HSV und Flüchtlinge in Hamburg: Nicht auf meinem Parkplatz
In Hamburg wird über eine neue Erstaufnahmestelle am HSV-Stadion diskutiert. Doch der Fußballverein lehnt das ab.
Freie Wohnungen gibt es in der Hansestadt schon lange nicht mehr. Alles Mögliche hat der SPD-Politiker deshalb schon ausprobiert: Kasernen, ein Wohnschiff, Hotels. Geholfen hat es wenig. Längst sind Innen- und Sozialbehörde auf Wohncontainer und Zelte umgestiegen – und selbst dabei geraten sie an ihre Grenzen. So gab es am Wochenende Wirbel um eine geplante Erweiterung der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in der Nähe des Hamburger Volksparkstadions.
Der Hamburger Sportverein (HSV) wehrte sich gegen Vorwürfe, er lehne eine solche Erweiterung ab. Das Hamburger Abendblatt hatte berichtet, der Fußball-Bundesligist habe die Unterbringung zusätzlicher Flüchtlinge auf einem Stadionparkplatz untersagt. Der HSV betonte dagegen, es gehe nicht um die Frage, „ob weitere Flächen zur Verfügung gestellt werden, sondern wo“.
Auf seiner Internetseite erklärte der HSV, er sei derzeit in engem Austausch mit der Stadt, um die Ausweitung der Flüchtlingsunterkünfte in und am Volkspark zu prüfen. In der Stellungnahme zitiert der Bundesligist Hamburgs Innen- und Sportsenator Michael Neumann (SPD) mit den Worten: „Der HSV hat sich zuletzt und auch in dieser Frage absolut kooperativ verhalten. Die zu klärende Frage ist lediglich, wie wir die Ausweitung der Unterkünfte bestmöglich mit dem Spielbetrieb des HSV in Einklang bringen können. Wir sind hierzu in einem positiven und konstruktiven Austausch.“
Entlastung der Stadtstaaten
Auch wenn der HSV nur seinen Spielbetrieb gewährleistet sehen will, wirft das auch ein Licht auf die Lage in der Hansestadt. Im ersten Halbjahr haben sich in Hamburg mehr als 12.500 Flüchtlinge in der Zentralen Erstaufnahme gemeldet und einen Asylantrag gestellt. Das sind mehr als im gesamten Jahr 2014.
Sozial- und Innenbehörde sind inzwischen sogar schon so weit, dass sie in ihrer Not auf der grünen Wiese am Stadtrand Flüchtlingslager für bis zu 3000 Menschen planen.
Schon vor einem Jahr hat Scheele deshalb vorgeschlagen, sich über die Verteilung von Flüchtlingen in Deutschland neu Gedanken zu machen. Der Königsteiner Schlüssel – er bestimmt nach Einwohnerzahl und Steueraufkommen, wie viele Flüchtlinge in den einzelnen Bundesländern untergebracht werden müssen – sei zumindest für Stadtstaaten mit wenig Platz und angespanntem Wohnungsmarkt kaum noch zu erfüllen.
Seine Idee: Wenigstens auf freiwilliger Basis sollte es doch möglich sein, Flüchtlinge vermehrt dort unterzubringen, wo viele Wohnungen leer stehen oder gar abgerissen werden – etwa in Teilen des Ruhrgebiets oder der neuen Länder. „Wir finden in Hamburg keine Wohnungen, kaufen einen Container nach dem anderen, und woanders wird Wohnraum vernichtet. Das ist verrückt“, sagt Scheele.
Flüchtlinge stabilisieren die Infratruktur
Hamburg würde entsprechend dem Sozialgesetzbuch auch dafür bezahlen, sagt er. Seiner Meinung nach hätten aufnehmende Länder auch Vorteile davon, Hamburgs Flüchtlinge zu übernehmen. Flüchtlingsfamilien könnten stabilisierend auf die Infrastruktur in bevölkerungsarmen Gegenden wirken, etwa wenn wegen der zusätzlichen Kinder Schulen und Kitas doch nicht geschlossen werden müssten. Oder wenn sich wegen der höheren Bevölkerungszahl doch noch ein Arzt findet, der in dem Ort eine Praxis unterhalten will.
Auch wenn Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) als erster Regierungschef eines Flächenlandes inzwischen ähnliche Überlegungen anstellt – die Begeisterung anderer Länder hält sich ob Scheeles Ansinnen bislang in Grenzen. Das hat auch schon Hamburgs CDU-Oppositionschef André Trepoll festgestellt. So hätten ihm CDU-Kollegen aus dem Osten zu verstehen gegeben, dass die Aufnahmekapazitäten in ihren Ländern begrenzt seien – „obwohl ganz Thüringen so viele Flüchtlinge aufgenommen hat wie Köln. Das muss man sich mal vorstellen“.
Hamburgs direkte Nachbarn Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern argumentieren ähnlich. Aus Kiel und Schwerin heißt es im Klartext: Wir haben selbst genug Probleme und zudem ebenfalls große Mühe, Unterkünfte für Flüchtlinge zu finden.
Offiziell sagt Schleswig-Holsteins SPD-Innenminister Stefan Studt: „Die bundesweite Verteilung der Flüchtlinge auf die Bundesländer nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel hat sich bewährt.“ Und sein CDU-Innenministerkollege aus Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier, betont: „Bei der Verteilung von Asylbewerbern ist der Schlüssel für die Länder eine verlässliche und vor allem berechenbare Größe.“
„Die meisten werden bleiben“
Folgerichtig stellt Studt fest: „Es ist derzeit nicht absehbar, dass die schon bestehenden, aber auch die zeitnah zu errichtenden Erstaufnahmeeinrichtungen über freie Kapazitäten zur Aufnahme von Flüchtlingen aus anderen Bundesländern verfügen werden.“
Dabei geht es längst nicht mehr nur um die Erstaufnahme. Der Flüchtlingsstrom werde in absehbarer Zeit kaum abreißen, sind sich die Experten sicher. Mehr noch: Anders als nach der Balkankrise in den 1990er Jahren, als die meisten Flüchtlinge wieder in die Heimat zurückgingen, „müssen wir jedoch davon ausgehen, dass die meisten bleiben werden“, mahnt Scheele.
Also Flüchtlingsdörfer aus Containern auf Jahrzehnte hinaus? Der Senator will nicht immer nur über Belastungen durch die Flüchtlinge reden. „Wir müssen herausfinden, was die Flüchtlinge für Qualifikationen haben und wie man sie in Arbeit bringen kann“, sagt Scheele, der im Herbst in den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit wechselt. „Außerdem müssen alle Kinder zur Schule gehen und eine Ausbildung machen. Parallel dazu muss das Wohnungsbauprogramm noch einmal ausgeweitet werden.“ Angesichts der demografischen Entwicklung könne man dem Thema so durchaus auch eine positive Seite abgewinnen.
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