Hamburger Harley Days: Maulhelden im Rückwärtsgang
Die Hamburger Harley Days sind eine sexistische Veranstaltung aus dem letzten Jahrtausend. Das Gute daran: Man muss sie nicht ernst nehmen.
Wie kommt man hin zu den Harley Days? Die verkehrsgünstigste Anreise ginge so: mit der Bahn zum Hamburger Hauptbahnhof, von da mit dem Stadtrad in acht Minuten zum Veranstaltungsgelände. Auf diese Idee würden der Naturschutzbund Deutschland (Nabu), der grüne Verkehrssenator oder taz-Leser*innen kommen. Aber die Harley Days ticken anders. Wer zu den Harley Days will und mehr ist als ein Zuschauer, der reist mit der Harley an. Und parkt nicht vor, sondern auf dem Gelände.
Ort des Geschehens ist die Asphaltfläche um die Hamburger Großmarkthallen. Die sieht auf den ersten Blick aus wie ein Stadtfest: Es gibt ein Riesenrad, Fress- und Verkaufsbuden und zwei Bühnen für Livemusik. Im Unterschied zu einem Stadtfest gibt es vor den Buden durchgängig einen Parkstreifen für Motorräder. Außerdem gibt es einen steten Strom Harleys, die in Schrittgeschwindigkeit über das Gelände fahren. Gut geordnet immer in eine Richtung.
Der stete Strom ist der Vorgeschmack für die große Parade, bei der am letzten Tag tausende Harley-Fahrer 30 Kilometer durch Hamburg brettern. Dem Nabu tut das seit Jahren weh: die Abgase, der Lärm, das Sinnlose. In diesem Jahr nannte der Nabu die Harley Days eine „Geiselhaft“, in die Hamburg von tausenden Motorrädern genommen werde.
Überraschend ist, dass die Laune der Harley-Fahrer ebenso schlecht zu sein scheint wie die des Naturschutzbundes. Jedenfalls wird man niemals einen Harley-Fahrer im Sattel lächeln sehen. Zum Harley-Fahren gehört ein grimmiger Gesichtsausdruck. Zusätzlich zu ihren Halbschalen-Helmen tragen Harley-Fahrer gerne Sonnenbrillen und Bärte, und wenn sie Haar zeigen, dann ist dieses grau oder auf dem besten Weg dahin. Beliebt ist die Farbe Schwarz, vor allem in Form von Leder. Manche tragen auch Jacken mit Fransen, wie man sie von Old Shatterhand kennt.
Ein gewisser Used-Look ist obenrum willkommen. Untenrum aber, da, wo das Blech beginnt, ist Makellosigkeit angesagt. Man möchte es sich nicht ausmalen, dass jemand seine Pommes-Schranke beim Wegtreten von der Fressbude aus Versehen auf den Ledersessel einer parkenden Harley kippt. Oder mit seinem Rucksack den blitzblank polierten Totenkopf-Blinker touchiert …
Die andere Sache ist die mit den Frauen. Gibt es Harley-Fahrerinnen? Ja, es gibt sie, und zwar in etwa so oft wie Falafel-Stände zwischen den Bratwurst- und Burger-Buden.
Ansonsten kommen Frauen als Mitfahrerinnen, Begleiterinnen und in zwei Fällen als Showtänzerinnen vor. Da stehen also zwei Fressbuden, auf deren Dächern umzäunte Tanzflächen angebracht sind, auf der sich Tanga-tragende Blondinen in High Heels mittelmotiviert zur Musik bewegen. Auf einer der parkenden Harleys davor steht „My other toy has tits“ und „No fuck no ride“.
Die gute Nachricht ist: Das alles muss man nicht ernst nehmen. Die vielen alten Männer, die hier unterwegs sind, haben hormonell betrachtet die Wechseljahre schon hinter sich. Das behauptete und das tatsächlich vorhandene Testosteron stehen in einem indirekt proportionalen Verhältnis. Die Harley Days sind eine Veranstaltung, auf der das Alter als solches präsent ist und beruhigend wirkt.
Erstaunlich ist allerdings die Verehrung nicht nur der Männer, sondern auch ihrer Begleiterinnen für die Marke Harley-Davidson. Sehr viele tragen Harley-Davidson-Klamotten und gehen darin auf, alte und neue Harleys zu beschauen. Im Museumszelt, wo Modelle der letzten 100 Jahre ausgestellt sind, sind Sätze wie „Mit der Softail Springer hatte Harley-Davidson zu sich selbst gefunden“ zu lesen.
Das Unternehmen Harley-Davidson wurde 1903 gegründet. Es gibt natürlich viele andere Motorradmarken. Wir aber empfehlen ausdrücklich – Fahrräder!
Die Zuneigung der Fans zu dem, was sie „die Company“ nennen, ist die, die Fußball-Fans zu ihrem Verein haben. Harley- und Fußball-Fans sind bereit, viel Geld hinzulegen für ein anonymes Versprechen der Zugehörigkeit zu einer Community. Geprägt ist die Harley-Community von einem Gestus des Nonkonformismus, den die Popkultur aus Hippies und Rockern der 60er zusammengemischt hat. Wahrscheinlich hat die Company ein echtes Nachwuchsproblem, weil der Mythos der 60er zunehmend verblasst.
Aber noch ist es nicht so weit. Noch kann „Nazareth“ als Haupt-Act im Bühnenprogramm auftreten. Noch ist dem Nabu das Ganze alljährlich eine Pressemitteilung wert.
Und dann? Baut Harley-Davidson E-Bikes und bemüht sich um Fahrer*innen – oder endet als Nischenprodukt für Nostalgiker.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“