Hessische Ausländerbehörden: Arbeit faktisch eingestellt
Ausländerbehörden können seit März keine Sicherheitsprüfungen mehr durchführen – und so keine Aufenthaltstitel erteilen. Eine Recherche von FragDenStaat und taz.
Das geht aus einem Schriftverkehr aus dem hessischen Innenministerium hervor, der der Online-Plattform FragDenStaat und der taz exklusiv vorliegt. Auf Anfrage der taz räumte das hessische Innenministerium ein, dass neben Hessen auch Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Hamburg betroffen seien.
Wenn bei einer Ausländerbehörde ein Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels oder eine Duldung gestellt wird, muss die Ausländerbehörde Daten zum Antragsteller an verschiedene Sicherheitsbehörden wie das Bundesamt für Verfassungsschutz, das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei oder den Bundesnachrichtendienst übermitteln. Diese überprüfen dann, ob gegen den Antragsteller sicherheitsrelevante Bedenken bestehen. Wird ein Aufenthaltstitel erteilt oder verlängert, müssen die Ausländerbehörden den Sicherheitsbehörden zudem mitteilen, wie lange dieser gültig ist.
Doch genau dieser entscheidende Prozess kann laut dem Schriftverkehr, den FragDenStaat nun veröffentlicht, seit dem 12. März hessenweit nicht mehr durchgeführt werden. Die Probleme bei der Schnittstelle seien auf deren Modernisierung zurückzuführen, heißt es demnach. Seitdem seien beispielsweise alle Entscheidungen über unbefristete Aufenthaltstitel, etwa Niederlassungserlaubnisse, zwischen dem 12. und 18. März verloren gegangen. Eine Liste dieser verlorenen Daten habe das Ministerium nicht, diese Entscheidungen müssten erneut übersendet werden. Um weiteren Datenverlust zu vermeiden, sei die Schnittstelle deshalb außer Betrieb genommen worden. Laut hessischem Innenministerium musste „eine bisher nicht verifizierte Anzahl von Sicherheitsabfragen“ für das gesamte Land Hessen erneut gestellt werden.
Das hessische Innenministerium erinnerte in der vergangenen Woche alle Ausländerbehörden in Hessen noch einmal daran, vor Ausgang der Sicherheitsabfrage keine Aufenthaltstitel zu erteilen. Dass keine Sicherheitsbedenken vorliegen, sei eine der Voraussetzungen für die Erteilung.
„Die Folgen sind erheblich“
Laut einer Mail aus dem Mai ist das Bundesverwaltungsamt dafür zuständig, die Schnittstelle bald wieder zu aktivieren. Auf eine Anfrage der taz antwortet das Amt jedoch bis zum Redaktionsschluss weder, bis wann das Problem behoben sein wird, noch welche konkreten IT-Probleme vorliegen.
Das hessische Innenministerium berichtet der taz, dass „eine kurzfristige Öffnung der Schnittstelle durch technische Sicherungsmaßnahmen in dieser Woche erörtert“ werde. Danach würden aufgelaufene Fälle Schritt für Schritt übermittelt und geklärt. Die Öffnung der Schnittstelle erfolge am heutigen Dienstag, so eine Sprecherin auf Anfrage. Die technischen Experten aus Hessen, Nordrhein-Westfalen und vom Bundesverwaltungsamt entwickelten mit den Dienstleistern einen technischen Workaround, um eine „zeitnahe, vorübergehende“ Lösung zu schaffen.
Die anhaltende Störung belastet offenbar auch die Ausländerbehörden sowie auch die Antragsteller*innen. Ein Mitarbeiter einer Ausländerbehörde berichtet der taz, dass die Schnittstelle weiterhin nicht funktioniere. Die Ausländerbehörden ganz Hessens seien „überfordert und stark belastet“, so der Mitarbeiter.
Dies habe auch Folgen für die Antragsteller*innen: Für mehrere Tausend Menschen verzögere sich etwa der Studienbeginn, der Arbeitsantritt oder die Familienzusammenführung. „Das belastet auch die Menschen stark“, so der Mitarbeiter. Die Behörde könne den Antragsteller*innen kaum erfreuliche Nachrichten geben, da die Wartezeit ohnehin schon „mehrere Monate bis zu einem Jahr“ betrage.
Stetig steigende Beschwerden
Auch im Schriftverkehr äußern Mitarbeiter*innen der hessischen Ausländerbehörden gegenüber dem Innenministerium Kritik: Ein Mitarbeiter einer Ausländerbehörde schreibt beispielsweise, dass der Umgang mit der Schnittstelle „einen zwischenzeitlich nicht mehr darstellbaren Kommunikations- und Koordinationsaufwand“ verursache. Die Ausländerbehörde sei nicht mehr in der Lage, „ihre gesetzliche Aufgabe wahrzunehmen“. Man bitte daher um Übergangslösungen, um trotzdem handlungsfähig zu bleiben.
Auch die Marburger Ausländerbehörde fordert „eine zügige Lösung“. Seit März sei es nicht möglich, bestimmte aufenthaltsrechtliche Anträge abschließend zu bearbeiten. Die Folgen seien erheblich: Antragsteller*innen warteten seit Wochen auf eine Entscheidung über ihren Aufenthaltstitel. Die Zahl der Beschwerden und Nachfragen nehme stetig zu und führe zu einer erheblichen Zusatzbelastung des Personals. Um Betroffenen dennoch eine rechtlich abgesicherte Aufenthaltsgrundlage zu bieten, stelle die Behörde „vermehrt Fiktionsbescheinigungen“ aus – vorläufige Aufenthaltstitel.
„Während das BVA selbst von den Auswirkungen kaum direkt betroffen ist, tragen die Ausländerbehörden vor Ort und insbesondere die ausländischen Antragstellerinnen und Antragsteller die Hauptlast dieser Situation“, so ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde.
Probleme seit langem bekannt
Das Bundesinnenministerium (BMI) äußerte sich auf Anfrage nicht dazu, ob unterlassene Sicherheitsmaßnahmen zu einer potenziellen Gefährdungslage führen könnten.
Das hessische Innenministerium stuft die Gefahr auf Anfrage „als gering“ ein. Polizei und Justiz haben Mitteilungspflichten an die Ausländerbehörden, „sodass in jedem Einzelfall Mitteilungen über Strafermittlungen und Ausgang eines Verfahrens an die Ausländerbehörden zu übermitteln sind“.
Keine Angaben kann das Ministerium dazu machen, wie viele Anträge derzeit hessenweit nicht bearbeitet werden können.
Probleme bei den hessischen Ausländerbehörden sind seit langem bekannt. So reichte die Commerzbank beispielsweise Ende 2022 eine Dienstaufsichtsbeschwerde wegen Untätigkeit gegen die Frankfurter Ausländerbehörde ein, nachdem ein Mitarbeiter freigestellt werden musste. Dieser hatte acht Monate lang vergeblich auf die Verlängerung seines Aufenthaltstitels gewartet.
Das zentrale Problem ist die unzureichende personelle Ausstattung bei gleichzeitig hoher Zahl an Antragsteller*innen: Im vergangenen Jahr meldete die Frankfurter Ausländerbehörde über 14.000 unbearbeitete Anträge bei insgesamt rund 100.000 eingereichten Anträgen. Ende 2024 stellte die Behörde sieben zusätzliche Mitarbeitende ein, um die rund 160 Beschäftigten zu entlasten. In Hessen gibt es insgesamt 31 Ausländerbehörden. Laut Ausländerzentralregister leben in Hessen rund 1,3 Millionen Ausländer*innen.
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