Hetzjagd auf Juden: Nach Amsterdam ist vor noch mehr Hass
Es ist auch offener Judenhass, der sich am Rande eines Fußballspiels mitten in Europa entlädt, und dem viele danach mit einer Relativierung begegnen.
S chauen wir auf den Spielplan des internationalen Fußballs. Am heutigen Donnerstag, 14. November, spielt Israel in Paris gegen Frankreich in der Uefa Nations League. Ein „Hochsicherheitsspiel“, heißt es. Israels Regierung rät seinen Bürgern dringend von der Anreise ab. Am 28. November wird im Rahmen der Europa League Maccabi Tel Aviv gegen Beşiktaş Istanbul antreten, und zwar ohne Zuschauer im ungarischen Debrecen. Das geht auf eine türkische und ungarische Initiative zurück.
Dem europäischen Fußballverband Uefa hingegen genügt es völlig, sich allgemein gegen Gewalt auszusprechen. Die Hatz, der vergangene Woche in Amsterdam israelische Fußballfans ausgesetzt waren, ist für die Uefa kein Thema. Das ist bemerkenswert, schließlich gehört der Kampf gegen Rassismus angeblich zu ihrer Agenda, und tatsächlich sanktioniert die Uefa rassistische Gesänge, homophobe Transparente oder diffamierende Gesten.
Doch schon vor einer Woche, als bei einer Champions-League-Partie von Paris St-Germain ein riesiges „Free Palestine“-Transparent entrollt wurde, das auch einen martialischen Krieger mit Kufiya heroisiert, tat die Uefa nichts. Ob das damit zusammenhängt, dass PSG dem Staatsfonds Qatar Sports Investment gehört, wie die israelische Zeitung Ha’aretz vermutet, sei dahingestellt.
Dass die Uefa nun genötigt wurde, wenigstens ein bisschen zu handeln, liegt am Krieg, den Israel aktuell in Gaza und im Libanon führt, und im engeren Sinne sind es die Amsterdamer Ausschreitungen, die etliche Augenzeugen als Pogrom beschreiben.
Relativierende Einwände
Zu Amsterdam ist gegenwärtig viel von „Falschmeldungen“ die Rede: Es seien viele israelische Fans nicht als Opfer, sondern als Täter zu betrachten. Die „Vorgeschichte“ seien „gewaltsame Übergriffe von Anhängern des Fußballclubs Maccabi Tel-Aviv“, schreibt die Frankfurter Allgemeine. Und die Zeitung nd glaubt, von Antisemitismus könne man nicht sprechen, denn die Opfer seien „als Israelis und nicht wegen ihres Glaubens verfolgt worden“. Ein oft verbreitetes Video zeige nicht, wie anfänglich berichtet, Gewalt gegen Maccabi-Anhänger, sondern israelische Fans, die selbst angreifen.
Tatsächlich gab es mehr hässliche Szenen, als zunächst bekannt war. Maccabi-Fans waren mit rassistischen Gesängen durch Amsterdamer Straßen gezogen, eine Palästinafahne wurde verbrannt. Die Einschätzung jedoch, dass marodierende Fangruppen, die möglichst derb provozieren wollen, im internationalen Fußball leider nicht ungewöhnlich sind, wird von vielen Beobachtern in diesem konkreten Fall nicht akzeptiert. Deren Auftritt wird vielmehr in Relation gesetzt zu den folgenden antisemitischen Jagdszenen. Es ist die Erzählung von der „Gewalt auf beiden Seiten“, die gleichermaßen zu verurteilen sei.
Aber trotz der um sich greifenden Rede von „Falschmeldungen“ ist an der Tatsache, dass sich in der Nacht auf Freitag in Amsterdam ein kaum vorstellbarer Judenhass breit machte, nicht zu rütteln. In einer gründlichen Rekonstruktion des Geschehens berichtet die Wochenzeitung Jüdische Allgemeine von Fällen, wie sich Israelis in Häuser flüchten mussten, von Personen- und Passkontrollen, die sich als Pro-Palästina-Aktivisten verstehende Menschen durchführten und dabei abfragten, wer Jude sei. Der britische Guardian, der die Nacht ebenfalls rekonstruierte, berichtet von stundenlangen Hetzjagden mit Motorrollern und E-Bikes.
Sortieren wir die vielen Befunde. Es ist nicht nur der jüngste Nahostkrieg, der sich auf den Fußball auswirkt. Es ist auch ein offener Judenhass, der sich mitten in Europa entlädt, und dem Sportverbände und viele Medien mit einer Relativierung begegnen, die nicht selten den Sound in sich trägt, es seien doch die Juden, die angefangen hätten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!