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Grüne und Gewerkschaften einig in Kritik„Zusammen den Widerspruch organisieren“

In ihrem Unmut über die Regierung sind sich Verdi-Chef Frank Werneke und Ex-Grünen-Chefin Ricarda Lang einig. Aber einen Dissens haben sie doch.

Ricarda Lang im Gespräch mit Frank Werneke, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft Verdi Foto: Jens Gyarmaty

taz: Frau Lang, in der Grünen-Fraktion sind Sie seit diesem Jahr für Arbeitspolitik und die Beziehung zu den Gewerkschaften zuständig. Warum haben Sie sich nach Ihrem Abgang als Parteichefin für diese Rolle entschieden?

Ricarda Lang: Erstens bin ich schon lange stolzes Gewerkschaftsmitglied. Zweitens ist für den Schutz der Demokratie die Frage zentral, ob die arbeitende Bevölkerung das Gefühl hat, dass Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg getroffen werden – oder ob sie selbst mitentscheiden können. Drittens will ich, dass die Grünen bei der sozialen Gerechtigkeit mehr Glaubwürdigkeit gewinnen.

taz: Wie können Ihnen bei alldem die Gewerkschaften helfen?

Lang: Durch ihre Expertise aus der Praxis und den Betrieben, aber auch durch ihre Bündnisfähigkeit. Viele entscheidende Themen, auch der Klimaschutz, geraten gesellschaftlich gerade ins Abseits. Ein Akteur allein wird sie da nicht wieder rausholen. Dafür braucht es Partner – und zu den zentralsten gehören für mich die Gewerkschaften.

Im Interview: Ricarda Lang

war von Februar 2022 bis zu ihrem Rücktritt im November 2024 Co-Vorsitzende der Grünen und zuvor Sprecherin der Grünen Jugend. Die Bundestagsabgeordnete gehört zum linken Flügel der Partei.

Im Interview: Frank Werneke

ist ein deutscher Gewerkschafter und seit September 2019 Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft. Werneke ist seit 1982 Mitglied der SPD.

taz: Herr Werneke, was bringen die Grünen den Gewerkschaften?

Frank Werneke: Ein Stichwort ist das Bundestariftreuegesetz, das gerade im Bundestag ist. Der Gesetzentwurf hat bereits Schwächen, einen zu hohen Schwellenwert von 50.000 Euro, ab dem das Gesetz wirkt, und reihenweise Ausnahmeregelungen. Trotzdem wird er aus der Unionsfraktion angeschossen. Da ist es schon wichtig, dass aus der Opposition die Grünen für das Projekt werben und Verbesserungen einbringen. Außerdem mache ich mir große Sorgen, weil die Neoliberalen mit ihren Kürzungsfantasien den Sozialstaat gerade in allen Bereichen angreifen. Er lässt sich nur verteidigen, wenn es ein breites gesellschaftliches Bündnis dagegen gibt. Da spielen die Sozialverbände eine wichtige Rolle, die Umweltverbände, natürlich die Grünen und die Linken – und hoffentlich auch die SPD.

Die Frage der Verteilungsgerechtigkeit wird seit vielen Jahren nicht angegangen, auch nicht in der vorherigen Bundesregierung.

Frank Werneke, Verdi-Vorsitzender

taz: Sie gehen regelmäßig zum Gewerkschaftsrat des SPD-Präsidiums, ohne dass das besondere Auswirkungen auf die Politik der SPD zu haben scheint …

Werneke: Er hat schon länger nicht mehr stattgefunden.

taz: … Glauben Sie, dass es beim jetzt wieder eingerichteten Gewerkschaftsbeirat der Grünen anders laufen wird?

Werneke: Für mich sind beide Foren wichtig, und wenn ich Zeit habe, gehe ich zu beiden hin. Es ist nicht so, dass einem dort Politiker gegenübersitzen, die alle unsere Wünsche mitschreiben und zu hundert Prozent umsetzen. Es sind Dialogforen, in denen man auch Kontroversen austrägt. Uns ist das wichtig. Auch zur Union würde ich hingehen, aber sie bietet ein solches Forum nicht.

taz: Vor fünf Jahren haben Sie der taz schon mal zusammen mit Anton Hofreiter ein Interview gegeben. Den Grünen haben Sie damals bescheinigt, sie würden „eins zu eins die Positionen von Verdi“ vertreten. Gilt das immer noch, auch nach den drei Jahren in der Regierung?

Werneke: Insbesondere Wirtschaftsminister Robert Habeck war in der Ampel immer für uns ansprechbar, auch zu schwierigen Themen. Das ist wirklich positiv hervorzuheben. Die Grünen haben aber auch Entscheidungen mitgetragen, die ich kritisch gesehen habe. Die Realeinkommen liegen unter dem Niveau von 2019, gleichzeitig gibt es eine wahnsinnige Spreizung von Arm und Reich. Die Frage der Verteilungsgerechtigkeit wird seit vielen Jahren nicht angegangen, auch nicht in der vorherigen Bundesregierung.

taz: Im Zweifel ist auf die Grünen doch kein Verlass?

Werneke: Ich nehme wahr, dass es bei den Grünen einen starken Strang gibt, der sich für die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern engagiert. Aber es gibt auch Enttäuschungen. In Baden-Württemberg regiert seit drei Legislaturperioden ein grüner Ministerpräsident, ein Landestariftreuegesetz gibt es aber bis heute nicht.

taz: Frau Lang, Sie kommen aus Baden-Württemberg. Was läuft dort falsch?

Lang: In der jetzigen Koalition mit der CDU ist ein solches Gesetz nicht umsetzbar. Aber ich nehme die Kritik an: Man hätte es in der ersten Legislatur machen sollen, als wir dort noch mit der SPD regiert haben. Gleichzeitig ist natürlich auch unsere Partei kein einheitlicher Block. Es gibt unterschiedliche Positionen und Aushandlungen. Ich mache mich dabei für den Schutz von Arbeitnehmern stark.

taz: Können Sie auch die Kritik am Regierungshandeln der Grünen im Bund nachvollziehen? In der Ampelzeit trugen Sie Verantwortung.

Lang: Wir sollten schon auch die Erfolge anerkennen, die Mindestlohnerhöhung oder die Energiepreispauschale. In der Bilanz aber hat sich für Menschen mit geringen und mittleren Einkommen zu viel verschlechtert. Es gab Lohnzuwächse, auch durch gute Tarifabschlüsse, aber gleichzeitig stiegen Lebensmittelpreise, Energiekosten und Mieten. Das spielt dann auch eine Rolle, wenn nun wieder verstärkt der Sozialstaat und speziell das Bürgergeld angegriffen werden.

Das jetzige Nach-Unten-Treten funktioniert doch so: Du hast nicht genug; du glaubst auch nicht mehr daran, dass es besser wird; dann soll es zumindest jemand anderem noch schlechter gehen.

Ricarda Lang, Ex-Grünen-Chefin

taz: Inwiefern?

Lang: Das jetzige Nach-Unten-Treten funktioniert doch so: Du hast nicht genug; du glaubst auch nicht mehr daran, dass es besser wird; dann soll es zumindest jemand anderem noch schlechter gehen. Dieses Spiel spielt die Union unter Friedrich Merz ganz gezielt – aber es geht nur auf, weil es Menschen mit kleinen Einkommen tatsächlich schlechter geht. Verantwortung dafür müssen auch wir annehmen.

Werneke: Wir haben eine gesellschaftliche Stimmung, die extrem problematisch ist. Da hat Ricarda recht. Die Menschen sehen vielfach keine Vorwärtsperspektive mehr. Dazu trägt auch bei, dass das Thema Wohnen die Einkommen immer mehr belastet und dass die öffentliche Daseinsvorsorge kaputtgespart wird. Die Kommunen haben dramatische Defizite, nicht nur in Berlin, sondern auch in ehemals reichen Städten.

Lang: Siehe mein Wahlkreis. Ich komme aus einer Region, in der man vor zehn Jahren noch mitleidig auf die kommunalen Finanzen im Ruhrgebiet oder in Ostdeutschland geschaut hat. Jetzt können die Kommunen auch dort eigentlich nur noch ihre Pflichtaufgaben erfüllen. Sozialtickets oder Ermäßigungen für Bibliothek und Schwimmbad gehören da nicht dazu.

taz: Herr Werneke, Ihre Kritik an der Ampel klingt wohltemperiert. Als sie noch existierte und Frau Lang im Koalitionsausschuss saß, haben Sie deutlichere Worte gefunden. Sie warfen SPD und Grünen vor, sich von der FDP „im Nasenring durch die Arena ziehen zu lassen“.

Werneke: Davon nehme ich auch nichts zurück.

taz: Als „völlig irre Entscheidung“ haben Sie es bezeichnet, kein sozial gestaffeltes Klimageld einzuführen. Schwarz-Rot verzichtet auch darauf. Warum ist der Protest der Gewerkschaften dagegen nicht lauter?

Werneke: Würde Verdi morgen zu einer Demonstration für die Schaffung eines Klimagelds aufrufen, käme voraussichtlich kaum jemand. Man müsste es erst mal so kampagnenfähig eingeordnet bekommen, dass es für sich genommen zu einem Mobilisierungsthema wird. An meiner Kritik nehme ich aber auch hier nichts zurück. Ab nächstem Jahr steigt der CO2-Preis kontinuierlich, insbesondere für Tanken und Wohnen. Gibt es keinen sozialen Ausgleich, geht die Akzeptanz für Klimaschutz weiter zurück.

Lang: Der CO2-Preis und der ETS-Mechanismus dahinter werden zunehmend unter Beschuss geraten. Die aktuelle Regierung weigert sich, ihn sozial auszugestalten, um dann zu rufen: „Muss alles weg, weil ist ja total unsozial.“ Für meine Partei wird es wichtig sein, nicht nur den Mechanismus zu verteidigen, sondern genau aufzuzeigen, dass und wie sozialer Klimaschutz möglich wäre – und dafür wiederum Mehrheiten zu erkämpfen. Gleichzeitig warne ich auch in den eigenen Reihen davor, die Frage des sozialen Ausgleichs nur aufs Klimageld zu reduzieren. Es geht um mehr, gerade auch um öffentliche Daseinsvorsorge.

„Fördergelder landen meist bei Menschen, die eh schon einigermaßen gut Geld haben.“ (Ricarda Lang, Ex-Grünen-Chefin) Foto: Jens Gyarmaty

taz: Das heißt?

Lang: Ich will ein Beispiel nennen: Wir brauchen mehr gemeinschaftliche Wärmeversorgung, auch jenseits der Metropolen. Wir denken das immer noch viel zu individuell: Jeder kümmert sich um seine Heizung – und die wird dann bezuschusst. Fördergelder landen in Deutschland aber meist bei Menschen, die eh schon einigermaßen gut Geld haben. Wer gar keine Rücklagen hat, fällt raus. Das sollten wir viel mehr als kommunale und gemeinschaftliche Aufgabe verstehen: So viele Haushalte wie möglich an ein erneuerbares Wärmenetz anzuschließen, ist auch eine Frage der Gerechtigkeit.

taz: Herr Werneke sagt, fürs Klimageld könne er nicht mobilisieren. Würden Sie sich jetzt in der Opposition da ein bisschen mehr Rückenwind wünschen?

Lang: Was die Regierung plant, von der Aushöhlung des Sozialstaats über die Angriffe auf Arbeitnehmerrechte bis zum Ausbleiben des sozialen Klimaschutzes, wird die arbeitende Bevölkerung stark treffen. Es würde mich nicht wundern, wenn auf den angekündigten Herbst der Reformen und den Winter der sozialen Kälte ein Frühling des Protests folgt. Wir können das alles nicht einfach so durchlaufen lassen. Ich würde aber nicht sagen: Das müssen die Gewerkschaften machen, wir ruhen uns aus und warten, bis der Druck kommt. Wir müssen zusammen überlegen, wie wir den nötigen Widerspruch organisieren.

Werneke: Im Moment haben wir vor allem den Herbst des grausamen Gequatsches. Sobald Gesetzesentwürfe kommen und es konkret werden sollte – mit Angriffen im Bereich Rente, Gesundheit und Pflege, Leistungskürzungen, der Streichung des Acht-Stunden-Tages – wären wir auch in der Lage, dagegen zu mobilisieren. Im Rahmen einer solchen Mobilisierung bräuchte es dann auch immer Antworten, was wir anders machen wollen. Dazu gehört ein sozial gestaffeltes Klimageld genauso wie das Thema Vermögens- und Erbschaftssteuer.

taz: Gegen die geplante Aufweichung des Acht-Stunden-Tags haben Sie schon vor diesem Interview große Aktionen angekündigt. Wird das mehr sein als die üblichen Gewerkschaftskundgebungen mit Bratwurst und Hüpfburg?

Werneke: Wenn wir es schaffen, zu Kundgebungen für den Acht-Stunden-Tag aufzurufen, wird das schon Eindruck hinterlassen. So üppig ist die Mehrheit von Union und SPD im Bundestag nicht. Inwieweit das Thema tatsächlich skandalisierbar ist, wird sich weisen. Ich bin jedoch zuversichtlich. In den Belegschaften nehme ich die Verteidigung des Acht-Stunden-Tages als Herzensthema wahr.

Lang: Deutschland hat einen riesigen Dienstleistungssektor, in dem überdurchschnittlich viele Frauen arbeiten. Genau diese Frauen werden oft als Legitimation dafür genutzt, jetzt ans Arbeitszeitgesetz heranzugehen. Dabei geht es hier nicht real um mehr Flexibilität für Arbeitnehmerinnen.

taz: Sondern?

Lang: Ginge es um mehr Flexibilität, dann wären ein stärkeres Rückkehrrecht auf Vollzeit oder mehr Mitbestimmung bei Arbeitszeiten und Arbeitsort sinnvoll. Das Arbeitszeitgesetz regelt aber das Zugriffsrecht des Arbeitgebers. Nicht mehr die alleinerziehende Mutter soll entscheiden können, ob sie um 22 Uhr noch eine Mail schreiben will, sondern der Arbeitgeber soll anordnen können: Du hast dreimal pro Woche um 22 Uhr verfügbar zu sein und deine Mails zu checken. Was das für das Familienleben, für ehrenamtliches Engagement und die psychische Gesundheit bedeutet, will man sich gar nicht vorstellen. Wir stellen uns deshalb klar gegen die Abschwächung des Arbeitszeitgesetzes.

Ich teile nicht die These, dass Verteilungsgerechtigkeit kein erfolgreiches Wahlkampfthema sei.

Frank Werneke, Verdi-Vorsitzender

taz: Im Bundestagswahlkampf forderten die Grünen, Sozialabgaben auch auf Kapitalerträge zu erheben. Abgaben auf Arbeitseinkommen sollten dafür nicht mehr steigen. Verdi lobte den Vorschlag, es gab aber auch Gegenwind – und Habeck räumte das Thema wieder ab. Fehlt den Grünen in solchen Fragen die Standhaftigkeit?

Lang: Was als Gedanke hinter dem Vorschlag steht, ist die Bürgerversicherung. Zum einen sollen Sozialversicherungsbeiträge also nicht nur auf Arbeitseinkommen gezahlt werden, zum anderen sollen mehr Menschen einzahlen, die heute rausfallen: wir Abgeordnete, aber auch Beamte oder Selbstständige. Der Einsatz dafür wird uns einiges an Konfliktfähigkeit abverlangen – und damit auch einen parteiinternen Wandel. Wir haben uns lange als eine Partei verstanden, die in alle Richtungen die Hand ausstreckt und Brücken baut. Das ist oft richtig, Sprengmeister gibt es schon genug. Der Konflikt muss aber auch mal hart ausgetragen werden.

Werneke: Ich teile auch nicht die These, die mir oft aus den Parteien entgegengebracht wird, dass Verteilungsgerechtigkeit kein erfolgreiches Wahlkampfthema sei. Die gerechte Finanzierung sozialer Leistungen ist ein vitales und berechtigtes Interesse der Bevölkerung. Wenn solche Punkte im politischen Raum nicht stark gemacht werden, ist die Gefahr groß, dass die Menschen falschen Antworten hinterherlaufen. Das Stadtbild wurde zum Beispiel auch zum Thema gemacht, um von Verteilungsfragen abzulenken.

Lang: Von Friedrich Merz hören wir immer wieder Sätze wie: „Wir müssen den Gürtel enger schnallen.“ Wer merkwürdigerweise nie Teil des „wir“ ist: Menschen mit sehr großen Vermögen und Erbschaften etwa. Menschen wie Friedrich Merz. Die sollen sogar noch weiter entlastet werden. Auch da müssen wir ran – ohne zugleich weiter Vertrauen zu verspielen. Wenn wir die Vermögenssteuer in Wahlprogramme schreiben, die SPD auch, sie in den Koalitionsverhandlungen dann aber wieder hintenüberfällt, schafft das nur Verdruss.

taz: Das gilt auch für die Bürgerversicherung, kommen wir deshalb auf sie zurück: Bei der Altersvorsorge würde sie nur funktionieren, wenn auch die Leistungen angeglichen werden, Beamte also nur noch eine Rente statt einer Pension bekommen. Das trauen sich jedoch weder die Grünen noch die Gewerkschaften offen auszusprechen.

Werneke: Das ist auch gar nicht die Position von Verdi.

Lang: Mein Ziel ist es schon, dass sich das näher aufeinander zubewegt. Die große Lücke zwischen Renten und Pensionen ist eine unbeantwortete Gerechtigkeitsfrage.

Werneke: Wir sind dafür, dass die Selbstständigen in die Rentenversicherung einbezogen werden, auch die Abgeordneten. Bei Beamtinnen und Beamten gibt es aus meiner Sicht dazu absehbar keinen Weg.

Lang: Da haben wir einen Dissens. Ist doch auch mal gut.

taz: Frau Lang, mit Verdi haben die Grünen trotzdem mehr Schnittstellen als mit anderen Gewerkschaften. Frank Bsirske war als Grüner sogar Verdi-Chef. Wie viel schwieriger ist für Sie die Zusammenarbeit mit der IG Metall oder der IG BCE, die auch klimapolitisch weiter von Ihnen weg sind?

Lang: Wir haben uns in den letzten Jahren angenähert und Vertrauen gefasst. Mit der IG Metall etwa teilen wir viele Forderungen. Sie hat in den letzten Jahren wichtige Arbeit zur Modernisierung der Automobilindustrie und zur Elektromobilität gemacht. Aber natürlich ist es zuletzt durch die Situation in der Branche wieder herausfordernder geworden.

taz: In der Frage, ob es beim Verbrenner-Aus 2035 bleibt, hat mittlerweile nur noch Winfried Kretschmann eine gemeinsame Position mit der IG Metall: Beide sind dagegen.

Lang: Winfried ist ja auch ein Grüner.

taz: Hm.

Lang: Manchmal ist er auch ein talentierter Verhüllungskünstler.

Das Ziel kann natürlich nicht sein, in der Opposition gemeinsame Forderungen aufzustellen und sie dann in der Regierung wieder zu vergessen.

Ricarda Lang, Ex-Grünen-Chefin

taz: Grünen-Mitglieder sind in den Gewerkschaftsführungen immer noch Exoten. Nur Linke gibt es noch weniger. In den Vorstand der IG BCE wurden kürzlich sogar ausschließlich SPD-Mitglieder gewählt. Ist das für Sie noch nachvollziehbar?

Lang: Wenn ich mir die Politik der SPD in der Regierung anschaue: Nein, nicht so wirklich.

taz: Herr Werneke, im Verdi-Vorstand gibt es immerhin einen Grünen, Linke sind allerdings auch auf Ihrer Führungsebene Fehlanzeige. Ist eine solche politische Personalauswahl noch zeitgemäß?

Werneke: Die Führungsebene besteht ja nicht nur aus dem Bundesvorstand, sondern auch aus den Landesleitungen. Dort haben wir sowohl weitere Grünen- als auch Linken-Mitglieder und zunehmend auch Parteilose.

Lang: Auf der Landesebene gibt es auch in anderen Gewerkschaften zunehmend Grüne, Jan Otto als Bevollmächtigter der IG Metall Berlin zum Beispiel. Der Vertrauensaufbau, den ich beschrieben habe, wirkt sich so langsam in der Fläche aus.

taz: Für einen wirklichen Durchbruch müssten Sie aber vielleicht auch so einträchtig neben Gewerkschaftern sitzen, wenn Sie mal wieder regieren – und nicht nur in Oppositionszeiten.

Lang: Das Ziel kann natürlich nicht sein, in der Opposition gemeinsame Forderungen aufzustellen und sie dann in der Regierung wieder zu vergessen. Wenn es auch in Zukunft keine Regierung schafft, den Glauben an mehr soziale Gerechtigkeit wieder zu entfachen, werden klassische soziale Konflikte immer stärker umgedeutet werden. Das zeigt sich schon heute: Statt um „oben gegen unten“ geht es dann plötzlich um „Deutsche gegen Ausländer“ oder „morgen gegen heute“ – nach dem Motto: Der Klimaschutz nimmt dir den Job weg. Meiner Partei bieten sich hier zwei Optionen: Wir können uns moralisch darüber empören. Oder wir fragen uns: Warum funktioniert das bei so vielen Leuten? Ich denke, der zweite Weg ist der zielführende.

Werneke: Ich weiß gar nicht, ob Einträchtigkeit das Ziel ist. Es gibt immer unterschiedliche Meinungen und das muss man auch miteinander austragen. Ich würde einen anderen Maßstab setzen: Gibt es ein echtes Interesse an den tatsächlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen von Menschen in Dienstleistungsbranchen, von Teilzeitbeschäftigten im Handel, von Pflegerinnen und Pflegern, von Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst? Das nehme ich bei den Grünen wahr, bei der SPD und bei den Linken. Bei der Union leider überhaupt nicht.

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