubenssystem handele. Und neigen dazu, dies zu diskreditieren. In vielen Teilen der Welt sieht man das anders. Auch moderne Umweltbewegungen wie Fridays for Future könnte man Ähnlichkeiten mit religiösen Bewegungen nachsagen.
Mit Greta Thunberg als Jesus?
Oder als Hohepriesterin (lacht). In gewisser Weise führt sie eine Gruppe von Menschen an, die funktionieren, aussehen und sich verhalten, wie man sich Religiöse vorstellt. Was ich damit sagen möchte? Wir neigen dazu, den überlieferten Religionen einfach die rationale Grundlage abzusprechen. Dabei versuchten auch religiöse Geschichtsschreiber schon früh, wissenschaftliche Erklärungen für das zu finden, was buchstäblich vom Himmel kam: Sonne und Regen. Oder für Erdbeben und Naturkatastrophen.
Wie etwa für die Sintflut im Alten Testament?
Die Geschichte über die Sintflut gehört zu den Schlüsseltexten im Buch Genesis. Sie wird aber auch in sumerischen, mesopotamischen und ägyptischen Chroniken beschrieben. Sie zeigt anschaulich, wie versucht wurde, Erklärungen für Naturkatastrophen zu finden, um darauf zu reagieren. So belohnen die Götter diejenigen Menschen, die ein nachhaltiges Leben führen, während sie die anderen mit Umweltkatastrophen bestrafen. Die Menschen damals waren nicht unwissend. Sie versuchten sich die Welt auf die für sie mögliche Weise zu erklären. Was sie herausgefunden haben, davon können wir noch heute lernen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag