Hamburger Jugendhilfe in Not: Kündigung kurz vor Weihnachten
Hamburg kürzt drei Millionen Euro bei Angeboten für Kinder und Familien in Flüchtlingsunterkünften. Damit dürften rund 50 Stellen wegfallen.
Am Montag erhielt Olaf Sobczak unangenehme Post. Der Antrag in Höhe von 280.000 Euro für die „Mehrbedarfe Ukraine“ seiner beiden Familienteams in Hamburg-Langenhorn und -Barmbek wird „abgelehnt“. Als Grund nennt das Bezirksamt „fehlende Finanzmittel“. Denn die Finanzbehörde stelle „ab 2026 keine weiteren Ukraine Mehrbedarfe mehr zur Verfügung“, heißt es im Behördendeutsch. Sobczak ist Leiter des Kinder- und Familienzentrums (Kifaz) Barmbek und hält das für eine Katastrophe.
„Wir haben zwei gut funktionierende Familienteams. Es war toll, was damit möglich war“, sagt er. Im Bezirk Nord habe man 77 Familien aus 13 großen Flüchtlingsunterkünften unterstützt. Sobczak berichtet von Müttercafes, Spielzeiten in Unterkünften und Unterstützung von Schwangeren durch eine Hebamme und eine Sozialpädagogin. „Wir haben in der Flüchtlingsbegleitung bisher drei Stellen, die auf sieben Kolleginnen aufgeteilt sind“, berichtet der Kifaz-Leiter. „Nun wissen wir nicht, wie wir sie weiter beschäftigen können.“
Das Kifaz Barmbek ist kein Einzelfall. Hamburgweit, darüber berichtete die taz Ende November, werden 2026 die Gelder für die Unterstützung von Kindern und Familien in Flüchtlingsunterkünften um drei Millionen Euro gekürzt. Dies war Freitag Anlass für eine Kundgebung von rund 100 Beschäftigten der Offenen Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) vor einer Anhörung des Familienausschusses. „Advent, Advent, die OKJA brennt“, stand auf einem Transparent.
Drinnen bei der Anhörung machte dann Anja Post-Martens vom Verband für Kinder- und Jugendarbeit deutlich, dass auch die übrigen rund 250 offenen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche unterfinanziert sind. Insgesamt fehlten mindestens fünf Millionen Euro. „Junge Menschen haben ein Recht auf diese Angebote“, sagte Post-Martens.
Stellen reduzieren, Angebote aufgeben
In Hamburg leben über 15.000 Kinder und Jugendliche in öffentlichen Unterkünften. „Wir wissen alle, dass das Leben in Unterkünften sehr schwer sein kann“, sagt Olaf Sobzcak. Drum seien die Angebote so wichtig. „Ich kann nicht verstehen, wie man nur drüber nachdenken kann, sie zu streichen.“.
„Es gehört zur bundespolitischen Agenda, es den Leuten ungemütlich machen zu wollen“, sagt Ina Achilles vom Bergedorfer Träger „Sprungbrett“, der in zwei Unterkünften Beratungsangebote macht, die nun ebenfalls reduziert werden. Noch am kämpfen sei man für den Erhalt eines Frauenfrühstücks im örtlichen Bürgerhaus. „Da passiert ganz viel Bindungsarbeit. Die Frauen vernetzen sich gegenseitig“, berichtet Achilles. Es sei wichtig für die Menschen, aus den Unterkünften rauszukommen. „Die kommen nach Deutschland, weil sie richtig in Not sind.“
Drei Millionen Euro weniger, das sind grob geschätzt 50 Stellen, die in ganz Hamburg wegfallen. Hart trifft es den Träger Basis & Woge, der im Hamburger Norden ein Kinder- und Jugendangebot und je eines für Familien, für Mädchen und für junge Alleinreisende reduzieren muss. „Wir bieten in 13 Unterkünften offene Gruppen an“, berichtet Leiterin Melanie El Aref. „Wir bauen Beziehungen auf und begleiten zum Beispiel die Kinder in ein Haus der Jugend oder in den Sportverein“, berichtet sie. „Aber nun müssen wir unser Angebot um die Hälfte kürzen. Das findet dann in fünf Unterkünften gar nicht mehr statt.“
Besonders bitter: Der Träger hatte in einer Großunterkunft mit rund 1.200 Plätzen, in der es kaum Privatphäre gibt, einen Jugendraum eingerichtet. „Künftig ist dort an sechs Tagen die Woche die Tür zu“, berichtet El-Aref.
Offener Brief an den SPD-Finanzsenator
Auch hinter den Kulissen rumort es. Als die Interessenvertretung Offene Arbeit (IVOA) am Montag zu einem klärenden Gespräch in die Bildungsbehörde eingeladen war, war der zuständige Amtsleiter ohne Absage nicht erschienen. Darum schrieb die IVOA einen offenen Brief an Finanzsenator Andreas Dressel (SPD). Sowohl von der Bildungsbehörde als auch von Fachpolitikerin der SPD wisse man, dass diese die Angebote als notwenig ansähen. „Somit ist auch klar, dass es allein eine politische Entschiedung der Finanzbehörde ist.“
Die Finanzbehörde beantwortete eine Anfrage der taz nicht und gab diese an die Bildungsbehörde weiter. Diese verwies wiederum auf die Frage, warum hier gekürzt wurde, auf einen NDR-Bericht, in dem Finanzsenator Dressel schmerzhafte Einschnitte ankündigte, da die Länder durch Steuersenkungen des Bundes belastet würden. Ob es aber für den Haushalt 2026 noch Anpassungen geben könne, so die Bildungsbehörde, sei Sache der Bürgerschaft.
Die Grünen bedauern immerhin, dass diese Mittel geringer werden. Die SPD verweist darauf, dass die gesetzlich festgeschriebenen Ausgaben der „Hilfen zur Erziehung“ so sehr stiegen, dass im Haushalt der politische Spielraum eingeengt sei.
Der Linken-Haushaltspolitiker David Stoop hält indes eine Nachbewilligung der Gelder für angebracht. Da einige Projekte sonst zum Jahresende eingestellt würden, müsste dies schnell passieren. Auch müssten diese Projekte dauerhaft finanziert werden, das habe jene Anhörung im Familienausschuss deutlich gemacht.
Die CDU-Politikerin Silke Seif weist darauf hin, dass am 23. Januar im Familienausschuss eine Senatsanhörung zur Jugendhilfe stattfindet. „Wir erwarten vom Senat klare Aussagen dazu, welche Angebote unter den Kürzungen leiden werden“, sagt sie. Gelte es doch, „die soziale Infrastruktur für junge Menschen zu erhalten“.
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