Grüne in Bayern: Die Stadt-Land-Kluft
In Städten sind die Grünen erfolgreich, auf dem Land immer weniger. Das zeigt sich besonders in Bayern. Die dortige neue Grünenchefin will das ändern.
K atharina Schulze hört zu. Man kann das durchaus mal erwähnen, denn immer wieder wird der Fraktionschefin der Grünen im bayerischen Landtag ja vorgehalten, dass sie dies so gar nicht könne. Zuletzt beim Starkbieranstich am Nockherberg. Da hat ihr Maxi Schafroth in seiner Fastenpredigt noch erklärt: „Am Land punktet man mit Zuhören, Katha, schreib mit!“ Und zur Sicherheit noch hinzugefügt: „Zuhören ist das Gegenteil von Reden.“ Das Gelächter im Saal war groß. Wer mit dem bayerischen Politpersonal nicht ganz so vertraut ist, muss dazu vielleicht wissen, dass, wenn Schulze ansetzt zu reden, schon so mancher Wasserfall neidisch werden kann.
Jetzt sitzt Schulze also hier in Miesbach beim Bräuwirt und – hört zu. Sie hat ihren eigenen Steinkrug dabei. Darauf: ihr Konterfei und der Schriftzug „Schulzes Stammtisch“. Darin natürlich ihr Erkennungsgetränk: Spezi. „Schulzes Stammtisch“ ist ein neues Format der Grünen, das in Miesbach an diesem Donnerstagabend Premiere feiert. Das Ziel ist es, die Grünen wieder verstärkt mit dem Land ins Gespräch zu bringen. Zwei Welten, die sich zunehmend voneinander entfernt haben – wie zuletzt bei den heftigen Konfrontationen zwischen Landwirten und grünen Bundesministern deutlich wurde.
Bei der Landtagswahl im Oktober hat man es gesehen: In München-Mitte haben die Grünen 44,1 Prozent geholt, keine Verluste gegenüber 2018. Weit hinten im Bayerischen Wald, im Stimmkreis Regen, Freyung-Grafenau, waren es gerade noch 4,3 Prozent – kaum mehr als die Hälfte des Ergebnisses von 2018.
Rund 70 Gäste sind zum Bräuwirt gekommen und gut gelaunt. Schulze, rotes Kleid, offenes Lachen und immer mal wieder die Hand auf dem Herz, stellt sich noch kurz in die Mitte der Stube. „Bei eich is einfach schee“, sagt sie. Und erklärt: Sie wolle nicht drei Stunden lang die Welt erklären, sondern werde jetzt von Tisch zu Tisch gehen. „Und dann reden wir einfach miteinander.“ Eine Frau, die sich gerade das Ragout vom Schweineherz bestellt hat, seufzt: „Und ich dachte, ich komm hierher und lass mich berieseln.“
Dann geht es von Tisch zu Tisch und um Tiktok, die Anbindehaltung von Tieren, Rechtsextremismus und den ganzen Rest. „Habt ihr keine Psychologen, die euch beraten, wie man Inhalte vermittelt“, fragt einer. „Unsere Kommunikation ist nicht immer glücklich“, gesteht Schulze ein. Die 38-Jährige hat sich einen großen Teller Pommes bestellt. Sie bietet allen Umsitzenden an, sich zu bedienen, was sich freilich keiner traut.
Ein junger Besitzer eines kleinen Sägewerks erzählt ihr von seinen Problemen mit der überbordenden Bürokratie. Eine Mitarbeiterin Schulzes geht dazwischen: „Ich muss die Frau Schulze jetzt leider entführen, wir müssen an den nächsten Tisch.“ Die Politikerin schreibt noch schnell ihre E-Mail-Adresse auf ein Bierfilzl, bittet den Mann: „Schick mir dein Problem!“ Sie könne nichts versprechen, werde es aber weitertragen.
Acht Minuten pro Tisch sind nicht viel. Das Feedback nach dem anderthalbstündigen Besuch in Miesbach ist dennoch überwiegend positiv. „Wir wurden gehört“, sagt der Sägewerksbesitzer.
Dass Schulze, die nach der Wahl den alleinigen Fraktionsvorsitz übernommen hat, nun ein solches Format startet, kommt nicht von ungefähr. Wie haltet ihr’s mit dem Land, lautet derzeit die grüne Gretchenfrage, und sie scheint einen wunden Punkt zu treffen: In internen Chats würden bereits Warnungen verbreitet, dass die taz zu dem Thema recherchiere, erzählen Mitglieder dieser Chats. Wohlgemerkt: Es geht hier um keine schwarzen Kassen, keine Sexorgien, keine Jugendsünden des Spitzenpersonals. Gut, ans Eingemachte geht es schon. Letztlich nämlich um die Frage, ob die Grünen noch das Zeug zur Volkspartei haben, als die sie sich in den letzten Jahren bereits wähnten.
Dabei ist das Problem nicht unbedingt ein bayerisches, erklärt Martin Gross, Politikwissenschaftler an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Diese sich vergrößernde Kluft zwischen Stadt und Land könne man in allen deutschen Flächenländern feststellen. Die Situation in Bayern steht also Pars pro Toto für die Bundesrepublik.
Woran liegt es, dass die Grünen auf dem Land keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen? Fragt man Thomas Gehring, bis zum Herbst selbst noch für die Grünen im Landtag, sagt er: „Die Berliner Politik trifft die Lebensrealität auf dem ländlichen Raum oft nicht mehr.“ Das ursprünglich im Heizungsgesetz seines Parteifreundes Robert Habeck geplante Verbot von Holzheizungen hat Gehring beispielsweise sehr geärgert. „Das hätte man im Allgäu niemals vermitteln können. Hier sind ein Drittel der Leute selbst Waldbesitzer.“
Gehring kommt aus dem Oberallgäu. Bei der Wahl waren es die Verluste auf dem Land, die letztlich dafür sorgten, dass er den Wiedereinzug ins Parlament knapp verpasst hat. „Wir hätten uns früher von der Bundespolitik absetzen müssen“, sagt Gehring jetzt.
Andere Grünen-Politiker auf dem Lande, die lieber nicht namentlich genannt werden wollen, sind weniger höflich. „Wir haben einfach eine Scheißregierung“, heißt es da etwa mit Blick auf die Ampel. Aber auch die eigenen Leute auf Landesebene werden nicht immer aus der Verantwortung für das Wahlergebnis entlassen: Das bayerische Spitzenpersonal funktioniere im ländlichen Raum einfach nicht, sagt eine grüne Kommunalpolitikerin. „Die haben nicht das Format.“
Das könnte auch mit einer thematischen Kluft zu tun haben, die sich ebenfalls durch die grüne Welt zieht. So sind die Grünen wie auch ihre Wähler auf dem Land in der Regel deutlich wertkonservativer als in der Stadt. Zum Beispiel Claudius Rafflenbeul-Schaub: „Ich bin bei den Grünen in erster Linie wegen Umweltpolitik beigetreten“, sagt der 47-Jährige aus dem Ortsverband Tegernseer Tal. „Aber wenn man sich jetzt die Entwicklung in den Städten anschaut, da geht es in unserer Partei oft mehr um Identitätspolitik und Kulturkämpfe als ums Klima oder bezahlbare Wohnungen. Das sehe ich kritisch. Und ich glaube, dadurch verprellen wir auch Wähler.“
Ähnlich empfindet das auch Wolfgang Rzehak aus demselben Ortsverband. Von 2014 bis 2020 war er Landrat in Miesbach, der erste grüne Landrat in Deutschland überhaupt. „Man gewinnt die Wahlen in der Stadt, aber verlieren tut man’s auf dem Land“, warnt er. In den letzten zehn bis zwanzig Jahren hätten die Grünen in Bayern sehr viel erreicht, auch auf dem Land. „Einiges davon ist jetzt kaputtgegangen.“
In der Tat hat die Partei in den letzten fünf Jahren eine erstaunliche Entwicklung gemacht: Die Mitgliederzahl hat sich fast verdoppelt, auf aktuell knapp 22.000. Von den 551 Ortsverbänden gab es 229 bei der Landtagswahl 2018 noch gar nicht. Auch derzeit kommen allen Anfeindungen zum Trotz ständig neue Mitglieder dazu – auch auf dem Land. Die Ausgangslage, um dort Gesicht zu zeigen, wäre also gar nicht so übel.
Die neue Hoffnung der bayerischen Grünen liegt nun auf Sondermoning. Oder sitzt vielmehr dort in der Stube an dem großen Esstisch. Gisela Sengl heißt sie, ist Biobäurin, bewirtschaftet in dem kleinen Dorf im Chiemgau mit ihrem Mann einen Hof. Nicht besonders groß. Zehn Hektar, weitere zehn haben sie dazu gepachtet.
Unten im ehemaligen Stall ist der Bioladen untergebracht. Hier gibt es nicht nur das hofeigene Obst und Gemüse, sondern Vollsortiment. Seit 27. Januar ist Sengl Chefin der bayerischen Grünen. Nachdem sie in einer Kampfabstimmung auf dem Parteitag in Lindau zunächst gegen die bisherige Landesvorsitzende Eva Lettenbauer knapp unterlegen war, hatte sie sich in einer zweiten gegen Lettenbauers bisherigen Co-Vorsitzenden Thomas von Sarnowski durchgesetzt. Die 63-Jährige hatte sich klar als eine Alternative vom und fürs Land präsentiert.
„Ich glaub’, dass Gisela Sengl der Partei total gut tut“, sagt Mia Goller, Landtagsabgeordnete aus Niederbayern. Und ihr Kollege Johannes Becher, inzwischen Katharina Schulzes Stellvertreter, spricht von einer „ganz starken Kandidatin, die die Menschen mitnimmt“. Äußerungen, die interessant sind, schließlich war man in der Fraktion gegen Sengl. Vor allem Schulze hatte sich öffentlich für das bisherige Duo Lettenbauer-Sarnowski ausgesprochen. Einzig Schulzes früherer Co-Vorsitzender Ludwig Hartmann plädierte für Sengl.
Man habe in Lindau schon eine gewisse Spaltung zwischen Stadt und Land feststellen können, erzählt Thomas Gehring. Während die einen, die aus der Stadt, eher dafür plädiert hätten, weiter wie bisher zu machen, hätten sich die anderen stärkere Konsequenzen aus dem Wahlergebnis gewünscht.
„Raus aus unserer grünen Blase“
Das Lettenbauer-Sarnowski-Lager hatte sich noch massiv ins Zeug gelegt, Delegierte abtelefoniert und zur Wahl der bisherigen Parteichefs, zwei engen Schulze-Vertrauten, bewegen wollen. Eine Bundestagsabgeordnete soll besonders häufig zum Telefon gegriffen haben. Am Ende wurde es dennoch Sengl. „Da hat die Partei die Bremse reingehauen“, sagt Rzehak.
Sengl ist nicht irgendwer in der Partei. Zehn Jahre lang saß sie im Landtag, sie kennt den Politikbetrieb. Dass sie nicht mehr im Parlament sitzt, hat auch sie den Verlusten auf dem Land zu verdanken – und dem Umstand, dass sie es versäumt hat, auf den Wahlzettel die bei Wählern beliebte Berufsbezeichnung „Biobäurin“ schreiben zu lassen.
Dabei kennt sie nicht nur das Landleben. Aufgewachsen ist Sengl in München, der Vater war Siemensianer. Aber schon als junge Erwachsene hat es sie dann aufs Land verschlagen. „Wir müssen raus aus dem Landtag, raus aus unserer grünen Blase“, sagt die Parteichefin jetzt. Heißt natürlich auch: raus aufs Land. Sie selbst möchte vor allem in die Partei hineinwirken. Lettenbauer und sie wollen nun alle 91 Kreisverbände besuchen, Präsenz und Wertschätzung zeigen.
Insgesamt aber gehe es den bayerischen Grünen sehr gut, sagt Sengl. Das ist überhaupt der Tenor, wenn man sich in Parteizentrale und Fraktion umhört. Alles in Butter. An der Wahlniederlage seien Berlin und die Populisten von CSU und Freien Wählern schuld. Und überhaupt: Im Vergleich zu SPD und FDP habe man ja noch immer ganz gut abgeschnitten: 14,4 Prozent. 3,2 Prozentpunkte weniger zwar als 2018, aber immer noch das zweitbeste Ergebnis in der Parteigeschichte. Klingt ja nicht schlecht.
Doch unter der Zuckerglasur gibt es derzeit viel Unmut in der Partei, zumindest auf dem Land. Vieles davon hat direkt mit dem Stadt-Land-Gefälle zu tun, manches indirekt. So bemängeln viele die mangelnde Präsenz der ländlichen Grünen im Parlament. „Wie sollen die Ideen vom Land in den Landtag kommen, wenn dort keine Leute vom Land sitzen“, fragt ein oberbayerischer Kommunalpolitiker. Tatsächlich standen auf der wichtigsten Liste bei der Landtagswahl, der des Wahlkreises Oberbayern, unter den ersten 14 nur drei Kandidaten aus einem Stimmkreis, der nicht mit der Münchner S-Bahn zu erreichen ist. Und von denen hat es nur einer in den Landtag geschafft.
Bei den Aufstellungsversammlungen laufe das auch nicht mehr wie früher, schimpft einer, der schon öfter dabei war. Die Kandidatenkür sei ein einziges Gemauschel. Alles werde schon vorab in Whatsapp-Gruppen ausgehandelt – zugunsten der Städter.
Immer wieder enden die Klagen dann bei der Grünen Jugend. Personen, die Macht hätten in der Partei, seien überwiegend typische städtisch geprägte „Parteikader“. Auch Schulze und ihre Entourage seien größtenteils in der Grünen Jugend sozialisiert worden. Diese, so die Kritikerinnen und Kritiker, sei ein gut organisiertes Karrierenetzwerk – sehr weit weg von der Praxis, aber unglaublich engagiert. „Früher ging’s um Themen, jetzt geht’s um Netzwerke“, ist ein Satz, den man in unterschiedlichen Formulierungen immer wieder zu hören bekommt.
Auch Nikolaus Hanus aus Lenggries ist nicht glücklich über die Dominanz der Grünen Jugend und will den Wählern ein breiteres personelles Angebot machen. Aber dann müssten sich eben auch die Grünen auf dem Land und die älteren Parteimitglieder besser vernetzen, fordert der 50-jährige Schreinermeister, der bei der Landtagswahl ebenfalls angetreten ist – wenn auch ohne reelle Chance. Dann müsse man halt auch mal sein Wochenende opfern und als Delegierter zum Parteitag fahren und nicht immer nur die Jungen vorschicken.
Über den Supermarkt zur Partei
Und damit zu Sabeeka Gangjee-Well und Hans Well nach Türkenfeld, in den Westen Münchens. Ein anderer Holztisch in einem anderen Bauernhaus. Nur: Dieses ist ein bisschen älter. Rund 400 Jahre alt. Entsprechend tief die Decken, klein die Fenster. Aber vorne raus kann man auf den Ammersee blicken. Das Haus hat Hans Well seinerzeit selbst hergerichtet, ein Hobby von ihm. Sabeeka Gangjee-Well ist Sprecherin des hiesigen Grünen-Ortsverbands, Gemeinderätin und Dritte Bürgermeisterin. Ihr Mann ist vor allem bekannt als einer der drei Brüder der Biermösl Blosn, der Musik- und Kabarettgruppe, die nicht nur in Bayern Kultstatus hatte und bis 2012 jahrzehntelang durch die Lande zog, oft gemeinsam mit Gerhard Polt. In ein paar Wochen ist er wieder auf Tour, diesmal mit seiner Tochter.
Hans Well, bayerischer Musiker
Es gibt Tee, Kekse und deutliche Worte. Seit Jahrzehnten begleitet Well die bayerische Politik als schonungsloser Beobachter. Für die Biermösl Blosn schrieb er die Texte. Meist hat es damals die CSU abgekriegt, nicht selten auch wegen Umweltthemen: Rhein-Main-Donau-Kanal, Wackersdorf, Isentalautobahn: Eigentlich müsste man meinen, der Mann steht den Grünen besonders nah. Stand er auch mal.
Sabeeka Gangjee-Well kam über einen Supermarkt in die Politik. Der sollte in Türkenfeld auf einer grünen Wiese gebaut werden, hätte sicher dann auch ein Gewerbegebiet nach sich gezogen. Als Gangjee-Well davon erfuhr, engagierte sie sich mit ein paar Mitstreitern gegen das Projekt. Am Ende wurde der Supermarkt nicht gebaut, aber Gangjee-Well saß im Gemeinderat.
Bei den Grünen ist sie erst seit Oktober 2019. Und dennoch hat sich bei der 55-Jährigen schon so etwas wie Resignation breitgemacht – zumindest was die Parteipolitik angeht. Sie erzählt ein Beispiel: Im Frühjahr 2022, als der Referentenentwurf zur EEG-Novelle bekannt geworden war, haben sich einige Grüne aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck, die mit der Materie Erneuerbare Energien besonders vertraut waren, zusammengetan und ein Papier mit ein paar wenigen Punkten verfasst, die aus ihrer Sicht Priorität haben sollten: eine Din-A4-Seite. Einfach so, als unverbindlichen Gruß von Experten von der Basis.
Über den Kreisverband wollten sie es dann an die zuständigen grünen Vertreter in der Bundesregierung weiterreichen. Doch der Widerstand war groß: Der Kreisverband bremste das Anliegen sofort aus, erzählt Gangjee-Well. Das Argument: Die da oben wüssten doch, was sie machten. Das seien schließlich Minister, weil sie eine so große Expertise hätten, und bräuchten bestimmt keine Ratschläge von der Parteibasis. Es kam sogar zu einer Abstimmung: Die Mitglieder des Kreisverbands waren dafür, das Papier weiterzureichen. Der Vorstand ließ es dennoch versickern. Und so wartet die Bundesregierung noch heute auf die bayerischen Eingebungen. Nach mehreren solchen Erfahrungen beschränkt sich Gangjee-Well als aktive Politikerin mittlerweile auf die Arbeit in der Gemeinde.
Während seine Frau resigniert, singt Hans Well bisweilen noch gegen den Frust an. So wie letztes Jahr im September. Da hatte ihn das Grünen-Urgestein Martin Runge gebeten, auf einer Abschiedsfeier für ihn und andere scheidende Landtagsabgeordnete aufzutreten. Was Well sang, war schmeichelhaft – für Runge. Für den Rest der Fraktion war es eher eine Watschn: „Heit hot mi’s Schicksal in eine Fraktion verschlogn, wo s’vui Abgeordnete, aber koane Charakterköpf wia an Daxenberger hom, wo ma si zfriedn gibt mit Wähler in da Stod und den Kampf ums Land längst aufgebn hod.“ („Heute hat mich das Schicksal in eine Fraktion verschlagen, wo sie viele Abgeordnete, aber keine Charakterköpfe wie den Daxenberger haben, wo man sich zufrieden gibt mit Wählern in der Stadt und den Kampf ums Land längst aufgegeben hat.“)
Ob die Grünen noch eine Partei seien oder längst eine Werbeagentur, fragte er sich in dem Lied dann noch und hielt dem grünen Spitzenpersonal vor, sich ungeniert an den Grünenhasser Söder hinzuwanzen. Die „dauervergnügte Katharina Schulze“ soll den Auftritt dem Münchner Merkur zufolge gar nicht mal so witzig gefunden haben.
Mei, enttäuschte Liebe, entschuldigt Hans Well seine Härte mit den heutigen Grünen. Im dunkelgrünen Pullover sitzt er da und schimpft gleich weiter: „Das Grundproblem bei den Grünen ist, dass sie die Graswurzelbewegung verloren haben.“ Die Menschen, die sich wirklich für ein Thema engagieren, sei es bei Fridays for Future, dem Bund Naturschutz oder in einer Bürgerinitiative, fühlten sich nicht mehr von den Grünen vertreten und hätten sich abgewandt. „Das Versagen der grünen Partei ist, dass man heute fast nur noch auf stromlinienförmige Typen setzt, die wunderbar die Sprechblasen beherrschen.“
Selbstkritik verlernt?
Dass den Grünen die Fläche wegbreche, habe auch mit konkreten Themen zu tun. Beispiel Flächenfraß: Die Grünen – federführend der damalige Fraktionschef Ludwig Hartmann – hatten 2018 ein Volksbegehren gegen die Betonflut initiiert. Ein Thema, mit dem ihnen sogar der Schulterschluss mit der Bauernschaft gelungen ist. „Damit erreichst du die Leute auf dem Land“, sagt Well.
Wegen eines Verfahrensfehlers wurde das Volksbegehren gestoppt. Aber statt den Fehler zu beheben und einen neuen Anlauf zu wagen, hätten die Grünen das Thema fallen lassen. Aus der Fraktion habe er gehört, dass Hartmann von Schulze, Lettenbauer und Sarnowski überstimmt worden sei, erzählt Well. Zu unwichtig hätten sie das Thema gefunden.
Außerdem vermisst Well bei den Grünen die Streitkultur: „Schau dir die Parteiveranstaltungen an. Das sind doch Jubelveranstaltungen.“ Gleichen die Grünen das zum Teil unerträgliche Übermaß an Kritik, ja, an Hass, das sie seit einiger Zeit von außen zu ertragen haben, durch ein Übermaß an interner Kritiklosigkeit aus? Hat ausgerechnet die basisdemokratischste unter den großen Parteien, der früher so mancher Parteitag gern mal zum Hochamt der Selbstzerfleischung entglitten ist, die Selbstkritik verlernt?
Einen wie den Sepp Daxenberger bräuchte man jetzt, sagen viele, auch Well, der gut mit ihm befreundet war. Der habe die Wertkonservativen abgeholt. Bauer, Goaßlschnalzer, Bürgermeister, Parteichef, Fraktionschef – der 2010 gestorbene Politiker aus Waging hat die Kluft zwischen Stadt und Land überbrücken können wie wohl kein zweiter. „Hättest du einen solchen Kopf, so was würde auf dem Land schon ziehen“, meint Nikolaus Hanus. Andere sind skeptisch: „Jemanden wie Daxenberger würde man heute gar nicht mehr mit den Grünen, wie ich sie wahrnehme, verbinden“, sagt etwa Politologe Gross.
Stattdessen haben die Grünen nun Katharina Schulze. Eine, die immerhin schon Wahlergebnisse eingefahren hat, von denen Daxenberger nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Fragt man auf dem Land nach ihr, sind die Antworten durchwachsen. Ein absolutes politisches Ausnahmetalent, sagen die einen, eine superschlaue, vorlaute Städterin, sagen die anderen. Und das sind auch die, die dann ganz schnell noch das Smartphone zücken und den Instagram-Kanal der bayerischen Grünen öffnen: Zwölf Bilder sind zu sehen, auf elf von ihnen „die Katha“. Die Grünen, die Partei der Vielfalt? Dieser Zuschnitt auf eine Person erinnere sie schon sehr an Söder und Aiwanger, sagt eine.
Klar, Katharina Schulze sei für viele auf dem Land schon ein Reizwort, gibt Hanus zu. Sie polarisiere halt. „Aber das tut Söder auch.“ Ob es jetzt gut sei, alles auf eine Person zu setzen? Das könne er nicht einschätzen, sagt der Grüne aus Lenggries. Aber die nächste Landtagswahl werde es ja zeigen. „Wenn wir über 20 Prozent haben, dann hat sie recht gehabt. Wenn’s schiefgeht, ist sie weg.“
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