Habeck vor der Bundestagswahl: Friede, Freude, Wahlkampf
Habeck demonstriert Harmonie mit Baerbock, linke Grüne finden freundliche Worte für Habeck. Im Wahlkampf suchen die Grünen eine gemeinsame Basis.
In seinem neuesten Webvideo ist Robert Habeck echt nett. In dem Clip vom Mittwoch erzählt der Wirtschaftsminister und Vizekanzler, dass er wegen eines kaputten Fliegers seinen Bundestagsauftritt nach der Regierungserklärung verpasst hat. Aber nicht schlimm: „Etwas Großartiges ist passiert. Annalena Baerbock ist eingesprungen und hat eine famose Rede gehalten.“
Wie bitte? War da nicht mal was? Der Bruch zwischen Habeck und Baerbock, nachdem sie ihm die letzte Kanzlerkandidatur weggeschnappt hatte? Falls von dem Zwist noch etwas übrig ist: Wirtschaftsminister und Außenministerin lassen es sich in diesen Tagen nicht anmerken. Sie wirken so innig wie selten zuvor. Perfektes Timing: Der Bundestagswahlkampf hat begonnen. Geschlossenheit ist jetzt wichtig. Bei den Grünen gilt das nicht nur für das Spitzenduo, sondern auch für die Ebenen darunter. Am Freitag beginnt der Parteitag in Wiesbaden. Harmonie ist zwar nicht garantiert, könnte in zentralen Punkten aber gelingen.
Das sah in den vergangenen Monaten anders aus. Nachdem der bisherige Bundesvorstand um Ricarda Lang und Omid Nouripour seinen Rücktritt angekündigt hatte, zog sich die Suche nach einem neuen Personaltableau lange hin. Die Parteiflügel konnten sich über Wochen nicht einigen, mäkelten ausgiebig an den Kandidat*innen der jeweils anderen Seite herum. Aus dem linken Flügel schlug auch Habeck als designiertem Kanzlerkandidaten Misstrauen entgegen: Man müsse ihm dringend klarmachen, so der Tenor, dass er im Wahlkampf grüne Positionen zu vertreten habe.
Seitdem die Ampel im Grunde Geschichte ist und Neuwahlen feststehen, sind all diese Dispute leiser geworden. Für die Wahl des neuen Vorstands um Franziska Brantner und Felix Banaszak am Samstag gibt es zwar Gegenkandidat*innen von der Basis, Chancen haben sie aber nicht. Auf der Funktionärsebene wird die neue Personalaufstellung nicht mehr infrage gestellt. Und ob die neuen Vorstandmitglieder mit 70 oder 90 Prozent gewählt werden, wird ohnehin nicht lange interessieren. Überstrahlt wird alles von der offiziellen Nominierung Habecks als Kanzlerkandidat am Sonntag.
Auch die Kritik an ihm ist seit vergangener Woche zumindest öffentlich leiser geworden. Beide Seiten sind aufeinander zugegangen. Auch der linke Flügel hat ein Interesse daran, dass die Grünen Mandate und Einfluss behalten, also erst mal ein gutes Wahlergebnis erzielen. Da der Wahltermin so abrupt nähergerückt ist, hat die Lust an der öffentlichen Auseinandersetzung abgenommen.
Auf der anderen Seite wirkt Robert Habeck befreit, seitdem er den ersten Schrecken des Koalitionsbruchs überwunden hat. Er muss jetzt nicht mehr als Vizekanzler von Rot-Grün-Gelb auftreten, sondern kann wieder freier als Grünen-Kandidat sprechen. In seinem Küchentisch-Video, in dem er vergangenen Freitag seine Kandidatur ankündigte, fielen Sätze, die sich Parteilinke schon lange von ihm gewünscht hatten. Etwa, dass er sich „um die soziale Frage kümmern“ wolle. Auch den direkten Austausch mit linken Grünen hat Habeck zuletzt gesucht – und dem Vernehmen nach überzeugt.
Das Misstrauen ist zwar nicht ganz verflogen. Zumindest aber wird es mittlerweile freundlicher formuliert, etwa von der Bundestagsabgeordneten Karoline Otte: „Ich bin überzeugt, dass Robert Habeck in diesem Wahlkampf für uns Grüne soziale Sicherheit starkmachen wird“, sagt sie.
Allerdings heißt das nicht, dass am Wochenende überhaupt keine Debatten zu erwarten sind. Grünen-Geschäftsführerin Emily Büning sagt, sie sehe „auch potenziell inhaltlich kontroverse Themen“. Interessant wird es vor allem am Samstagabend, wenn die beiden Anträge mit den meisten Änderungsanträgen – also dem größten Gesprächsbedarf – auf der Tagesordnung stehen.
Karoline Otte, Grüne
In einem davon buchstabiert der linke Europa-Abgeordnete Rasmus Andresen aus, was mit sozialer Gerechtigkeit konkret gemeint sein könnte. Er fordert zum Beispiel eine Vermögensteuer – die in der Partei umstritten ist. Im anderen fordert sein EU-Kollege Erik Marquardt, ebenfalls vom linken Flügel, eine Migrationspolitik, die „Menschenrechte als Vorteil begreift und die Würde der Menschen ins Zentrum stellt“. Er baut zwar Brücken zum anderen Lager, will die kürzlich verabschiedete EU-Asylrechtsreform GEAS ausdrücklich nicht zurückdrehen und fordert ein hartes Durchgreifen bei „schweren Straftätern oder religiösen Extremisten“. Realos fordern in Änderungsanträgen trotzdem schärfere Positionen, zum Beispiel Abschiebungen nach Afghanistan.
Die Grüne Jugend schlägt dagegen den kategorischen Satz vor, dass die Partei „weitere Asylrechtsverschärfungen ablehnt“. An anderen Stellen beantragt sie ein Tempolimit von 80 Kilometern pro Stunde auf Landstraßen und ein Bekenntnis zum Lieferkettengesetz, das zur Einhaltung von Menschenrechten verpflichtet – an das Habeck gerade noch die „Kettensäge“ anlegen wollte.
Dass es tatsächlich zu offenen Debatten und Kampfabstimmungen zu all diesen Punkten kommt, ist nicht garantiert. Bis zum Schluss laufen Verhandlungen über die Anträge. Bis Donnerstagmittag gab es zu den strittigen Punkten aber zumindest noch keine Einigungen. Falls es dabei bleibt und sich auf dem Parteitag die Linken mit ihren Positionen durchsetzen, ist die große Frage für die kommenden Monate klar: Fügt sich Habeck und vertritt im Wahlkampf Positionen, die er für falsch hält? Oder ist es mit der Harmonie schnell wieder vorbei, weil er im Zweifel doch sein eigenes Ding macht? Parteibeschlüsse, das hat Habeck im Lauf seiner Karriere immer wieder gesagt, sind ihm nicht wichtig. Für andere Grüne sind sie das Wichtigste überhaupt.
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