Harmonischer Wahlkampf in München: Und alle sind für Willy
Nur noch noch sechs Kandidatenteams sind übrig und die Basis hat das Wort. Die SPD hat in Eintracht ihren Wahlkampf um ihre Vorsitzenden beendet.
Begonnen hat die 23. und letzte der regionalen Vorstellungsrunden zwar nicht gerade mit einem Paukenschlag, aber doch einer gewissen Überraschung in diesem späten Stadium des Schaulaufens: Eines der sieben Teams, die sich um die Nachfolge von Andrea Nahles im Parteivorsitz beworben hatten, verabschiedete sich aus dem Rennen. Die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis und der ver.di-Chefökonom Dierk Hirschel zogen ihre Kandidatur zurück – in der Hoffnung, es damit einem der anderen „linken Teams“ leichter zu machen.
Zum Beispiel dem aus der Bundestagsabgeordneten Saskia Esken und dem ehemaligen NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans bestehenden Gespann. Borjans – das ist der, der die Steuer-CDs aufgekauft hat – äußerte denn auch zum wiederholten Mal die Befürchtung, die Partei könne in der GroKo – vom Kompromiss kompromittiert – in die „neoliberale Pampa“ verschleppt werden.
Die Teams gaben sich leidenschaftlich und schlugen sich tapfer, wobei: Von Schlagen konnte nicht wirklich die Rede sein. Vielmehr war allen auf dem Podium sichtlich daran gelegen zu zeigen, wie wichtig ihnen der Zusammenhalt der Partei, der fairen Umgang miteinander ist. Fast konnte man fürchten, nun werde bald einer der Anwärter der CSU den Terminus der „legendären Geschlossenheit“ streitig machen.
Kein Pakt mit „rechten Idioten“
So weit kam es nicht; stattdessen beschwor man – auch hier in demonstrativer Eintracht – den Kampf gegen den Rechtsextremismus. Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt, der mit Christina Kampmann, Nordrhein-Westfalens ehemaliger Familienministerin, antritt, bezeichnete die SPD als „das älteste Bündnis gegen Rechts“.
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius sprach von der „größten Gefahr seit dem Zweiten Weltkrieg“ und forderte: „Die wehrhafte Demokratie muss jetzt ihre Zähne zeigen“. Und Ralf Stegner empfahl, den Populisten die einfachen Inhalte zu überlassen, aber nicht die einfache Sprache. Und: „Wir paktieren niemals mit diesen rechten Idioten.“
Dann durften die Genossen im Saal noch die eine oder andere Frage an die Kandidaten loswerden. Dabei erfuhren sie etwa, dass die brandenburgische Abgeordnete Klara Geywitz und Partnerin von Olaf Scholz nicht möchte, dass ihre drei Kinder „legal kiffen“. Dass Gesine Schwan nach einer gewonnenen Wahl die Mitbewerber erst mal zum Abendessen einlädt. Und warum Ralf Stegner zum Bedauern der Genossin, die neben ihm saß, so selten gehört werde. Mangelnde Lautstärke werde ihm zwar selten unterstellt, gab Stegner sich überrascht, in der Tat sei er aber einer, der auch immer mal wieder mit Überzeugung Minderheitenmeinungen in der Partei vertrete.
„Willy Brandt hätte das niemals mitgemacht“
Immer wieder nahmen die Kandidatenteams Anleihe bei einem der Männer, die sie im Amt beerben wollen. Nein, nicht bei einem jener Ex-Vorsitzenden, von denen man schon genug habe und die „uns immer wieder das Leben schwer machen“, wie Kampmann beklagte, sondern bei Willy Brandt.
So wies Gesundheitsexperte Karl Lauterbach auf eine Entfremdung zwischen SPD und Jugend hin. Es könne nicht sein, dass die jungen Leute gegen und nicht mit der SPD auf die Straße gingen. „Willy Brandt hätte das niemals mitgemacht.“ Kampmann erinnerte daran, dass schon Brandt den blauen Himmel über der Ruhr gefordert habe, und Pistorius daran, dass er „ohne das Schüler-BaföG von Willy Brandt“ niemals hätte Abitur machen können.
Brandt könnte den Aspiranten auf seine Nachfolge freilich auch in anderer Hinsicht als Vorbild dienen. Schließlich hatte kein anderer das Amt so lange inne wie er: 23 Jahre lang war er Parteichef. Und man trete ja an, „um zu bleiben“, gab Kampmann zu.
Gretchenfrage GroKo
Die Gretchenfrage, die für manchen Genossen vielleicht auch wahlentscheidend sein dürfte, blieb letztlich: Wie halten es die Kandidaten mit der Großen Koalition? Während sich Lauterbach und seine Partnerin, die Umweltpolitikerin Nina Scheer, sowie das Team Esken-Borjans in dieser Frage eindeutig – nämlich gegen die Fortsetzung der Koalition – positioniert haben, vermieden die anderen Kandidaten eine klare Absage, verwiesen etwa wie Scholz auf den Parteitag im Dezember, auf dem ja ohnehin Zwischenbilanz gezogen werden soll.
Auf diesem Parteitag werden dann auch die neuen Vorsitzenden gekürt. Vom 14. bis 25. Oktober können nun die rund 425.000 Parteimitglieder ihre Stimme abgeben – online oder per Briefwahl. Es gilt als wahrscheinlich, dass es im November dann noch eine Stichwahl gibt. Bevor sie selbst sich heute aus dem Rennen verabschiedete, rief Hilde Mattheis ihren Parteifreunden noch zu: „Nehmt diese Chance wahr, es könnte unsere letzte sein!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt