Grünen-Chefin Baerbock zum Klimaschutz: „Umweltressort als Machtzentrum“
Würde Annalena Baerbock morgen als Umweltministerin aufwachen, wäre für sie klar: Ob Soziales, Verkehr oder Industrie, der Klimaschutz muss alle Politikfelder binden.
taz: Frau Baerbock, aus der Opposition lässt sich beim Klimaschutz ja immer alles fordern. Deshalb wollen wir hier mal den Ernstfall simulieren: Sie wachen morgen auf und sind Bundesumweltministerin. Was ist Ihr wichtigstes Projekt?
Annalena Baerbock: Klimaschutz in den Mittelpunkt jeder Politik zu stellen. Mit einem wirklichen Klimaschutzgesetz, das alle Politikfelder bindet und für alle Bereiche wie Verkehr, Bau oder Industrie verbindliche Vorgaben beim CO2-Ausstoß macht. Fürs Klima war es fatal, 2013 die Energie aus dem Umweltministerium zu lösen – die CO2-Emissionen sind jedenfalls nicht gesunken. Bisher steht das Umweltressort am Rand, es muss zu einem Machtzentrum werden, zuständig auch für Energie.
Aber ein Klimaschutzgesetz bekommen wir ja auch ohne grüne Beteiligung. Die Groko plant das für nächstes Jahr.
Ja, Pläne … Geplant war auch, zur Klimakonferenz mit einem deutschen Kohleausstiegsgesetz zu fahren – und nichts ist passiert. Ein Gesetz, das das Pariser Abkommen umsetzt, braucht einen schnellen Kohleausstieg und soll ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos neu zulassen. Außerdem brauchen wir einen Mindestpreis für CO2 von 40 Euro im Emissionshandel und eine CO2-Bepreisung für Verkehr und Wärme.
Ein so mächtiges Umweltministerium müssten Sie in Koalitionsverhandlungen erst einmal durchsetzen. Worauf würden Sie dafür verzichten?
Sorry, aber ich führe jetzt keine hypothetischen Koalitionsverhandlungen. Klimaschutz ist Industriepolitik, Sicherheitspolitik und gerade auch Sozialpolitik. Eine Regierung, die das nicht als oberste Maxime formuliert, schadet der Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
Wären Sie bereit, dafür etwa bei Ihren Forderungen bei der Vermögensteuer oder bei Hartz IV zurückzunehmen?
Die Dinge hängen miteinander zusammen: Ökologie ist ohne Sozialpolitik nicht zu machen und umgekehrt. Aus den Einnahmen aus der CO2-Bepreisung wollen wir deshalb ein Energiegeld auszahlen und so die ärmeren Haushalte entlasten. Klar ist aber, dass Demokratie immer Kompromiss ist. Wer an einer Stelle etwas bekommt, muss an irgendeiner anderen Stelle etwas geben. Wer nicht zu Kompromissen bereit ist, wird handlungsunfähig.
38, ist Bundesvorsitzende der Grünen und Klimaexpertin ihrer Partei.
Bei den Jamaika-Verhandlungen war das schnelle Aus für Kohlekraftwerke mit 7 Gigawatt Leistung geplant. Was würden Sie jetzt abschalten?
Unverzüglich erst mal die 20 ältesten Kohlekraftwerke bis 2020, dann so schnell wie möglich noch mehr, weil das nicht reicht. Weil Union und SPD so viel Zeit verplempert haben, haben wir jetzt nur noch zwölf Monate Zeit, um das rechtlich sauber hinzubekommen. Es zählt jeder Tag und jedes Kraftwerk.
Selbst wenn Sie eine grüne Superministerin für Umwelt und Energie hätten, gäbe es da immer noch die anderen Ministerien wie Verkehr und Landwirtschaft unter Führung einer größeren Partei. Wie würden Sie die am Kabinettstisch überzeugen, mehr zu tun?
Genau deshalb muss sich Klimaschutz als verbindliche Aufgabe durch die gesamte Regierung ziehen. Für die Landwirtschaft hieße das: Deutschland müsste sich für eine grundlegende Reform der EU-Agrarförderung einsetzen: Ein Betrieb sollte nur so viele Tiere haben, wie er mit seinen Flächen grundsätzlich ernähren kann. Und beim Verkehr eiert die Regierung rum. Stattdessen müssten wir autofreie Innenstädte, Elektroquoten und das Ende des fossilen Verbrennungsmotors durch gesetzliche Regelungen sichern, um Planungssicherheit zu garantieren. Zugleich geht es um Investitionen: Wir müssen Busse und Bahnen gerade auch auf dem Land massiv ausbauen, damit es nicht wie jetzt in Frankreich zu einer sozialen Schieflage kommt.
Da wurde eine Ökosteuer erhöht, ohne die Leute mitzunehmen. Einen ähnlichen Proteststurm hat gerade auch SPD-Umweltministerin Svenja Schulze für ihren Vorschlag für höhere Spritpreise erlebt. Wie wollen Sie so etwas verhindern?
Es darf sich nie die Frage stellen: Geht es um Klimaschutz oder um Arbeitsplätze, etwa beim Kohleausstieg. Wenn Klimaschutz und Beschäftigung Hand in Hand gehen, bekommt man auch Gewerkschaften an seine Seite. Menschen mit weniger Geld dürfen nicht stärker belastet werden als reiche. Deshalb bin ich ja für ein Energiegeld. Zugleich könnte man bei einer sozial durchdachten Ökosteuerreform die Stromsteuer senken. Menschen mit einer umweltfreundlicheren Gasheizung würden dann weniger schlecht gestellt als jene mit einer umweltschädlichen Ölheizung. Aber natürlich wird es immer auch Gegenreaktionen geben, vor allem von den Teilen der Industrie, die noch massiv Profit mit den Fossilen machen oder dort ihr Geld angelegt haben.
Für alle diese Zumutungen bräuchten Sie Verbündete. Wo sehen Sie die?
Da gibt es mehr, als man denkt. Beim CO2-Preis warten Frankreich, die Niederlande und Großbritannien auf uns Deutsche, beim Ausbau der Erneuerbaren die Südländer und die Skandinavier. Bei den Jamaika-Verhandlungen haben 50 Großunternehmen den Kohleausstieg gefordert, Versicherungs- und Investmentfirmen sind dafür umzusteuern. Dazu kommt der große Druck aus der Zivilgesellschaft, den wir etwa im Hambacher Wald gesehen haben, bei der Konferenz in Kattowitz, in Kirchen und an Universitäten. Die gesellschaftlichen Mehrheiten sind da, es braucht jetzt nur den politischen Willen.
Ein so starkes Umweltministerium wäre ganz neu. Und Sie hätten Lust, dieses Haus zu führen?
Das Haus, das ich gerade mit meinem Co-Vorsitzenden Robert Habeck zusammen führe, gefällt mit derzeit sehr gut, auch vom Klima her.
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