Grüne vor Landtagswahl Baden-Württemberg: „Kretsch… äh … Özdemir“
Die Baden-Württemberger Grünen verabschieden ihr Programm und feiern den alten und den vielleicht neuen Ministerpräsidenten. Da kommt mancher durcheinander.
Es ist eine Übergabe, wie sie sich die Grünen im nächsten Jahr wünschen: Ein Handschlag, Jubel und Winfried Kretschmann verlässt mit der Mappe unterm Arm die Bühne. Cem Özdemir übernimmt. Doch bis es so weit kommen könnte, gilt es, noch einen Winterwahlkampf zu bestreiten und die Landtagswahl im März zu gewinnen. Deshalb findet diese Staffelübergabe erst einmal beim Grünen-Parteitag am Wochenende in Ludwigsburg statt.
„Es geht um Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft“, sagt Özdemir in seiner Kandidatenrede. Angesichts immer neuer Nachrichten vom tausendfachen Stellenabbau an den Autostandorten im Land ist das sicher keine falsche Analyse. Aber schwieriges Terrain für die Grünen, mit überschaubaren direkten Einflussmöglichkeiten für die Landesregierung.
Der Betriebsratschef von Daimler Trucks, Michael Brand, hatte am Freitag auf dem Parteitag die Versäumnisse der Arbeitgeber bei der E-Mobilität markiert und sich für eine klare Strategie für elektrische Antriebe ausgesprochen. Zugleich aber erklärte er, dass Strafzahlungen an die EU, weil Klimaziele nicht eingehalten werden, besser in klimafreundliche Strategien investiert werden sollten.
Trotzdem rutscht im Grünen-Wahlprogramm Klimapolitik zumindest als eigenes Kapitel zugunsten von Innovation und Bürokratieabbau und auch Bildung nach hinten. Grüne Kernthemen haben gerade keine Konjunktur in Umfragen. Aber den Markenkern zu vernachlässigen, könnte andererseits die grüne Stammklientel in Heidelberg und Freiburg zur Linkspartei treiben. Das weiß Özdemir und macht zumindest Jungwählern ein Angebot mit einem Jugendbeirat, der künftig die Landesregierung beraten soll.
„Rotzfrech ins Gesicht gelogen“
Wo die CDU die direkte Konfrontation mit dem prominenten grünen Kandidaten meidet, setzt Özdemir in seiner Rede auf die dosierte Attacke gegen den bisherigen Koalitionspartner. „Wer Beliebigkeit suche, findet bei der Konkurrenz das bessere Angebot“, sagt Özdemir und wirft Bundeskanzler Merz vor, den Wählern mit seinem Nein zum Sondervermögen bei der Bundestagswahl „rotzfrech ins Gesicht gelogen“ zu haben.
Und er geißelt die Anschaffung der Polizeisoftware des umstrittenen US-Software-Unternehmens Palantir durch das CDU-geführte Landesinnenministerium: Statt zuerst mit deutschen und europäischen Unternehmen zu reden, hätte man sich auf Marktforschung anderer Landesregierungen verlassen. „Europäische Technologiesouveränität können sie nicht“, sagt Özdemir.
Auch Bildungskompetenz reklamiert Özdemir für die Grünen, die seit bald fünf Jahren die Kultusministerin stellen. Er wirft der CDU Lehrerbashing vor und erinnert daran, dass Kultusministerin Theresia Bauer von Experten ein gutes Zeugnis für ihre Arbeit ausgestellt wird.
„..ääh, Cem Özdemir!“
Den „Wahlkampf seines Lebens“ wolle er führen, um Kretschmanns Nachfolger zu werden, ruft Cem Özdemir den Delegierten entgegen. Dabei folgt er ganz Kretschmanns Erfolgsspur. Das erste Wahlplakat zeigt den Kandidaten im Vordergrund und den Amtsinhaber dahinter: „Sie kennen ihn“ steht da. Auch das erinnert an Kretschmanns Wahlkämpfe.
Da kann man dann schon mal durcheinanderkommen. Fraktionschef Andreas Schwarz will den Saal einstimmen und ruft, die Grünen gäben alles für „einen Ministerpräsidenten Winfried Kretsch… äh Cem Özdemir“.
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