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HBO-Serie „The Chair Company“Der weiße Mann als Opfer

In „The Chair Company“ zeigt Tim Robinson den alltäglichen Wahnsinn eines Verschwörungsopfers. Die Serie setzt die US-Vorstadthölle genial in Szene.

Szene aus der Serie „The Chair Company“ mit Tim Robinson Foto: Sky

Eigentlich läuft es für den Mittvierziger Ron Trospor (Tim Robinson) gerade richtig gut. Dem Familienvater aus der Kleinstadt Canton in Ohio wurde als Projektentwickler einer Immobilienfirma erstmals die Bauleitung eines Einkaufszentrums übertragen. Als er zum Projektstart vor versammelter Mannschaft eine Rede hält, erntet er jede Menge Applaus, auch sein Boss ist begeistert.

Aber als Ron sich wieder hinsetzt, bricht der Bürostuhl unter ihm zusammen. Er fällt, alle erschrecken, lachen dann und auch wenn Ron gute Miene zum bösen Spiel macht, geht ihm der Vorfall unglaublich an die Nieren.

Die HBO-Serie „The Chair Company“ von Tim Robinson, der auch schon Comedy-Star der legendären Saturday Night Live-Show auf NBC war, erzählt vom ganz normalen alltäglichen Wahnsinn eines weißen Mittelklasse-Mannes, der sich als gedemütigtes Opfer in eine Verschwörungsgeschichte hineinsteigert. Denn als Ron sich beim Bürostuhlhersteller beschweren will, landet er bei einer Hotline. Persönlicher Kontakt? Fehlanzeige! Auch auf der Webseite der Firma gibt es keine Möglichkeit der Beschwerde. Bis Ron dann doch eine Adresse findet, dorthin fährt, sich in einer leeren Fabrikhalle wiederfindet und kurz darauf auf einem Parkplatz niedergeschlagen wird.

The Chair Company

8 Folgen – ab 21.11. auf Sky

Eskalative Comedy

„The Chair Company“ ist absurde Comedy, die zum einen vom Büroalltag erzählt, aber auch Elemente eines 70er-Jahre-Thrillers hat. Als träfe „The Office“ auf „Die drei Tage des Condor“. Denn Ron ist bald davon überzeugt, einer großen Verschwörung auf der Spur zu sein. Einmal geht es seiner Meinung nach um internationalen Drogenhandel, dann um die Veruntreuung öffentlicher Gelder im großen Stil. Aber Ron bleibt nicht allein, denn in seinem Wahn begegnen ihm laufend weitere Männer, die ebenso verrückt sind und sich von ihm anstecken lassen.

Daneben kämpft er mit seinem Familienleben. Ehefrau Barb (Lake Bell) sucht seit Jahren vergeblich einen Geldgeber für eine Geschäftsidee, seine queere Tochter Natalie (Sophia Lillis) liegt im Clinch mit ihren zukünftigen Schwiegereltern und Teenager-Sohn Seth (Will Price) zieht sich gerne mit einem Sixpack Bier ins Kinderzimmer zurück und entwickelt ein handfestes Alkoholproblem.

Der rasant erzählte Achtteiler mit jeweils gerade mal 30 Minuten Länge pro Episode setzt die amerikanische Vorstadthölle genial in Szene. Ron läuft stets leicht gebeugt, flucht vor sich hin, hadert mit all seinen Arbeitskollegen und explodiert regelmäßig. Musikalisch unterlegt wird diese zum Teil ungemein anstrengend anzuschauende eskalative Comedy immer wieder mit schnellem Punksound.

Die Paranoia hat längst Oberhand

Ron ist das personifizierte Opfer, egal ob er Stress mit der Gleichstellungsbeauftragten im Betrieb bekommt, in eine Schlägerei in einer Bar gerät oder nachts unruhig im Bett liegt, nicht schlafen kann und plötzlich frustriert ausruft: „Ich habe das schlechteste Kissen der ganzen Stadt!“. Dabei versucht Ron als Prototyp des männlichen Wutbürgers mehrmals, die obsessive Bürostuhl-Verschwörung aufzugeben. Aber die Paranoia hat längst Oberhand.

Unterstützung bekommt er auf seinem Kreuzzug gegen die vermeintlichen Ungerechtigkeiten des Systems vom pornosüchtigen Security-Mitarbeiter Mike Santini (Joseph Tudisco), der sich zusammen mit Ron in die Abgründe der amerikanischen Kleinstadtwelt stürzt. Die zwei treffen auf alle möglichen schrägen Charaktere – vom Hausmeister, der gerade fremdgeht, über gescheiterte Schauspielexistenzen bis zum Büro-Chef, der seine Sinnkrise bekämpft, indem er Angestellte schikaniert.

Wer mehr wissen will vom Alltag in amerikanischen Kleinstadtbüros, der Idiotie männlicher Wut und dem dazugehörigen Opfergehabe, von verkorksten Internetrecherchen, Schlägereien in heruntergekommenen Restaurants und der pathologischen Halluzination von Familienidylle, ist bei dieser Serie genau richtig.

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1 Kommentar

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  • "Fremdschämen bezeichnet das Gefühl der Scham für das Verhalten oder die peinlichen Handlungen einer anderen Person. Es tritt auf, wenn man Zeuge von unangemessenem Verhalten wird und sich in die Lage dieser Person hineinversetzt. Dieses Gefühl ist oft mit einem starken Einfühlen in die betroffene Person verbunden, da man deren Peinlichkeit und Unbehagen miterlebt."



    Fazit: Ähnlichkeiten des "Helden" mit der eigenen kleinen Existenz sind gewollt und nicht zufällig!