Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu: Er wird nicht mehr kommen
Auch angegriffene Staaten dürfen nicht alles. Israels Regierungschef müsste jetzt festgenommen werden. Doch die Diskussion ist eher theoretisch.
![Außenansicht des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in Den Haag Außenansicht des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in Den Haag](https://taz.de/picture/7371194/14/37069805-1.jpeg)
E s gibt keinen Krieg, der gerechtfertigter ist als der, den Israel seit dem 7. Oktober 2023 in Gaza führt“, sagte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, als er von dem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) erfuhr.
Das ist eine Nebelkerze. Natürlich erkennt der Gerichthshof das Selbstverteidigungsrecht Israels an. Doch auch ein angegriffener Staat darf bei seiner Verteidigung keine Kriegsverbrechen und keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen. Nur darum geht es in den Haftbefehlen. Ob das gesammelte Material am Ende eine Verurteilung trägt, kann erst in einer mündlichen Verhandlung geklärt werden – wenn es je dazu kommt.
Der Gerichtshof hat auch nicht Israel und die Hamas gleichgestellt. Zwar wurden am gleichen Tag sowohl Haftbefehle gegen Netanjahu und Ex-Verteidigungsminister Yoav Gallant als auch gegen Hamas-Militärchef Mohammed Deif erlassen. Damit wollte der IStGH aber offensichtlich deutlich machen, dass er nicht einseitig gegen Israel vorgeht. Das war dem Gerichtshof offensichtlich so wichtig, dass er sogar einen Haftbefehl gegen Mohammed Deif beschloss, obwohl der wahrscheinlich seit Monaten nicht mehr lebt.
Unter vier Augen künftig in Israel
Natürlich wäre der Internationale Strafgerichtshof unzuständig, wenn Israel selbst mögliche Kriegsverbrechen in Gaza verfolgen würde. Damit hatte die Bundesregierung im Vorfeld der Haftbefehle argumentiert. Allerdings reicht die bloße Möglichkeit nicht aus. Israel müsste wirklich ernsthafte Ermittlungen gegen Netanjahu und Gallant einleiten. Diese Möglichkeit besteht auch weiterhin. Doch solange Netanjahu Ministerpräsident ist, kann damit wohl kaum gerechnet werden.
Die Bundesrepublik muss nun – wie alle 124 Vertragsstaaten, die den IStGH tragen – Netanjahu und Gallant festnehmen, sobald sie deutschen Boden betreten. Sie kann sich dieser Pflicht auch nicht durch den Hinweis auf Netanjahus völkerrechtliche Immunität als Regierungschef entziehen. Zwar ist Israel kein Vertragsstaat des IStGH. Doch das ist Russland auch nicht. Und dennoch hat die Bundesregierung im Vorjahr erklärt, sie würde Wladimir Putin verhaften, nachdem der IStGH gegen ihn im März 2023 einen Haftbefehl erlassen hat. Putin und Netanjahu müssen (bei allen sonstigen Unterschieden) im Hinblick auf die Immunität gleichbehandelt werden.
Ob Netanjahu verhaftet würde, ist aber eine eher theoretische Diskussion. Denn Netanjahu wird nicht mehr nach Deutschland kommen, solange der Haftbefehl besteht. Dafür wird schon die Bundesregierung sorgen, die sich so die heikle Abwägung zwischen Unterstützung für Israel und Unterstützung für den Internationalen Strafgerichtshof erspart. Wenn etwas unter vier Augen besprochen werden muss, werden deutsche Kanzler eben nach Israel reisen müssen.
Einschätzungsspielraum in außenpolitischen Fragen
Auf die Frage, ob Deutschland Waffen nach Israel liefern kann, werden die Haftbefehle nur mittelbare Auswirkungen haben. Die derzeitige Regierung von Olaf Scholz hält Waffenlieferungen für vertretbar, weil Israel zugesagt hat, die Waffen nur völkerrechtskonform einzusetzen. Dass der IStGH nun die bisherige Kriegsführung für illegal und strafbar hält, dürfte den Wert solcher Zusagen allerdings erschüttern, vor allem, solange Israel die Einschätzung des IStGH in keiner Weise akzeptiert.
Die Bundesregierung hat in außenpolitischen Fragen aber einen weiten Einschätzungsspielraum, den auch die von Palästinensern angerufenen deutschen Verwaltungsgerichte bisher betonten. Die Frage der Waffenlieferungen bleibt also eine politische Frage, bei der aber die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs nun die Rahmenbedingungen verändert, sowohl national als auch international.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?
Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien
Wege und Irrwege aus München
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben