Grundschul-Forderung aus der CDU: Profilierung auf Kosten der Kinder
Ein CDU-Politiker will Kinder, die kein Deutsch sprechen, nicht in den Grundschulen. Das ist falsch. Immerhin reden wir wieder über Bildungspolitik.
![Carsten Linnemann spricht beim Bundesparteitag der CDU 2018. Carsten Linnemann spricht beim Bundesparteitag der CDU 2018.](https://taz.de/picture/3600186/14/23165773.jpeg)
E r hat unzweifelhaft einen Nerv getroffen. Mit seiner Bemerkung „Ein Kind, das kaum Deutsch spricht oder versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen“, hat Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann ein kleines Brausen in der sommerschwülen Nachrichtenlage ausgelöst. Ein kleiner PR-Coup.
Schlimm, mag man meinen, da profiliert sich einer auf dem Rücken von Erstklässlern. Aber zumindest hat Linnemann auch mal wieder eine Debatte über Bildungsgerechtigkeit ausgelöst. Und die gab’s lange nicht, seitdem die Hamburger Bildungsbürger vor fast zehn Jahren das längere gemeinsame Lernen abschmetterten.
Linnemann geht es natürlich nicht um Gerechtigkeit. Seine Bemerkung atmet genau jenen Geist von Aussonderung und Lernen im Gleichschritt, der das deutsche Schulsystem prägt. Statt zu fragen, wie kann die Schule dem Kind gerecht werden, wird immer noch viel zu sehr darauf geschaut: Passt das Kind zur Schule? Spätestens ab der vierten Klasse, wenn es um den Übergang aufs Gymnasium oder um andere Schulformen geht, betrifft diese Frage alle Grundschüler*innen. Und das nicht nur mit Unterstützung konservativer Politiker*innen und Lehrer*innenverbände, sondern auch mit Billigung vieler Eltern, die ihren Nachwuchs sicher vor den Schmuddelkindern beschult wissen wollen.
Dieser Geist ist in den vergangen Jahren wieder stärker geworden, er erscheint mal im rechtslastigen, mal im elitären Gewand. Das zeigt sich nicht nur in Debatten, wie man die Kinder und Jugendlichen in Schulen integriert, die als Geflüchtete nach Deutschland kommen. Das wird auch am politischen Rollback in der Inklusion deutlich. Sonderschulen haben wieder Konjunktur, das gemeinsame Lernen wird als „gescheitert“ betrachtet. Mit dem Verweis darauf, dass Kinder mit Förderbedarf doch viel besser an Sonderschulen oder in eigenen Klassen aufgehoben seien, werden sie früh von jenen Chancen ferngehalten, die die bürgerliche Mitte gern selbstverständlich und besitzstandswahrend für sich reklamiert.
Immerhin eine Debatte
Politiker*innen, die sich also jetzt darüber echauffieren, dass ein CDU-Politiker vorschlägt, Kinder schon vor der Einschulung auszusieben, sollten nicht länger dazu schweigen, dass diese Kinder ja ganz selbstverständlich nach der vierten Klasse von den anderen getrennt werden.
Nachdem die Hamburger Regierung 2010 mit dem Versuch scheiterte, die Grundschulzeit bis zur sechsten Klasse auszudehnen, haben Grüne, aber auch SPD und Linke nicht wieder gewagt, das Thema „längeres gemeinsames Lernen“ auf die Tagesordnung zu setzen. Aber diese Debatte braucht es wirklich.
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