Haftstrafen gegen Dissidenten und Anwalt: Ägypten sperrt Kritiker weg
Das Regime in Kairo hat den Aktivisten Alaa Abdel Fattah und zwei Mitangeklagte zu Haftstrafen verurteilt. Zuvor hatte Berlin interveniert – erfolglos.
Sie waren angeklagt, Falschmeldungen verbreitet und die sozialen Medien missbraucht zu haben, sowie einer illegalen Gruppe anzugehören, die staatliche Institutionen daran gehindert habe, ihrer Pflicht nachzukommen. Sie können nicht in Berufung gehen. Die drei haben bereits mehr als zwei Jahre in Untersuchungshaft gesessen, was eigentlich nach ägyptischem Gesetz nicht erlaubt ist.
Die Bundesregierung hatte die bevorstehende Urteilsverkündung in einer Erklärung „als richtungsweisendes Signal für die Entwicklung der Menschenrechtslage in Ägypten“ bezeichnet. „Die Bundesregierung erwartet, dass sich die ägyptische Regierung für ein faires Verfahren und die Freilassung einsetzt“, hieß es. „Rechtsanwälte dürfen nicht für die Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit bestraft werden.“
Kairo hatte die Vorwürfe vehement zurückgewiesen und jegliche Einmischung in interne Angelegenheiten abgelehnt. „Die deutsche Regierung sollte ihren eigenen Herausforderungen mehr Aufmerksamkeit schenken, anstatt anderen ihre Vormundschaft aufzuzwingen“, heißt es in einer Replik.
Mutter meldet sich in NYT zu Wort
Baqer wurde im September 2019 nach der Festnahme Fattahs selbst verhaftet und wurde dann im selben Fall wie sein Mandant angeklagt, beschreibt die Bundesregierung den Hintergrund ihrer Intervention. Unmittelbar zuvor hatte es Proteste gegen Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi gegeben.
Baqer befände sich seit über zwei Jahren in widerrechtlicher Untersuchungshaft unter sehr schlechten Haftbedingungen und stehe nun vor einem Notstandsgericht ohne Möglichkeit zur Einlegung von Rechtsmitteln. Noch vor Abschluss seines Verfahrens sei er darüber hinaus von der ägyptischen Regierung als Terrorist eingestuft, heißt es weiter.
Auch in den USA genießt der Fall Aufmerksamkeit. Laila Soueif, die Mutter Abdel Fattahs, hatte sich in einer Kolumne in der New York Times direkt an die Öffentlichkeit gewandt. Das Verbrechen ihres Sohnes sei, „dass er, wie Millionen anderer junger Menschen in Ägypten geglaubt hat, dass eine andere Welt möglich ist“, schreibt sie.
Soueif beschreibt auch die bisherigen Haftbedingungen ihres Sohnes. „In der Nacht, in der ins Gefängnis gebracht wurde, haben sie ihn nackt ausgezogen und geschlagen – in einer Prozedur, die andere Gefangenen als ‚Willkommensparty‘ beschreiben.“ Ihrem Sohn werde Lesematerial verweigert. Er dürfe kein Radio und keine Uhr haben. Er dürfe seine Zelle nur verlassen, wenn er Besuche bekomme oder wenn er vor Gericht müsse.
USA stellen Militärhilfe infrage
Abdel Fattah, der zu den Aktivisten gehört, die den Aufstand gegen den gestürzten Diktator Hosni Mubarak 2011 maßgeblich mitgeformt haben, wurde 2013 beim Protest gegen ein verschärftes Demonstrationsgesetz festgenommen und zu einer Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt. Ein halbes Jahr nach Ende der Haft wurde er 2019 erneut festgenommen und befindet sich seitdem in Gewahrsam.
Abzuwarten bleibt, wie die US-Regierung auf die neuerlichen Urteile in Ägypten reagieren wird. Laut einem Bericht der Washington Post, die sich auf die Informationen eines nicht namentlich genannten Regierungsbeamten bezieht, will die Regierung unter US-Präsidenten Joe Biden die jährlichen 1,3 Milliarden US-Dollar Militärhilfe an Ägypten an Bedingungen knüpfen. Nach längeren Verhandlungen wurden 170 Millionen Dollar an Ägypten für Antiterrormaßnahmen und Grenzsicherung freigegeben. Weitere 130 Millionen sollen folgen, wenn 16 nicht namentlich genannte Personen freigelassen werden. Unklar ist, ob Fattah, mit auf dieser Liste steht.
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