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Hannah-Arendt-Ausstellung in BerlinKönigin der Chuzpe

Hannah Arendts Denken erlebt eine Renaissance. Das Deutsche Historische Museum in Berlin widmet ihr nun eine Ausstellung.

Foto: The Hannah Arendt Papers

Ihre Unerschrockenheit, die ohne heroische Geste auskommt, ist zutiefst beeindruckend. Keine Denkerin des 20. Jahrhunderts verkörpert Unerschrockenheit so wie Hannah Arendt.

Um 1933 aus der Gestapo-Gefangenschaft freizukommen, verließ sie sich lieber auf ihre Menschenkenntnis statt auf einen der besten Anwälte Deutschlands, denn im Gesicht des Standartenführers hatte sie Milde erkannt.

Das Lager im französischen Gurs verließ sie 1940 geistesgegenwärtig in den wenigen Stunden nach dem Einmarsch der Deutschen, als in der französischen Verwaltung das Chaos ausgebrochen war. Einen Turban aus bunten Tüchern hatte sie sich um den Kopf gewickelt, wie es der lokalen Kopfmode entsprach.

Arendts Unerschrockenheit zeigt sich nicht nur gegenüber erlittenem Unrecht. Ihr gesamtes Denken ist davon geprägt.

Intellektuelle – nicht nur Philosophin

Deshalb war es eine kluge kuratorische Entscheidung, die Ausstellung über Hannah Arendt im Deutschen Historischen Museum, die am Montag coronabedingt zeitverzögert öffnen kann, nicht biografisch anzulegen, sondern ­Arendt im Spiegel der Kristallisationspunkte des 20. Jahrhunderts zu zeigen. Was bedeutet, dass uns Arendt als Intellektuelle, nicht als Philosophin präsentiert wird – als eine, die sich dem Licht der Öffentlichkeit ausgesetzt und die Debatten initiiert hat, die immer auf denselben Ausgangspunkt verweisen: die Erfahrung des Totalitarismus und den zutage getretenen Bruch des bisherigen politischen Denkens.

Entlang an 16 zeithistorischen Themenschwerpunkten von Antisemitismus, Kolonialismus, Nationalsozialismus bis Stalinismus und Studentenbewegung wird ­Arendts Blick aufgeschlüsselt.

Ich muss ge­stehen, dass mich die Frauenfrage nie sehr inte­ressiert hat

hannah Arendt

Gezeigt werden diverse Dokumente, Ausschnitte aus dem berühmten TV-Interview mit Günter Gaus und aus dem Eichmann-Prozess, Briefe – darunter einer von Martin Heidegger, mit dem sie nach einer leidenschaftlichen Affäre trotz seines Antisemitismus nie gebrochen hat – und einige persönliche Gegenstände wie ihre Aktentasche und eine Perlenkette. Ihr Pelzcape aus Macy’s Little Shop und ihr Zigarettenetui muten ein wenig mondän an. Auch die kleine, von ihr so geliebte Minox-Kamera, mit der sie die zahlreichen Freund*innen in Israel, Europa und den USA fotografierte, kriegt man zu sehen.

Der Ungarn-Aufstand 1956, die internationale Studen­t*innen­be­we­gung, ja, all das spielte eine Rolle in Arendts Denken, aber der Feminismus tat es nicht. Umso grotesker, ihm einen der größten Räume zu widmen, ausgestattet mit ikonografischen Plakaten, einem Döschen der ersten Antibabypille und Fotos von antiautoritären Kinderläden, die Arendt schnuppe gewesen sein dürften. „Ich muss ge­stehen, dass mich die Frauenfrage nie sehr inte­ressiert hat“, lautet ­Arendts ziemlich einzige Einlassung zu dem Thema, wie man in einer der hervorragend zusammengestellten Hörcollagen der Ausstellung hören kann.

Die „Banalität des Bösen“

Den größten Raum nimmt in der Ausstellung die Eichmann-Kontroverse ein. Von allen Schriften ­Arendts löste „Eichmann in Jerusalem“ den heftigsten Streit aus. Sie hatte 1961 den Prozess gegen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, der für den millionenfachen Mord an Juden zur Verantwortung gezogen wurde, in Jerusalem beobachtet. Ihre These von der „Banalität des Bösen“, die Kritik an der Prozessführung und ihre Artikel über die erzwungene sogenannte Kooperation der Judenräte, lösten heftigste Kritik und Verwerfungen aus. Ob die Kritik auch so barsch ausgefallen wäre, wäre sie ein Mann gewesen? Freundschaften zerbrachen. Wie die zu Gershom Scholem, der ihr vorwarf, sie pflege „kein abgewogenes Urteil, sondern vielmehr ein oft ins Demagogische ausartendes Overstatement“ ­abzugeben.

In Adolf Eichmann hatte sich ­Arendt geirrt. Wie sich in späteren Dokumenten, vor allem in einer Tonbandaufzeichnung des Nazis Willem Sassen, des Vaters von Saskia Sassen, zeigte, war Eichmann nicht der gehorsame, bürokratische „Hanswurst“, als der er in Jerusalem auftrat, sondern eifrigster Überzeugungstäter. Was Arendt hier jedoch auch erkannt hatte, kam in den Anfeindungen gegen sie zu kurz: dass das „Böse“ in Deutschland nicht das Abspaltbare, Monsterhafte von einigen wenigen, sondern vielmehr Bestandteil einer unauffälligen Normalität war.

Arendt war sich des Wagnisses der Öffentlichkeit, wie es bei Karl Jaspers hieß, stets bewusst. In einem Interview mit Günter Gaus sagt sie: „Wir fangen etwas an; wir schlagen unseren Faden in ein Netz der Beziehungen. Was daraus wird, wissen wir nie.“

Fragwürdige Aneignung

Politisches Denken gründet nach Arendt im Wesentlichen in der Urteilskraft. Es schließt den Irrtum ein, und Arendt irrte sich oft. Aber was ist der Irrtum im Vergleich zum Mangel an Urteilskraft, oder wie es in einer Fußnote bei Kant heißt, die von Arendt stammen könnte: „Der Mangel an Urteilskraft ist eigentlich das, was man Dummheit nennt, und einem solchen Gebrechen ist gar nicht abzuhelfen.“ ­Arendts emphatischer Begriff des Politischen erzählt von bürgerlicher Freiheit und Verantwortung des Subjekts. Unschwer zu erkennen, dass Martin Heidegger als Adres­sat hier immer irgendwie anwesend ist. Heideggers seinsgeschichtlicher Entwertung von Politik und der Orientierung am Tod stellt sie das ständige ­Neubeginnen in verantwortlichem politischem Handeln entgegen.

Die Heidegger’sche eine Wahrheit tauschte sie gegen die Wahrheit im Plural, meistens jedenfalls, was leicht passieren kann, wenn ein Leben nicht auf einer Schwarzwaldlichtung, sondern am New Yorker Riverside Drive gelebt wird.

Hannah Arendt Ausstellung

Ausstellung bis 18.10., Ausstellungskatalog 22 Euro

Seit einigen Jahren gibt es eine wahre Arendt-Renaissance. Arendts Bonmots „Denken ohne Geländer“ oder „das Recht, Rechte zu haben“ werden gerne herangezogen, während man von der Authentizität dieser Denkerin schwärmt. Ihr Essay zur Flüchtlingsfrage und ihre Kritik am Zionismus sind besonders beliebt, obwohl sie einen deutlich zeitlichen Kern haben, was ihre Brillanz nicht mindert, aber manche Aktualisierung, etwa im Zusammenhang mit dem sehr verbreiteten Hobby der Israelkritik, fragwürdig erscheinen lässt.

Auch die Aufhebung der Dif­ferenz zwischen Antisemitismus­(-theo­rie) und Rassismus(-theorie), wie ein Autor des Begleitkatalogs es mit Arendt tun möchte, wirkt etwas in­strumentell. Wie Arendt das gefunden hätte? Keine Ahnung. Aber nichts lag ihr ferner als das ideologische Passendmachen von Gedanken für politische Zwecke.

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2 Kommentare

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  • Hannah Arendt hat wohl Begriff der Bananlität Bösen deshalb politiktheoretisch eingeführt, weil Kultur der Straflosigkeit in totalitären Systemen wie das NS System, Verbrechen staatlich legitimiert Beiläufigkeit im Alltag attestiert, mangels Verfolgungsgefahr für Täter*in, weder Flucht- noch Aktenvernichtungsreflex auslöst, ganz im Gegenteil akribisch wrden begangene Verbrechen namentlich zugeordnet dokumentiert, außer ein Volksgenosse*in fällt in Ungnade. Das galt ab 1933 bis über 1945 hinaus in Nachkriegsgsgesellschaften mehr hüben, denn drüben, dank Kalten Krieges, dabei sehr wohl auch in ehemals deutschbesetzten Gebieten Europas, Nordafrikas für Kollaborateure*nnen, außer sie waren SS- , Wehrmachtssoldaten Liebchen. Robert menasse nimmt diesen historischen Kontext zum Anlass als Subtext in seinem Roman „Die Hauptstadt“ 2017 Auschwitz als eigentlichen Gründungsmythos der EU zu deuten.

  • Danke

    Ohne Hannah Arendts kokett sündenstolzen Satz im Beifang zulasten ihrer Solidarität globaler Frauenbewegung „Ich muss gestehen, dass mich die Frauenfrage nie sehr interessiert hat“ wäre sie als Tochter höheren Standes in Königsberg in ihrem Gemütshaushalt wohl kaum mit Professoren Schlages Karl Jaspers, Martin Heideggers, mit dem dazu als junge Studentin in amourös Affären Abhängigkeitsverhältnis, kompatibel gewesen, denn die Herren nahmen diese famose Sprachgesinnung zu ihrer Macho Entlastung Wohlgefallen allzu gerne an, alles weitere mündlich.

    Wieso hat Hannah Arendt sich in Eichmann geirrt? Hannah Arendts Wort von „Der Banalität des Bösen“ ist ja nicht dadurch widerlegt, dass Jahrzehnte später Hinterlassenschaften Stern und Spiegel Reporter Willem Sassens seiner Tochter Saskia offenbaren, Adolf Eichmann war NS Überzeugungstäter, was denn sonst, hat Arendt, was anderes behauptet? Nein, eben und dass Eichmann im Bösen banal einfallslos mit Heinrich Himmlers Posener Rede 1943 konform, dabei ganz leidenschaftslos das Böse administrierte, um daheim bei klassischer Musik in Mol, Kindergesang, Flötenspiel anständig geblieben zu sein und auch als solcher zu gelten.

    Dieses historisch nicht belastbare Umdeutungsphänomen bei Epochen Rückschau zu fremdem Zweck ist, neben böswilligen, unter nachgeborenen Zeitgenossen*nnen häufig mit medialer Präsenz zu beobachten.

    „…oder wie es in einer Fußnote bei Kant heißt, die von Arendt stammen könnte: „Der Mangel an Urteilskraft ist eigentlich das, was man Dummheit nennt, und einem solchen Gebrechen ist gar nicht abzuhelfen.“

    Wer war zuerst da, das Huhn, das Ei, Kant oder Arendts Prominenz als Philosophin, obgleich sie im Gespräch mit Günter Gaus 1964 betont „Danke für die Blumen, lieber Herr Gaus, auch wenn Sie das verstört, ich war und bin keine Philosophin, bei Philosophen Gilde fühle ich mich nicht wohl aufgehoben, ich verstehe mich als Politiktheoretikerin.

    Übrigens Gebrechen kann man Niemandem vorwerfen, oder doch?