Gutachten der Sachverständigenkommission: Daten fehlen, Maske wirkt
Die Corona-Sachverständigenkommission hat die bisherigen Pandemiemaßnahmen evaluiert. Kritik üben die Expert*innen an mangelhafter Datenerhebung.
Am Freitag war es dann soweit. Bei der Vorstellung des 160-seitigen Berichts senkte der Sachverständigenrat, der zur Hälfte von der Bundesregierung, zur anderen Hälfte vom Bundestag mit Expert*innen besetzt wurde, erst einmal die Erwartungen: Die einzelnen Coronamaßnahmen seien kaum zu beurteilen. Es fehlten Zeit und Personal, aber vor allem eins: Daten. Mit denen, die vorhanden sind, sei es schwer, wirkliche Aussagen zur Effektivität der erfolgten Pandemiemaßnahmen zu treffen, sagte die Virologin und stellvertretende Vorsitzende der Kommission, Helga Rübsamen-Schaeff.
Diesen Punkt unterstreichen die Expert*innen in dem Bericht an nahezu jeder Stelle und stellen damit eine wichtige Forderungen an die Politik: Es braucht Geld für weiterführende Studien, etwa zur Effektivität von FFP2-Masken oder zur Kontaktnachverfolgung. „Für ein gutes Pandemie-Management ist es wichtig, solch umfassende Maßnahmen von Beginn an wissenschaftlich begleiten zu lassen“, heißt es. Das wurde jedoch versäumt. Die Kommission sah sich mit der Herausforderung konfrontiert, ein „gleichzeitig einsetzendes Maßnahmenbündel“ zu bewerten. Es lägen zwar über 200 Studien vor, es mangele ihnen aber an Systematik.
Viele Fragen blieben daher im Bericht unbeantwortet. Sicher bestätigten könne die Kommission aber eines: „Masken wirken“, obgleich auch nur, wenn sie richtig getragen würden. Dazu gebe es genügend wissenschaftliche Evidenzen. Das stellte der Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn, Hendrik Streeck, klar.
Risikokommunikation ist entscheidend
Was den Expert*innen auch wichtig ist: gute Risikokommunikation. Eine Top-Down-Kommunikation, wie sie die Regierung in der Pandemie teilweise wählte, sei nicht zielführend. Die Soziologin Jutta Allmendinger betonte, dass das „Vertrauen in die Politik und das Vertrauen in die Wissenschaft“ gestärkt werden müssten. Das erreiche man auch, indem man Unsicherheiten kommuniziere, wie sie in einer Pandemie nun mal vorkämen. Vorteile, aber auch Risiken von Maßnahmen müsse man transparent machen und auch gezielt Menschengruppen ansprechen, die häufig in der Gesellschaft vergessen werden.
Die Stellungnahme zur Risikokommunikation war eigentlich kein Bestandteil des Arbeitsbereiches der Kommission. Diesen Punkt zu stärken, war den Expert*innen jedoch wichtig. Er hänge zentral mit dem Gelingen der anderen Maßnahmen zusammen.
Die Expert*innen gehen in dem Bericht auf viele der verhängten Maßnahmen in Deutschland ein: Lockdowns, Öffnungen nach 2G- und 3G-Regelung, Kontaktnachverfolgung, Quarantäne, Isolation, Tests und Schulschließungen. „Wir legen keine Tabelle vor, was richtig oder falsch, was gut oder schlecht war. Wir versuchen in der Evaluation den Graubereich auszuleuchten“, sagte Streeck. Lockdowns seien etwa zu Beginn einer Pandemie sinnvoll, später wiegten die negativen, nicht beabsichtigten Folgen schwerer.
Auch zu Schulschließungen wollen die Expert*innen keine generelle Aussage treffen. Die Wirksamkeit der Maßnahme sei offen, es bräuchte aber dringend Untersuchungen zu negativen Folgen für die Kinder.
Keine Stellungnahme gibt es von der Kommission zur Kosten-Nutzen-Analyse der Maßnahmen sowie zu Impfungen als Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid. Besonders das Thema Impfen sorgte und sorgt in der Gesellschaft für emotionale Diskussionen.
Die Kommission begründet die Nichtbehandlung mit der „Komplexität“ des Themas, denn es müssten „nicht nur die Anzahl der Impfungen, die Altersgruppen und mögliche Gegenanzeigen bzw. Vorerkrankungen betrachtet werden, sondern auch die verschiedenen Impfstoffe sowie die möglichen Kombinationen der verschiedenen Impfstoffe in jeglicher möglichen Variation miteinander verglichen werden“. In diesem Punkt verweist das Papier auf die Expertise der Ständige Impfkommission (StiKo) und auf das Robert-Koch-Institut (RKI).
Kritik äußerte die Kommission auch an der Gesetzgebung des Bundes. Die Regelungen im Infektionsschutzgesetz sollten so gefasst werden, dass sie für alle Krankheiten gelten, sagte die Juristin Andrea Kießling. „Wir empfehlen, dass man den Rechtsrahmen nicht so häufig ändert, wie das in den letzten beiden Jahren passiert ist.“
Bundesgesundheitsminister Lauterbach will noch vor Beginn der parlamentarischen Sommerpause am 8. Juli Eckpunkte für das neue Infektionsschutzgesetz vorlegen. Der Bericht der Sachverständigenkommission solle dafür eine Grundlage bilden. Lauterbach kam am Freitag auch mit den Gesundheitsminister*innen der Länder zusammen. Sie hatten angekündigt, sich nach der Vorlage des Berichtes zu konkreten Maßnahmen zur Pandemiebewältigung im Herbst und Winter zu äußern.
Lauterbach betonte, dass der endemische Zustand noch nicht erreicht sei und es in Deutschland derzeit eine „richtige Sommerwelle“ gebe. Das Robert-Koch-Institut meldet weiterhin steigende Infektionszahlen sowie einen Anstieg der Patient*innen mit Corona auf Intensivstationen.
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