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Halle nach dem AnschlagRausgehen, gegen die Angst

Nach dem rechtsextremen Anschlag in Halle ist die Stadt wie leer gefegt. Doch einige Hallenser wollen sich von der Angst nicht unterkriegen lassen.

Trauernde auf dem Marktplatz von Halle. Es ist komplett still auf dem sonst so belebten Platz Foto: dpa

Halle taz | Es ist ausgerechnet die Straßenbahnlinie 1 Richtung „Frohe Zukunft“, welche die Innenstadt von Halle nach Nordosten mit den Tatorten verbindet. Hier auf dem Marktplatz, nur drei Stationen von der Synagoge und dem nahe gelegenen Döner-Imbiss entfernt, wo Mittwochmittag zwei Menschen getötet wurden, stehen am Mittwochabend etwa 500 Menschen und legen Kerzen vor der Marktplatzkirche ab. Die vielen, vorwiegend jungen Leute bilden einen Kreis, sie schweigen. Es ist komplett still auf dem sonst so belebten Platz, nur die Motoren der Polizeiautos am Rand der Versammlung brummen. In der Mitte der Menge beleuchten Kerzen die Gesichter, Redebeiträge gibt es keine: Das Bündnis „Halle gegen Rechts“, das diese Versammlung angemeldet hat, fand es unpassend für diesen Abend.

Es ist ein friedliches Bild, das Hoffnung gibt in einer ansonsten leer gefegten Innenstadt. Halle an der Saale hat ausgerechnet an Jom Kippur, dem Fest der Versöhnung, dem höchsten jüdischen Feiertag, einen rechtsextremen Anschlag erlebt. Gerade mal acht Stunden ist es da her. Erst hört man Schüsse, dann folgt die Polizeimeldung: Es gab Tote, Täter flüchtig, bitte zu Hause bleiben, Fenster und Türen schließen. Der Bürgermeister ruft die Amoklage aus. Dazu kommen Gerüchte. Es soll noch eine Geiselnahme in einer Edeka-Filiale in der Südstadt geben, hieß es, mit 70 Geiseln. Was stimmt nun, wo ist man sicher, wie kommt man nach Hause, sind noch Täter auf der Flucht? Die Verunsicherung ist groß.

Rund sechs Stunden dauert es vom ersten Schuss an, bis die Entwarnung durch die Polizei kommt, um 18.01 Uhr. Bis zum Abend kommen die Fakten zusammen: Der mutmaßliche Täter heißt Stephan B., ist 29 Jahre alt, kommt aus Sachsen-Anhalt. Zwei Menschen hat er getötet, einen Bauarbeiter im Dönerladen, eine Frau vor dem jüdischen Friedhof nahe der Synagoge. Der Täter streamte seine Tat live auf dem Videoportal Twitch und hetzte dabei gegen Juden, Feministen und „Kanaken“. Er ist offensichtlich Rechtsextremist. Und hätte er es durch die Tür in den Gemeindesaal der Synagoge geschafft, hätte er allein dort bis zu 80 Menschen töten können. Hätte er keine selbst gebastelten Waffen benutzt, wären weitere Passanten gestorben.

Und so bleibt das Aufatmen auf den Straßen aus: Als die Gefahrenwarnung aufgehoben wird, ist es noch hell, aber kaum ein Laden hat geöffnet, kaum jemand ist auf der Straße, nur alle paar Straßenecken sieht man erschreckend schwer ausgerüstete Polizisten mit Helmen, schweren Westen und teils auch schweren Waffen. Die einzigen Passanten auf der Straße sind Leute, die durch die Polizeisperrungen nicht in ihre Wohnungen können, oder Anwohner, die ihre Hunde ausführen, die meisten gehen nur hastig zur nächsten Grünfläche und wieder zurück ins Haus. Das sonst so laute, bunte Paulusviertel mit seinen Kneipen, Cafés und Restaurants ist still.

Nur ein Café wenige Meter von den beiden Tatorten entfernt hat geöffnet. Es war kurz nach der Tat vom SEK abgeriegelt worden, die Leute darin saßen stundenlang fest. Am Abend ist es selbst dort ruhig, es sitzen darin nur noch sich aufwärmende Journalisten, die Angestellten sind erschöpft und wollen möglichst bald Feierabend machen. Es war ein langer Tag, und heute kommt ohnehin niemand mehr, um einfach so einen Kaffee zu trinken.

Ein Zeichen gegen die Angst vor dem Hinausgehen

Auch in der fünfzehn Gehminuten entfernten und zentraler gelegenen Geiststraße haben die meisten Läden zu, nur zwei Dönerläden und ein Späti haben geöffnet. Draußen rattert die erste Straßenbahn seit der Totalsperrung vorbei, drinnen warten ein paar Gäste auf ihr Essen. Es läuft keine Musik. Zweimal gibt es an der Schaufensterscheibe ein lautes Geräusch, als ein Student sein Fahrrad dort parkt und mit dem Lenker dagegenstößt. Die Gäste zucken zusammen, drehen sich um, am Mittag erst waren schließlich auch Leute einfach nur einen Döner essen, jetzt ist einer von ihnen tot, die Angestellten unter Schock. „Ich weiß, es ist gefährlich eigentlich“, antwortet der Besitzer auf die Frage, ob er sich Sorgen macht. „Aber was soll man machen? Es ist ja jetzt auch vorbei.“

Ein Gast meint, ihn hätten heute besonders die vielen Gerüchte nervös gemacht. „Die Leute drehen durch bei so was, und dann kann man irgendwann Fake News und die wirklichen Geschehnisse einfach nicht mehr auseinanderhalten.“ Die erwähnte Geiselnahme hatte es nicht gegeben, die Polizei dementierte das Gerücht am Mittag. Es hielt sich trotzdem hartnäckig. Das Gefühl der Bedrohung verschwindet nicht so schnell.

Dennoch ist die spontane, abendliche Trauerveranstaltung auf dem Marktplatz nur von drei Polizeiautos gesichert. Die Leute, die hier zusammengekommen sind, haben die Angst überwunden und ihre Wohnung verlassen, sie geben kein repräsentatives Bild der Stimmung in der Stadt ab. Aber sie setzen ein Zeichen gegen die Angst vor dem Hinausgehen. „Ich bin allein schon hier, um jetzt nicht allein zu sein, sondern mit anderen zusammen“, sagt eine 20-jährige Studentin, die mit ihren Freunden hergekommen ist. „Man sitzt sonst zu Hause und wartet darauf, bis die Angst vorbeigeht. Es ist ein dumpfes, lähmendes Gefühl, man fühlt sich einfach machtlos.“

Bis zur Nacht entscheiden sich dann einige wenige Kneipen doch noch, ihre Türen zu öffnen. Wenige Meter entfernt vom Kiez-Döner, vor dem jetzt ein Zelt der Spurensicherung steht, hat das „Evergreen“ geöffnet, darin viele Anwohner, die schon am Tag vor den Straßensperrungen auf die Erlaubnis zur Rückkehr in ihre Wohnung gewartet hatten. Vor der Kneipe diskutiert eine Gruppe von Freunden, die sich regelmäßig per Whatsapp zum Kneipenabend verabreden. Einer von ihnen hat das Tätervideo zugeschickt bekommen und in die Chatgruppe weitergeleitet. Gibt das dem Täter ein unnötiges Forum? Viele finden: Ja. Der Mann verteidigt sich: „Den ganzen Tag hab ich den dicken Mann markieren müssen, im Büro eingesperrt mit lauter Frauen, die ich beruhigen musste“, meint er. „Vielleicht musste ich das heute auch einfach mal verarbeiten?“

Er war noch gestern im Kiez-Döner, erzählt er. Die Bestellung sei nicht richtig gewesen, er habe sich beschwert und kein Trinkgeld gegeben. „Und am nächsten Tag passiert so was, und der Mitarbeiter ist unter Schock im Fernsehen. Da fragt man sich schon, wieso war man so …“ – er vollendet den Satz nicht. Er muss es auch nicht. Die Menschen in der Nachbarschaft wurden an diesem Tag aus ihrem Alltag gerissen, mussten plötzlich um ihre Familie und Freunde bangen. Einige wollen jetzt am Abend in der Kneipe die Geschehnisse sacken lassen, darüber reden. „Es muss wieder Normalität einkehren“, sagt Michael, er steht mit in der Runde. „Was die wollen, ist ja, dass man Angst hat, dass man sich dreimal überlegt, ob man heute Abend noch rausgeht. Das ist doch deren Plan.“ Doch wie so vieles, was der Täter für diesen Tag geplant hatte, ist auch das nicht vollständig aufgegangen.

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1 Kommentar

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  • Angst und Schrecken zu verbreiten ist nunmal Ziel von Terror, deshalb heißt er so.