Halbzeit für Rot-Rot-Grün: Klappt ganz gut! Klappt gar nicht!
Was hat Rot-Rot-Grün von den Zielen im Koalitionsvertrag bislang umgesetzt? Und was nicht? Eine Bestandsaufnahme (Teil 2).
Halbzeit von Rot-Rot-Grün: Die taz.berlin nimmt das zum Anlass für eine Bestandsaufnahme: Was hat R2G in der ersten Hälfte der Legislaturperiode von den Zielen im Koalitionsvertrag in den Bereichen Digitales, Inklusion, Klima, Bildung, Soziales, Sicherheit, Verkehr, Wohnen, Arbeit und Kultur umgesetzt? Und was nicht? Hier die zweite Hälfte der Bilanz, nach Ressorts sortiert.
SICHERHEIT
Ursprünglich hatte es geheißen, der oder die unabhängige Polizeibeauftragte werde 2019 die Arbeit aufnehmen. Inzwischen ist klar: Vor 2020 wird das nichts. Und selbst das ist ungewiss, wenn sich Rot-Rot-Grün in der Innenpolitik weiter so beharkt wie bisher.
Dass Berlin eine unabhängige Beschwerdestelle für Polizeiangelegenheiten bekommt, war Grünen und Linken ein Herzensanliegen, als sie 2016 den Koalitionsvertrag schlossen. Manche Kröte der SPD haben sie dafür geschluckt. Womit Grüne und Linke nicht gerechnet haben, ist, dass die Sozialdemokraten die Umsetzung ihres Lieblingsprojekts einmal blockieren könnten, nach dem Motto: Erst nickt ihr ab, dass wir das Polizeirecht (Asog) verschärfen, dann bekommt ihr euren Beauftragten.
Ihre Pläne hat die SPD bereits in einen Gesetzesentwurf gekleidet. Konkret geht es um Dinge wie die Einführung der elektronischen Fußfessel für Gefährder, den finalen Rettungsschuss für die Polizei, die Telefonüberwachung zur Gefahrenabwehr mittels des Einsatzes stiller SMS und sogenannter Imsi-Catcher. Im Koalitionsvertrag steht davon kein Wort.
Grüne und Linke haben signalisiert, dass sie das nicht mittragen. Die SPD verweist zur Begründung auf den islamistischen Anschlag auf dem Breitscheidplatz im Dezember 2016. Wegen andauernder Terrorgefahr benötige die Polizei erweiterte Befugnisse. Auch eine Videoüberwachung an ausgewählten kriminalitätsbelasteten Orten will Innensenator Andreas Geisel (SPD) einführen.
In keinem anderen Ressort blockiert sich die Koalition so wie in der Innenpolitik. Liberalisierung des Versammlungsgesetzes? Entkriminalisierung von Vermummung? Nichts von den Vorzeigeprojekten von Linken und Grünen kommt voran. Stattdessen wird gepockert und gezockt. Bei der Senatssitzung am 5. März 2019 verweigerte Geisel seine Zustimmung zu der von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) eingebrachten Bundesratsinitiative zur Entkriminalisierung des Schwarzfahrens. Eigentlich war sich die Koalition in der Frage längst einig. Geisel wolle noch Gespräche auf Bundesratsebene abwarten, hieß es plötzlich. Inoffiziell verlautete, die SPD halte sich so lange zurück, bis Grüne und Linke der Asog-Änderung zugestimmt hätten.
Trotzdem ist in der Innenpolitik natürlich einiges passiert: Der Polizeipräsident wurde durch eine Polizeipräsidentin ersetzt, die Ausstattung der Polizeikräfte verbessert, die Polizeiakademie verzeichnet pro Jahr 1.200 Neuzugänge, 2021 sollen 18.000 Vollzugsstellen besetzt sein. Mobile Wachen wurden eingerichtet, die Streifentätigkeit an Kriminalitätsschwerpunkten verstärkt, und Straftaten sind zurückgegangen. Ein bürgerrechtsfreundliches Projekt indes fehlt. Plutonia Plarre
VERKEHR
Der Verkehr ist ein grünes Kernthema unter R2G – auch wenn die Ökopartei mit Regine Günther als der zuständigen Senatorin eine Parteilose ins Amt gehievt hat. Ob die Klimaexpertin die Richtige für die lokale Verkehrswende ist, war in der Partei umstritten, neuen Auftrieb bekamen die KritikerInnen, als Günther Ende 2018 ihren schwer erkrankten Staatssekretär Jens-Holger Kirchner entließ. Am Ende musste der Regierende Bürgermeister deeskalieren, indem er Kirchner einen Job in der Senatskanzlei zusicherte.
Wie auch immer: Mobilität ist ein Megathema dieser Tage, und der Erfolg von R2G auf diesem Feld wird keineswegs nur am Ausbau der Radinfrastruktur gemessen werden. Auch die Erneuerung des Öffentlichen Nahverkehrs wird entscheidend sein, denn die Koalition hat – möglicherweise etwas spät – realisiert, dass die Sparerei der Wowereit-Ära letztlich ihr auf die Füße fällt: Seit Langem schon kämpft die BVG vor allem unter Tage mit marodem Gerät und mit hohen Krankenständen und wachsender Unzufriedenheit in der gesamten Belegschaft. Für die KundInnen heißt das: Warten, Quetschen, Fluchen.
Gut für Rot-Rot-Grün, dass die Steuereinnahmen sprudeln. So konnten Günther und ihre Kollegin Ramona Pop als BVG-Aufsichtsratschefin vor Kurzem den neuen Nahverkehrsplan vorstellen, der mit einer riesigen Geldspritze verbunden ist: Bis 2035 bewegt der Berliner ÖPNV einen Betrag von 28,1 Milliarden Euro, im Schnitt fast 700 Millionen Euro mehr pro Jahr. Viel davon fließt in den massiven Ausbau bzw. die Erneuerung der Fuhrparks von Tram, U-und S-Bahn sowie die komplette Elektrifizierung der Busflotte. Schon bis 2021 sollen drei neue Tram-Linienabschnitte in Betrieb gehen.
Auch die bessere Verzahnung von Berlin und Brandenburg treibt R2G im Rahmen des Projekts i2030 voran. Dabei geht es unter anderem um den zweigleisigen Ausbau von S-Bahnstrecken, aber auch die Reaktivierung gänzlich verödeter Trassen wie der alten Stammbahn, der Direktverbindung zwischen der Berliner Innenstadt und Potsdam.
Zu sehen und spüren ist von all dem bislang freilich noch nichts. Noch quietschen die U-Bahnen verspätet um die Kurve, noch versinkt die Stadt fast jeden Morgen und Nachmittag im Stau, obwohl nicht einmal die Hälfte der Berliner Haushalte einen Pkw ihr Eigen nennt. Dass ausgerechnet jetzt die zur DDR-Zeit erbauten Brücken schlapp machen, ist noch so ein unverschuldetes, aber schwieriges Erbe.
Immerhin im Geldbeutel merken manche bereits eine angenehme Veränderung: Schon 2017 senkte die Koalition den Preis für das Sozialticket von 36 auf 27,50 Euro und erweiterte den Personenkreis, der Anspruch darauf hat. Und schon ab Herbst 2019 wird sich der Ticketkauf für alle SchülerInnen erübrigen, sie fahren dann kostenlos. Claudius Prößer
ARBEIT
Rot-Rot-Grün hatte angekündigt, sich für „gute Arbeit“ einsetzen und prekäre Jobs verdrängen zu wollen. Auf die private Wirtschaft hat der Senat wenig Einfluss. Wohl aber auf die Vergabe öffentlicher Aufträge: Das Gesetz dazu wird derzeit überarbeitet, es soll vor allem bürokratische Hürden abbauen. Firmen, die öffentliche Aufträge annehmen, sollen in Zukunft einen Mindestlohn von 11,30 Euro zahlen, so der Vorschlag von Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne). Zum Vergleich: Der gesetzliche Mindestlohn liegt seit Januar bei 9,19 Euro. Ob es bei 11,30 Euro bleibt, muss man sehen. Das Vergabegesetz geht jetzt durch die Instanzen, soll aber noch in diesem Jahr verabschiedet werden.
Im Koalitionsvertrag hat sich Rot-Rot-Grün vorgenommen, Langzeiterwerbslose in Arbeit zu bringen. Mit dem vor allem von Michael Müller angeschobenen Modellprojekt eines „Solidarischen Grundeinkommens“ sollen ab Juli 1.000 BerlinerInnen, die mindestens ein Jahr, aber nicht länger als drei Jahre arbeitslos sind, einen öffentlich geförderten Job bekommen. Die Arbeit soll dem Gemeinwohl dienen und etwa bei einem sozialen Träger oder einer Wohnungsbaugesellschaft angesiedelt sein. Eine sicherlich gute, relativ teure Initiative, angesichts der 111.000 erwerbsfähigen Langzeitarbeitslosen in Berlin allerdings auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Antje Lang-Lehndorf
WOHNEN
Vielleicht kommt es Katrin Lompscher zupass, dass ihre Verwaltung nicht mehr Senatsverwaltung für Bauen und Wohnen heißt, wie es in seligen SPD-Zeiten der Fall war, als noch gestandene Bausenatoren die Kräne tanzen und manchmal auch die Distanz zu Investoren aller Couleur vermissen ließen.
Seit die Linken-Politikerin Lompscher das Ressort übernommen hat, heißt es Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen – kurz: SenSW –, und genau so agiert die Senatorin auch. In der Stadtentwicklung hat sie freilich auch starke Konkurrenten.
Zwar hat Lompscher mit der Stadtwerkstatt Mitte die Rekonstruktion der Berliner Altstadt zwischen Rotem Rathaus und Marienkirche endgültig auf den Sankt Nimmerleinstag verbannt. An symbolisch aufgeladenen Orten wie dem Haus der Statistik oder dem Dragonerareal, wo die Bezirke das Sagen haben, ist aber eher Senatskollege Kollatz vom Finanzressort präsent. Und vom „An sich ziehen“, was sie kraft ihres Amtes könnte, hält sie nicht viel, wie sie gerade erst wieder bekundete. So lässt Lompscher etwa die Hängepartie am Pankower Tor laufen, wo sich der Bezirk an den Grünen die Zähne ausbeißt, die dort in bester alter Investitionsverhinderungsmanier bremsen, in der Hoffnung, der Investor schmeißt hin.
Umso engagierter ist Lompscher beim Wohnen. Die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften hat sie auf Mieterfreundlichkeit getrimmt wie noch keiner ihrer Vorgänger. Dass ihr die SPD vorwirft, zu sehr auf die „Bestandsmieter“ zu schauen, ist insofern seltsam, als es Michael Müller war, der diesen Kurs einst begonnen hatte. Aber der Vorwurf hat natürlich mit dem geänderten Namen der Verwaltung zu tun. Auch ohne ihn soll Lompscher nämlich Bausenatorin sein, mindestens aber die 30.000 landeseigenen Wohnungen bauen, die R2G im Koalitionsvertrag versprochen hat. Dass sie eher bei 24.000 oder 25.000 landen wird, wird ihr als Makel noch lange anhaften – gerade das Bauen ist eine mögliche Sollbruchstelle bei Rot-Rot-Grün.
Dabei nimmt Lompscher an anderer Stelle durchaus eine Vermittlerrolle ein. Während die SPD nur den landeseigenen Gesellschaften vertraut und die Grünen auch ihre Baugruppenklientel bedienen muss, sucht die Linke den Mittelweg und findet ihn bei den „gemeinwohlorientierten“ Akteuren. Gemeint sind dabei auch Genossenschaften oder das Mietshäusersyndikat, die dauerhaft Wohnungen der Marktspekulation entziehen. Fazit: Dass die SPD das Bauressort verloren hat, hat den Berlinerinnen und Berlinern nicht geschadet. Im Gegenteil. Uwe Rada
KULTUR
Der Start von Klaus Lederer vor zweieinhalb Jahren war eher holprig, denn sofort bekam er den Streit um die Volksbühne an den Hals. Doch spätestens, als Berlins beliebtester Politiker im Kulturausschuss Anfang September 2017 den Doppelhaushalt 2018/19 vorstellen durfte, scheint oft ziemlich gute Laune zu herrschen in der Senatsverwaltung für Kultur und Europa. Dank unverhofft hoher Steuereinnahmen und einer beträchtlichen Aufstockung des Hauptstadtkulturfonds hat der Linken-Politiker seit einem Jahr einen wahren Goldregen auszuschütten. Zahlreiche Berliner Kreative, Kulturinstitutionen und Projekte, die in den letzten Jahren oft prekär unterwegs waren, geht es seit 2018 deutlich besser.
Lederer hat ein unverkennbares Faible für kulturelle Bildung: Die Musikschulen bekommen 20 Prozent feste Mitarbeiter, der Topf für die bezirkliche Kulturarbeit wurde verdoppelt, es gibt einen Bibliotheksentwicklungsplan. Und trotzdem ist es die wachsende, teurer werdende Stadt, die er vor allem im Blick hat. So wurde ein großer Teil der neuen Gelder wie im Koalitionsvertrag angekündigt dazu verwandt, zumindest dort soziale Mindeststandards zu erreichen und nach Tarif zu bezahlen, wo das Land fördert. Ein wichtiger Schritt, denn schließlich weiß jeder, dass die Angst vor steigenden Mieten und Verdrängung nicht gerade die Kreativität fördert.
Gleichzeitig dreht sich vieles darum, bezahlbaren Raum zu erhalten und neu zu schaffen: Da sind zum einen die Kulturimmobilien, die Lederer gerettet hat: Das Radialsystem V, das Atelierhaus in der Prenzlauer Promenade, das Theater O. N. sind in trockenen Tüchern. Auch ist beschlossen, die Alte Münze, die alte Hochschule für Schauspielkunst und die Universal Hall zu entwickeln.
Hinzu kommen die 2.000 neuen Ateliers, die laut Koalitionsvertrag bis 2021 entstehen sollen. „Ein ambitioniertes Projekt“, heißt es aus der Pressestelle des Senats, besonders in Anbetracht der aktuell nur „1.000 geförderten Arbeits- bzw. Arbeits- und Wohnräume für Künstlerinnen und Künstler“. Genaue Zahlen gibt es zwar noch keine, aber man lässt verlauten, es befinde sich in der aktuellen Planung und Umsetzung „eine dreistellige Zahl weiterer Arbeitsräume“. Außerdem habe man mit den Städtischen Wohnungsbaugesellschaften und der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) einige Neubauprojekte angeschoben. Man sei also durchaus „auf einem guten Weg“. Susanne Messmer
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