Hamburger Comiczeichner: Besucher im Outback
Fasziniert von der Fremde: Jan Bauer erzählt in seiner Graphic Novel „Unter rotem Staub“ von seinen autobiografischen Australien-Exkursionen.
Jagen und nach Wasser graben: Damit verbringt Wamaru Japangardi, ein einsames Wesen mit Reptil-Kopf und menschlichem Körper, seine Tage in den Weiten der Tanamiwüste im Norden Australiens. Irgendwann sehnt es, eigentlich ein Er, sich nach einem Weibchen; läuft suchend viele Meilen weit und findet schließlich Nungarrrayi. Große Freude – und gleich wieder Frust: Eine Beziehung ist ausgeschlossen, denn Nungarrrayi ist Wamarus Schwiegermutter, zumindest nach den Verwandtschaftsregeln der Aborigines. Leichtsinnig brechen sie das Tabu – woraufhin Nungarrrayi zu einem Baum erstarrt, einem ewigen, mythischen Baum. Der ist noch da, als der Hamburger Illustrator Jan Bauer eine Ewigkeit später dorthin wandert.
Bauer stammt aus dem schleswig-holsteinischen Preetz, und Australien hat er schon als Jugendlicher bereist. Später studiert er in Hamburg und Brisbane und kommt seitdem immer wieder zurück auf den „fünften Kontinent“. Bepackt nur mit dem Nötigsten, etwa 20 Litern Wasser, legt er also die 40 Kilometer bis zur Siedlung Yuendumu zu Fuß zurück, immer von einer Wasserstelle zur nächsten. Er weiß: Wenn er sich verläuft, stirbt er; so wie der alte Recke, der das Blut seines Pferdes trank, aber trotzdem verdurstete und seine letzten Worte in seine Feldflasche kratzte. Von seinem Bericht übers Sterben in der Wüste handelt nun eine Episode in Bauers Graphic Novel „Unter rotem Staub“.
Der Zeichner selbst schafft es bis in die Siedlung, wo er für einige Zeit unter den Einheimischen lebt, arbeitet, skizziert. Er beginnt, seine eigene Geschichte zu verknüpfen mit der Begegnung mit diesen Menschen und ihrer ihm so fremden Kultur. Der Anteil der Aufklärung über das Leben der Indigenen unterscheidet Bauers neuen Band von dem Vorgänger „Der salzige Fluss“ von 2014; der Zeichner nennt die beiden auch „ungleiche Geschwister“. Die Verwandtschaft besteht unter anderem darin, dass sie beide bei längeren Aufenthalten Bauers in der gleichen Gegend konzipiert wurden: dem Gebiet der Warlpiri im australischen Northern Territory.
Massenweise Warlpiri-Traumbildern
Hatte er für „Der salzige Fluss“ ein paar Monate gebraucht, steckte Bauer in die Neuerscheinung mehr als sieben Jahre. Die erste Graphic Novel war eine Art Reisebericht nebst der Bewältigung einer unglücklichen Liebe und kreiste weitgehend um die Erlebnisse und Naturbeobachtungen des Autors. Nun geht es ganz überwiegend um die erwähnte mythische Geschichte, aber auch die der Aborigines insgesamt, ferner ihre Lage im heutigen Australien. Freundschaften mit Indigenen und Nicht-Indigenen ermöglichen ihm einen tieferen Einblick in die Situation der Ureinwohner, die seit Jahrhunderten von den Weißen benachteiligt und unterdrückt worden sind. Er erkennt, dass die fatalen Folgen des Kolonialismus sich bis heute fortsetzen, nur in subtilerer Weise.
Um den Menschen näher zu kommen und zu verstehen, wie das Leben hier funktioniert, nimmt der Deutsche einen Job im einzigen Erfolgsunternehmen der Gegend an, dem Art-Center: Er mischt Farben für die Massenproduktion von Warlpiri-Traumbildern, sogenannten „dreamings“ oder „Jukurrpas“; 10.000 davon werden hier jedes Jahr für den Export produziert. Aber die Arbeit hält ihn zu sehr von seinem eigentlichen Ziel ab, also gibt er sie auf und verbringt die Tage mit den Leuten: Er hofft auf Vertrauen und Offenheit, um etwas von der kosmologischen Mythologie zu verstehen, die seit jeher das Dasein der Stämme und Sippen bestimmt, denen Geschichten als heiliger und teilweise geheimer Besitz gelten. Er begleitet das tägliche Leben, aber auch Ausflüge mit kulinarischen Akzenten wie dem Ausgraben und Verputzen von Honigameisen und Wichetti-Raupen.
Jan Bauer: Unter rotem Staub. Avant-Verlag 2023, 256 S., 26 Euro
Er wird aber auch Zeuge von Härte und Armut. Als er nach einem längeren Hamburg-Aufenthalt wiederkommt, erfährt er, dass sein Warlpiri-Freund Phil zu Tode gekommen ist – im Polizeigewahrsam. Dem will Bauer auf den Grund gehen: Er reist auf Phils Spuren und erfährt viel über die Hintergründe, die bis heute für das Leid der Indigenen verantwortlich sind. Seine Entdeckungen machen „Unter rotem Sand“ zu einer Art Erdklärbuch.
Bauer ist ein versierter Illustrator und nach Jahren als Trickfilmer, unter anderem für die Hamburger Künstlerin Mariola Brillowska, auch ein guter Bild-Erzähler. Er beherrscht viele Kniffe, um dem Leser Veränderungen des Szenarios plausibel zu machen, vieles vermittelt er ohne Text, lässt die Bilder für sich sprechen. Seine Faszination für die Landschaftsmalerei schlägt sich in halb- oder auch ganzseitigen Panels nieder.
Dabei legt er viel Wert auf die feinen Unterschiede: Was in der Steppe im Outback wächst, sieht anders aus als das Rasenstück am Rollfeld des Hamburger Flughafens; hier geht Bauer liebevoll wie ein Renaissance-Maler auf die pflanzliche Vielfalt ein.
Den Wechsel zwischen Mythos und Realität signalisiert ein unaufdringliches Stilmittel: Die mythischen Geschichten, auch die eingangs umrissene von Wamaru und Nungarrrayi, erzählt er in Bildern ohne Umrandung. Dann wieder ändert sich der benutzte Zeichenstil dem zu Erzählenden entsprechend, so imitiert Bauer auch mal mehrere Seiten lang den Look eines 50er-Jahre-Abenteuercomics. Um komplizierte Zusammenhänge zu erklären, etwa indigene Verwandtschaftssysteme, setzt er selbstgemachte Erklärgrafiken oder Karten ein. Dazu gibt es noch einen Anhang mit Erläuterungen. Der leichte Schulbuchcharakter ist erwünscht, und doch bleibt der Band spannend und humorvoll.
Jan Bauer hat „Unter rotem Staub“ selbst ins Englische übersetzt und auch einen australischen Verleger gefunden, sodass die Warlpiri es auch lesen können; Englisch wiederum müssen sie lernen, in den ersten vier Schuljahren; so steht es im Gesetz. Bei seinem nächsten Besuch will Bauer einen Schwung Comics selbst in der entlegenen Yuendumu-Siedlung abliefern. Natürlich wird er auch wieder zu Fuß unterwegs sein – und auch mal trampen.
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