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Gutachten zu VergesellschaftungEnteignen ist machbar, Herr Nachbar

Marie Frank
Kommentar von Marie Frank

Der schwarz-rote Senat will ein neues Gutachten zur Vergesellschaftung. Damit offenbaren CDU und SPD ein fragwürdiges Demokratieverständnis.

Die Ent­eig­nungs­ak­ti­vis­t*in­nen geben alles – und werden doch nicht erhört Foto: Jörg Carstensen/dpa

I ch mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt – das Lebensmotto von Pippi Langstrumpf scheint auch im Berliner Senat angekommen zu sein. Oder zumindest gutachten sie sich dort die Welt, bis sie ihnen gefällt. Doch was bei der neunjährigen Autonomen und Anarchistin ein sympathisches Lebensmotto ist, ziemt sich noch lange nicht für gewählte Re­gie­rungs­ver­tre­te­r*in­nen. Denn in der harten Realität macht im Gegensatz zu Astrid Lindgrens Kinderbuchwelt zwei mal drei eben nicht vier und drei auch nicht neune.

So lustig die Vorstellung von Kai Wegner mit zwei roten Zöpfen und gestreiften Kniestrümpfen auch sein mag, das Vorhaben der schwarz-roten Koalition, ein neues Gutachten darüber einzuholen, ob Enteignungen großer Wohnungsunternehmen rechtlich möglich sind, ist es ganz und gar nicht. Im Gegenteil, es ist sogar brandgefährlich und zutiefst antidemokratisch.

Denn da die Mehrheit der Ber­li­ne­r*in­nen im Gegensatz zu Pippi Langstrumpf keine eigene Villa besitzt, sondern sich nicht mal die Miete für ihre Wohnung leisten kann, haben die Menschen von ihrem demokratischen Stimmrecht Gebrauch gemacht und für die Vergesellschaftung profitorientierter Immobilienkonzerne gestimmt. Das kann man blöd finden, aber so ist das nun in einer Demokratie: Die Mehrheit entscheidet.

Das scheinen die vermeintlichen Sozialde­mo­kra­t*in­nen jedoch anders zu sehen: In der Hoffnung, den erfolgreichen Volksentscheid dadurch aushebeln zu können, hatten sie eine 13-köpfige Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on durchgesetzt, die die rechtliche Machbarkeit dieses Vorhabens prüfen sollte. Doch selbst ausgewiesene Ent­eig­nungs­geg­ne­r*in­nen in dem Gremium kamen nach einjähriger Prüfung nicht umhin festzustellen, dass das Land Berlin das laut Grundgesetz darf. Mehr noch: Angesichts der fehlenden Möglichkeiten zur Kontrolle des außer Rand und Band geratenen profitorientierten Wohnungsmarktes ist dies auch verhältnismäßig.

Missachtung von Wäh­le­r*in­nen­wil­len und Verfassung

Das war nun wahrlich nicht das, was sich die Ent­eig­nungs­geg­ne­r*in­nen von CDU, SPD und ihre Spezies aus der Immobilienlobby erhofft hatten. Aber man kann es nicht oft genug sagen: Demokratie ist kein Wunschkonzert und sowohl der Wäh­le­r*in­nen­wil­le als auch die Verfassung müssen von Regierungen respektiert werden. Wer das nicht tut, ist nichts anderes als ein Verfassungsfeind. Und das Grundgesetz sieht Enteignungen laut Artikel 15 explizit vor, auch wenn dieser noch nie zuvor angewendet wurde.

Doch im Roten Rathaus scheinen sie keine allzu großen An­hän­ge­r*in­nen der Demokratie zu sein. Anders ist nicht zu erklären, dass sie im kommenden Jahr ein Rechtsgutachten einholen wollen, das die verfassungsrechtlichen Fragen eines Gesetzes zu Enteignungen prüfen soll – also genau das, was die Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on bereits gemacht hat.

Dass nun die Möglichkeiten eines Rahmengesetzes statt eines konkreten Enteignungsgesetzes für Wohnungskonzerne geprüft werden sollen, ist dabei nicht mehr als ein Feigenblatt: Entweder sind Enteignungen machbar – und das sind sie – oder nicht. Und wenn sie das sind, ist das Grundgesetz der „Rahmen“, dafür braucht es kein neues Gesetz. Und weil das so ist, sind sowohl das Rahmengesetz als auch das neue Gutachten reine Verschleppungstaktik, um den Willen von mehr als einer Million Ber­li­ne­r*in­nen zu ignorieren. Eigentlich ein klarer Fall für den Verfassungsschutz.

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Marie Frank
Leiterin taz.berlin
Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.
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8 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Es scheint dass viele der Meinung sind, Enteignung heißt jemanden etwas wegnehmen ohne dafür zu einer Gegenleistung verpflichtet zu sein. Bei Enteignung hat aber die Wohnungsgesellschaft Anspruch auf eine reichlich hohe Entschädigung. Durch die Enteignung sind keine zusätzlichen Wohnungen entstanden und der Neubau wird durch die Entschädigung enorm erschwert. Besser ist das Geld statt in Entschädigung dann besser im sozialen Neubau angelegt. Der Wohnungsmarkt ist unter anderem so angespannt, weil sich kaum jemand Wohneigentum mehr leisten kann und daran ist auch hauptsächlich die Umverteilungswut der Politik schuld, die Deutschland in EU auf Platz 2 der höchsten Steuern katapultiert hat. Weitere "Abgaben" sind CO2- und Energiesteuer. Gut, dass Politiker sich ihre Bezüge selbst erhöhen können. Viele gewerbliche Arbeitnehmer sind nämlich nicht mehr tarifgebunden und bekommen teilweise keine Erhöhung, die Rentenentwertung kommt oben drauf! Noch Fragen, wo angesetzt werden sollte?

  • Privilegiert die Privilegierten. Egal wo.



    Die, die eine Bushaltestelle vor der Tuer haben, die eine Wohnung haben oder die genug Kohle fuer Schlepper haben.

    Ein Rechtsgutachten ist kein Bericht einer Expertenrunde.



    Und nach den Erfahrungen mit der Berliner Mietpreisbremse oder aktuell mit den Sondervermoegen, sicher auch keine schlechte Idee.

    Und natuerlich braucht es ein Gesetz zur Umsetzung. Wer ist betroffen, wie hoch ist die Entschaedigung usw. Nichts davon steht im Grundgesetz.

    Der Volksentscheid in Berlin hat Aufforderungscharakter und ist nicht rechtlich bindend. Unabhaengig davon kann ein Parlament den Inhalt in Deutschland immer abaendern.

  • Der Aktienkurs von Venovia hat sich im letzten Jahr halbiert - durch Wertverlust des Wohnungsbestandes durch Sanierungserfordernisse (GEG) und



    Zinsentwicklung (statt 1 % jetzt 4 % Zinsbelastung. Die veränderten Rahmenbedingungen machen zumindest eine neue Kalkulation der



    Enteignungsinitiative erforderlich, die alten Annahmen treffen nicht mehr zu.

  • Enteignung ist der letzte Bullshit. Entschädigungslos lässt sich dies nicht umsetzen, daher irre Geldverschwendung. Die großen Wohnungsunternehmen freuen sich darauf ihre Schrottimmobilien loszuwerden und ordentlich Entschädigung einzustecken. In der Regel müssen die danach umfangreich saniert werden, also doppelt so viel öffentliches Geld verschwendet.



    Es macht viel mehr Sinn, das Geld in neuen Wohnungen in öffentlicher Hand zu investieren. Dann sind die neu, entspannen den Wohnungsmarkt und haben fürs erste geringe Folgekosten.

    • 0G
      09399 (Profil gelöscht)
      @N. H.B:

      Na klar, der Markt wirds schon richten!

      Davon ab scheint dir die Erhaltung der Häuser auch nicht so am Herzen zu liegen. Denn wenn die Eigentümer die Häuser verfallen lassen ('Schrottimmobilien'), kommt irgendwann der Abriss. Neubauwohnungen sind übrigens auch dann teurer als Bestandswohnungen wenn die Landeseigenen bauen.

      Ihre Argumente und Annahmen sprechen also eher für als gegen die Enteignung großer Wohnungskonzerne.

      • @09399 (Profil gelöscht):

        Nochmal: Bei einer Enteignung entsteht keine einzige weitere Wohnung. Der Wohnungsmarkt bleibt gespannt, es ändert sich nichts. Aber die Entschädigungszahlungen müssen wir dennoch leisten, anschließend müssen die Wohnungen dennoch saniert werden. Der Bestand bleibt dann gleich, die Städte sind dann pleite.....



        Würde man stattdessen das Geld in den öffentlichen Wohnungsbau stecken, dann gäbe es tatsächlich mehr Wohnungen und der Markt würde sich logischerweise entspannen.

    • @N. H.B:

      Nicht zu vergessen die zahlreichen Präzedenzfälle bei Braunkohle, Autobahnkreuzen etc. Der Standard sind 150% Marktwert plus ein voll erschlossenes Ersatz-Baugrundstück in der Nähe. Kein Gericht wird dahinter zurückgehen. Und bei diesen Konditionen werden die Immobiliengesellschaften darauf klagen, als erste enteignet zu werden.

  • Wenn sich jetzt Kai Wegner ausnahmsweise an die Verfassung hält und Volkswille durchsetzt... muss er dann die 820000 Euro [1] an Gröner zurückzahlen?

    Ich frage für einen Freund.

    [1] taz.de/Mutmasslich...eispende/!5932128/