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Hamburger Klimabeirat gibt Empfehlungen„Wir brauchen einen Mitmachstrom“

Klimabeirat fordert Hamburg auf, in Politik, Planung und Praxis systematischer vorzugehen. Dazu gehört auch, keine Flächen mehr zu versiegeln.

Fraglich, ob das in Zukunft noch ausreicht: Mischwasserrückhaltebecken in Hamburg Foto: Christian Charisius/dpa

Hamburg taz | Das Hamburger Chilehaus enthält ein erstaunliches und aufschlussreiches Detail. Im Keller des vor 100 Jahren fertig gestellten expressionistischen Gebäudes gibt es Pontons, auf denen die elektrischen Anlagen stehen. Sollte ein Hochwasser in den Keller drücken, schwimmen sie auf und die Elektrik bleibt trocken.

Diese Geschichte erzählt Daniela Jacob, die Vorsitzende des Hamburger Klimabeirats, als Beleg dafür, dass Hamburg Erfahrung mit wechselnden Umweltbedingungen hat. Jacob, im Hauptberuf Direktorin des Climate Service Centers Germany (Gerics), führte damit am Donnerstag den Bericht des Beirats zur Klimaanpassung ein. Darin stehen Empfehlungen, wie Senat und Bürgerschaft mit den Folgen des Klimawandels umgehen sollten.

Auch in Hamburg wird der Klimawandel nach Einschätzung des Klimabeirats in den kommenden Jahrzehnten massiv zuschlagen. Dem müsse die Stadt in Politik, Planung und Praxis systematischer als bisher begegnen. „Wir brauchen eine klimaresiliente Entwicklung“, sagt Jacob. Im Mittelpunkt stehen dabei das Wasser und die Hitze.

Beim Thema Wasser muss die Stadt mit Dürren einerseits, und mit Hochwasser, Wolkenbrüchen und Dauerregen andererseits umgehen. Einerseits muss ein Zuviel an Wasser abgeführt werden, andererseits verhindert werden, dass das Stadtgrün verdorrt, das so wichtig ist, um die Temperaturen in den Häuserschluchten zu dämpfen und Hitzetote zu vermeiden.

Eine Riesen-Herausforderung

Als Schlüsselfaktor hierfür hat Jacobs Beiratskollege Jörg Knieling, Leiter des Fachgebiets Stadtentwicklung und Regionalplanung an der Hafencity-Universität Hamburg (HCU), den Flächenverbrauch ausgemacht. Bisher unversiegelte Grundstücke dürften deshalb künftig „nur unter der Maßgabe des Netto-Null-Flächenverbrauchs“ genehmigt werden. Das würde bedeuten, dass genauso an einem Orte genausoviel entsiegelt wird, wie an einer anderen Stelle bebaut.

Die EU hat in ihrem Green Deal vereinbart, den Flächenverbrauch bis 2050 netto auf Null zu bringen. Dieses Ziel hat die Bundesregierung in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie verankert. „Das könnte ein Gamechanger in der Entwicklung von Flächen werden“, sagt Knieling.

Allerdings will sich der Klimabeirat zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu einzelnen Projekten äußern, wie dem neuen Stadtteil Oberbillwerder, der zwischen der Innenstadt und Bergedorf auf der grünen Wiese entstehen soll oder die Autobahn A26 Ost, die zwischen den Stadtteilen Wilhelmsburg und Harburg hindurchführen soll. Was für derart große Flächen anderswo entsiegelt werden sollte, dafür bleibt der Beirat die Antwort schuldig.

Nicht ganz einfach ist das schon bei kleineren Projekten, das ist dem Klimabeirat klar. „Das stellt die Bezirke vor Riesen-Herausforderungen“, räumt Knieling ein. Ein Lösung könnte sein, mehr „im Bestand zu bauen“, also etwa leerstehende Büros in Wohnungen umzuwandeln.

Bürgerini als Vorreiter

Den Zielkonflikt zwischen Wohnungsbau- sowie Gewerbeansiedlung einerseits und Freiflächenschutz andererseits hat der rot-grüne Senat fürs Erste befriedet. Er einigte sich mit der vor allem vom Nabu getragenen Volksinitiative „Hamburgs Grün erhalten“ und wandte damit einen Volksentscheid ab: 30 Prozent der Landesfläche sind seitdem vertraglich für die Natur geschützt.

Eine weitere Initiative, die die Ausweisung neuer Baugebiete auf Grün- und Landwirtschaftsflächen verbieten wollte, stoppte das Hamburgische Verfassungsgericht: Sie sei zu einseitig und nicht geeignet die verschiedenen privaten und öffentlichen Belange gegeneinander abzuwägen. Dazu gehören neben dem Umwelt- und Naturschutz das Wohnen ebenso wie Soziales, Kultur, Wirtschaft, Verkehrsanbindung und Infrastruktur.

Dabei ist der Wert von Freiflächen unstrittig: Sie fördern die Artenvielfalt, dienen als Puffer gegen Überschwemmungen und tragen als Versickerungsflächen tragen dazu bei, den Wasserhaushalt zu stabilisieren.

Wasserknappheit spiele mittlerweile durchaus auch in Norddeutschland eine Rolle, wo man jahrhundertlang damit beschäftigt gewesen sei, den Boden trocken zu legen, sagt Peter Fröhle, Leiter des Instituts für Wasserbau an der Technischen Universität Hamburg. Er nennt das Beispiel eines Wasserwerks in den Vier- und Marschlanden, dem heute schon Wasser aus dem Flüsschen Bille zugeführt werden müsse.

Alle müssen mitziehen

Die Wasser Ver- und Entsorgung oder der Hochwasserschutz beruhen auf einer Infrastruktur, die auf lange Sicht angelegt ist. Das gilt aber auch für den Wohnungsbau. „Vieles, was wir jetzt in der Stadt neu bauen, steht für Jahrzehnte“, sagt Knieling. Seine Kollegin Jacob drängt deshalb darauf, beim Bauen „schneller und mit höherer Priorität“ den Klimawandel zur berücksichtigen.

„Dafür brauchen wir die Bürger“, sagt Jacob. Es sei nötig, schon im Kindergarten ein Bewusstsein für die nötige Anpassung zu schaffen. „Es braucht einen Mitmachstrom“, findet Jacob.

Ihr Kollege Martin Wickel, Leiter des Arbeitsgebiets Recht und Verwaltung an der HCU, setzt seine Hoffnung in den verbesserten rechtlichen Rahmen. Am 1. Juni ist das Klimaanpassungsgesetz des Bundes in Kraft getreten. Es verpflichtet alle Bundesländer, bis zum 31. Januar 2027 eine Klimaanpassungsstrategie zu entwickeln – alles natürlich nur ergänzend zum Klimaschutz, der auch auf der Ebene des Stadtstaates schon längst gesetzlich verankert ist.

Auf diese Klimaschutzgesetze können sich Kläger schon jetzt berufen. Ergänzend empfiehlt der Klimabeirat ein Hamburger Klimaanpassungsgesetz, das etwa die Bezirke verpflichten würde, entsprechende Konzepte zur erstellen, und die Anpassung öffentlicher Liegenschaften vorsehen sollte. Angesichts des Bewusstseinswandels in der öffentlichen Verwaltung gebe es jetzt die Chance, einen institutionellen Rahmen für die Klimaanpassung zu schaffen. „Das Thema geht nicht wieder weg“, sagt Wickel.

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