Grüne und Union: Bereit für Größeres
Merz? Spahn? Oder doch lieber Laschet? Die Grünen beobachten aufmerksam den Machtkampf in der CDU – und ziehen ihre Schlüsse für Schwarz-Grün.
Auch im Ausland werden sie längst als Ansprechpartner für die Post-Merkel-Ära gesehen. Und der offene Machtkampf in der CDU bringt die Partei in eine noch komfortablere Position. Wenn jemand von dem konservativen Chaos profitieren könnte, dann die Grünen, die seit Längerem in bürgerlichen Milieus wildern.
Ihre Leute kommentieren die Ereignisse mit einer Mischung aus staatstragender Besorgnis und freudiger Erwartung. „Bloß keine Häme“, heißt es. Und: Sie seien ja angesichts der Selbstzerstörung von CDU und SPD so etwas wie der „Hort der Stabilität“.
Wie sehr die Grünen-Spitze aus dem Zentrum heraus denkt, zeigt sich etwa am Fall Thüringen. Eine in Ostverbänden nach rechts driftende Union brächte koalitionswillige Grüne in Rechtfertigungszwänge. Und eine Wiederholung des Thüringer Szenarios in Sachsen-Anhalt, wo im nächsten Jahr gewählt wird, ist nicht ausgeschlossen. Würden Habeck und Baerbock also Schwarz-Grün im Bund ausschließen, wenn die CDU in Bundesländern mit der AfD kooperiert?
Bloß keine Ausschließeritis
Die Grünen-ChefInnen vermeiden eine Festlegung. Baerbock lehnt es ab, über ein „Was wäre wenn“ zu sprechen, weil ihr das zu hypothetisch ist. Aber mit Blick auf Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen nennt sie drei Argumente, warum sich voreilig gezogene rote Linien verbieten. „Erstens hat Ausschließerei zu demokratischer Handlungsunfähigkeit geführt.“ Union und FDP hätten sich in Thüringen eingemauert. „Das Ergebnis waren die Öffnung zur AfD, Chaos und ein lahmgelegtes Land. All das hat nur der AfD in die Hände gespielt“, sagt Baerbock.
Zweitens sei die CDU in Sachsen-Anhalt und Sachsen „nicht immun“ gegen rechtsaußen. „Aber wir sind – trotz Schmerzen – in Koalitionen gegangen, um die CDU im demokratischen Diskurs zu halten und für funktionsfähige Regierungen zu sorgen.“ Sonst, sagt Baerbock, hätte es politisches Chaos gegeben und den Kräften in der Union Oberwasser gegeben, die nach rechts marschieren wollten.
Drittens, fügt Baerbock mit Blick auf den Bund hinzu, habe sich die CDU-Führung klar positioniert. „Sie kämpft jetzt in den eigenen Reihen darum, die Brandmauer nach rechtsaußen geschlossen zu halten.“ Gleich, wer die Union künftig führe: „Das muss ihr gelingen.“ All das heißt: Die Hand der Grünen bleibt ausgestreckt, auch und gerade, um die CDU nicht an die neue Rechte zu verlieren. Dazu passt, dass keiner der Interessenten für die Nachfolge Annegret Kramp-Karrenbauers ein Bündnis aus grüner Sicht verhindern würde.
Aber Friedrich Merz mobilisiert mehr Abwehrreflexe als andere. Als Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt neulich eine Koalition mit einer Merz-CDU nicht ausschloss – und damit nur die gängige Sprachregelung wiederholte –, reagierte Thüringens Landessprecherin Ann-Sophie Bohm-Eisenbrandt genervt. „Merz steht für fast alles, was wir Grüne ablehnen“, twitterte sie. Sie könne diesen Vorstoß zu einer möglichen Koalition mit der Merz-CDU nicht nachvollziehen.
Laschet: „Freche Reblaus namens Habeck“
Man kann es allerdings auch anders sehen. Merz hätte aus grüner Sicht den Vorteil, in einem Wahlkampf in der bürgerlichen Mitte mehr Platz zu lassen. Auch für eine Koalition könnte ein kantiger Konservativer stabilisierend wirken. Merz stünde im CDU-Wirtschaftsflügel nicht im Verdacht, zu offen für grüne Ideen zu sein. Gerade deshalb hätte er mehr Spielräume. Bei den Grünen hat man genau beobachtet, dass Kramp-Karrenbauer, die einst als Merkels Lieblingskandidatin galt, viele Zugeständnisse an den rechten CDU-Flügel machen musste.
Armin Laschet, Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, wird ebenfalls mit gemischten Gefühlen betrachtet. Manche Grüne bezeichnen ihn als „verbindlich und aufgeschlossen“. Sie erinnern an seine progressiven Positionen in der Migrations- und Integrationspolitik. Und daran, dass er vor Urzeiten in der schwarz-grünen Pizza-Connection saß.
Aber es gibt auch Skeptiker. „Ich wundere mich darüber, dass Armin Laschet von vielen als idealer Schwarz-Grün-Kandidat gehandelt wird“, sagt Felix Banaszak, Landeschef der nordrhein-westfälischen Grünen. Laschet sei Ministerpräsident einer schwarz-gelben Landesregierung. „Er steht uns bei zentralen sozialen, ökologischen und wirtschaftspolitischen Fragen nicht nah, sondern auf der Gegenseite.“ Schwarz-Gelb wolle etwa Hartz-IV-Empfängern, die nicht kooperierten, das Existenzminimum streichen.
Außerdem sorgte ein Karnevalsauftritt Laschets für Irritationen. Dem CDUler wurde vergangene Woche in Aachen der „Orden wider den tierischen Ernst“ verliehen. In seiner Rede pries er die ehemalige Weinkönigin Julia Klöckner als mögliche Kanzlerkandidatin. „Den Weinpokal Richtung Himmel stemmend, eine freche Reblaus namens Habeck vertreibend.“ Laschet wischte sich bei diesem Satz abfällig mit der Hand über den Ärmel.
Freundliche Worte über Spahn
Bei den Grünen weiß man durchaus, dass bei Karnevalsreden nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden darf. Aber als Tier lässt man sich auch im Spaß nur ungern bezeichnen. Oder wird es doch Jens Spahn? Über den Gesundheitsminister finden Grüne freundliche Worte. Mit einem humorvollen Typen wie ihm könne Regieren mehr Spaß machen als mit beleidigten Sozialdemokraten.
Wer immer den CDU-Machtkampf gewinnt, die Grünen halten sich auch ein Linksbündnis offen. Allein: Auch hier vermeiden sie Festlegungen, wie sie SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich forderte, tunlichst. NRW-Landeschef Banaszak sagt: „Ich sehe im Bund aber keinen Automatismus zu Schwarz-Grün, im Gegenteil.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Deutsche und das syrische Regime
In der Tiefe