Gutachten zu Atomrückstellungen: Maulkorb für Experten
Das Wirtschaftsministerium hält ein Gutachten zu den Atomrückstellungen seit Monaten zurück. Und die Verfasser dürfen nicht im Bundestag aussagen.
BERLIN taz | Es sind spannende Fragen, mit denen sich die Gutachter beschäftigt haben: Wie sicher sind die Rückstellungen, die die Betreiber für den Rückbau ihrer Atomkraftwerke und die Endlagerung des Atommülls gebildet haben, angesichts zurückgehender Gewinne und geplanter Konzernaufspaltungen? Und welche rechtlichen Möglichkeiten gibt es, sicherzustellen, dass die Gelder dauerhaft zur Verfügung stehen?
Um diese Fragen zu klären, hatte das von SPD-Chef Sigmar Gabriel geführte Bundeswirtschaftsministerium im vergangenen Jahr bei der Kanzlei Becker Büttner Held und dem Energieexperten Wolfgang Irrek, Professor an der Hochschule Ruhr West, ein umfangreiches Gutachten in Auftrag gegeben. Ein erster Entwurf wurde auf Wunsch des Ministeriums überarbeitet, seit 10. Dezember liegt die fertige Expertise vor.
Allerdings nur dem Minister und seinen MitarbeiterInnen. Gegenüber Medien und Bundestagsabgeordneten schweigt das Ministerium beharrlich zu den Inhalten des Gutachtens. Es sei „noch nicht final abgenommen“, teilt die Pressestelle mit. Und bevor das geschehe, werde es „sorgfältig geprüft“ – seit nunmehr drei Monaten.
Doch nicht nur das Gutachten bleibt geheim: Solange es nicht veröffentlicht ist, dürfen sich die Gutachter auch anderswo nicht zu den Fragen äußern, die sie im Auftrag des Wirtschaftsministeriums analysiert haben. Bei einer Anhörung im Wirtschaftsausschuss des Bundestags zu den Atomrückstellungen wurden Dörte Fouquet von der beauftragten Kanzlei und Wolfgang Irrek wieder von der Liste der geladenen Experten gestrichen.
Rücklagen vor Insolvenz sichern
Irrek sagt dazu, er hätte zum Thema Atomrückstellungen „durchaus einiges zu sagen gehabt“. Wegen der Schweigepflicht im Zusammenhang mit dem Gutachten habe er aber von sich aus darauf hingewiesen, dass seine Teilnahme an der Expertenanhörung „nicht sinnvoll“ sei. Doch nach taz-Informationen ist auch das Ministerium aktiv geworden und hat bei den SPD-Abgeordneten darauf gedrängt, dass die Wissenschaftler wieder ausgeladen werden – was dort teilweise für Unmut gesorgt hat.
Bei der Bundestagsanhörung am Dienstag mussten darum andere Experten auftreten, wie Hubertus Zdebel von der Linksfraktion beklagte. Mehrheitlich teilten diese die in Anträgen von Linken und Grünen aufgestellte Forderung, dass die Rücklagen der Atomkonzerne, die rund 36 Milliarden Euro umfassen, in einen staatlich kontrollierten Fonds überführt werden sollten, um zu verhindern, dass die Gelder durch Insolvenz oder Verkleinerung der Unternehmen verloren gehen. „Nur dieses Modell bietet Sicherheit“, meinte etwa Georg Hermes, Professor an der Universität Frankfurt. Auch Rechtsanwalt Hartmut Gaßner hält einen externen Fonds für „alternativlos“, um die Mittel dauerhaft zu sichern.
Widerspruch gab es lediglich von den Experten, die die Union benannt hatte – von dem Steuerberater Claus Banschbach, der für Eon und RWE tätig war, dem Rechtsanwalt Stefan Wiesendahl, dessen Kanzlei für RWE arbeitet, und dem Wissenschaftler Franz Jürgen Sächer, dessen Institut im Wesentlichen von der Energiewirtschaft finanziert wird. Sie hielten die Überführung der Mittel in einen Fonds für einen unverhältnismäßigen Eingriff oder lehnten gar die Verantwortung der Betreiber für die kompletten Endlagerkosten ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen