Politikerderblecken am Nockherberg: Die Traktoren, die sie riefen

„Warum miteinander, wenn’s auch gegeneinander geht?“ Maxi Schafroth hält Bayerns Staatsspitze auf dem Nockherberg den Spiegel vor.

Christian Pfeil (l-r, als Finanzminister Lindner), Thomas Unger (als bayerischer Ministerpräsident Söder), Thomas Limpinsel (als Wirtschaftsminister Habeck), treten beim Starkbieranstich auf dem Nockherberg beim Singspiel auf

Fast nicht wiederzuerkennen: Christian Lindner, Markus Söder und Robert Habeck beim Singspiel auf dem Nockherberg Foto: Sven Hoppe/dpa

MÜNCHEN taz | Man kann sagen, was man will, aber es hat schon was: dieses ganz spezielle bayerische Schauspiel, das es tatsächlich nur hier gibt. Manche sagen: nur hier geben kann. Klar, letztendlich ist es die Werbeveranstaltung einer Brauerei, und auch das Politikerderblecken bleibt meist ein folkloristisches Ritual ohne allzu großen Nachhall.

Aber wenn man sie dann sieht, wie sie da sitzen, die Masskrüge mit dem hochprozentigen Starkbier vor sich, und die Predigt des Fastenredners eine Stunde lang über sich ergehen lassen müssen, denkt man sich dann doch: Kann ja vielleicht nichts schaden. Zwei Wochen, nachdem sie beim politischen Aschermittwoch kräftig ausgeteilt haben, müssen sie nun endlich mal wieder einstecken.

Es ist zum vierten Mal der Kabarettist Maximilian Schafroth, der den Politikern so richtig einschenken darf – und dies auch genüsslich tut. Aber anstatt sich reihum die Kabinettsmitglieder und Oppositionsvertreter vorzuknöpfen, zu jeder und jedem ein paar launige, frotzelnde Bonmots zum Besten zu geben, nimmt sich der Allgäuer diesmal dem großen Ganzen an, das in unserer Demokratie und vor allem auch unter tatkräftiger Mithilfe gewisser bayerischer Akteure gerade gewaltig schiefläuft.

Er habe heute eigentlich eine ganz ruhige Rede halten wollen, behauptet Schafroth. „Aber ich muss ja mit eurem Flow mitgehen, das ist ja eine Spirale der verbalen Hochrüstung, was ihr die letzten zwölf Monate abliefert.“ So rechtfertigt er sich, nachdem er den Saal mit Megaphon und Warnweste und ein paar Bauernbuben im Schlepptau gestürmt hat: „Wir haben zwischen den Zeilen eurer lauten Reden die Einladung vernommen, hier heute das Gebäude zu stürmen. Hier sind die Traktoren, die ihr rieft.“

Söder lacht gequält

Wer gemeint ist, ist klar: allen voran die beiden, die da ganz vorne vor ihm sitzen – zu ihrem Leidwesen auch noch am selben Tisch: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und sein Stellvertreter Hubert Aiwanger. Ihnen und ihren Claqueuren hält Schafroth vor, die Demokratie mal an ihre Grenzen bringen zu wollen „wie den alten Diesel am Reschenpass – weg von den langweiligen Fakten, hin zur Emotion.“

Wenn sein Vater am Stammtisch nach zehn Halben so einen Schmarrn verzapfen würde „wie der Markus am Aschermittwoch nach einer Mass Cola light“, dann läge der Haustürschlüssel nach Mitternacht nicht mehr unter der Matte. „Da schläft der eine Woche in der Kälberbox.“ Der Angesprochene lacht mehrfach während der Rede, im Gegensatz zum Großteil des Publikums jedoch meist eher gequält.

Alles, was in der bayerischen Landespolitik Rang und Namen hat, ist am Mittwochabend im Paulaner-Festsaal auf dem Nockherberg versammelt. Auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert ist da, neben dem christsozialen Bayern Alexander Dobrindt ist er dieses Mal jedoch der einzige prominente Vertreter der Bundespolitik.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth etwa, früher gern Gast bei dem Spektakel und mitunter auch schon selbst Protagonistin im auf die Fastenrede folgenden Singspiel, verzichtete diesmal lieber auf die Teilnahme. Dabei hätte dieser Abend anderen Veranstaltungen gegenüber einen deutlichen Vorteil gehabt: Die Gefahr, an der falschen Stelle zu klatschen, bestand nicht.

Überhaupt ist das mit dem Beifall auf dem Nockherberg ja immer so eine Sache. Böse Miene zum manchmal bösen Spiel zu machen, verbietet sich eigentlich. Man will ja nicht als jemand gelten, der keinen Spaß versteht. So wird herzlich gelacht, auch wenn es wehtut.

Tiefsitzender Groll ist selten, auch wenn Ausnahmen natürlich die Regel bestätigen. Als der damalige Fastenredner Michael Lerchenberg 2010 die sozialpolitischen Vorstellungen des damaligen FDP-Chefs Guido Westerwelle mittels eines KZ-Vergleichs beschrieb, fehlte künftig nicht nur Westerwelle auf dem Nockherberg, sondern auch Lerchenberg.

Während Westerwelles Ärger verständlich war, taten sich die CSU-Politikerinnen Barbara Stamm und Emilia Müller 2016 eher keinen Gefallen, als sie ankündigten, den Nockherberg künftig zu boykottieren, nachdem Parteifreundin Ilse Aigner von Lerchenberg-Nachfolgerin Luise Kinseher als „Kellerprimel“ bezeichnet wurde.

Aigner selbst, mittlerweile Landtagspräsidentin, geht weiterhin gern zum Starkbieranstich und amüsiert sich dem Anschein nach jedes Mal prächtig. Nicht selten war sie auch als Figur im Singspiel besetzt. Und das ist ja ohnehin das Wichtigste: vorkommen. In der Rede, im Singspiel. Dabei sein ist alles, ob man nun besser oder schlechter wegkommt, zweitrangig.

Aiwanger in der Hubertät

2,6 Millionen Menschen schauten sich die Live-Übertragung im Fernsehen an. Es gibt nur eine Sendung des Bayerischen Rundfunks, die es Jahr für Jahr auf noch höhere Einschaltquoten bringt: der Fasching in Veitshöchheim. Auch hier kommt es regelmäßig zu einem Schaulaufen der bayerischen Politprominenz, in diesem Fall meist aufwendig kostümiert. Diesmal hat die Faschingssendung den beiden Singspiel-Regisseuren Stefan Betz und Richard Oehmann das Setting für ihr Stück „Albträumereien“ geliefert, das es am Mittwochabend zu sehen gab.

Die Handlung: Noch in ihren Verkleidungen als Bismarck (Söder), Maurerbursch (Aiwanger) oder Barbie (Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze) landen die Po­li­ti­ke­r:in­nen auf der Heimfahrt von Veitshöchheim in einem recht surrealen Krankenhaus. Dort treffen sie auf einige Kollegen aus Berlin und München, die ebenfalls – wenn auch ob ihrer Verkleidungen unerkannt – auf der „Fastnacht in Franken“ mitgefeiert haben: Friedrich Merz, Olaf Scholz, Robert Habeck, Christian Lindner und der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter. In der mysteriösen Klinik werden sie nun jeweils zum Albtraum des anderen – was sie freilich größtenteils ohnehin schon sind.

Das Singspiel ist wie stets gespickt mit Anspielungen und Wortwitz, kann aber nicht mit den letzten Produktionen der beiden Regisseure mithalten, die erzählerisch eine rundere Sache und auch musikalisch auf einem anderen Niveau unterwegs waren. Dennoch ist es natürlich amüsant, den zum großen Teil hervorragenden Darstellerinnen und Darsteller des Politpersonals bei ihrem Spiel zuzusehen.

Und natürlich ist es (bitter)komisch, wenn sich Aiwanger zugute hält, dass er sich „halt die Unbekümmertheit aus meiner Jugend bewahrt“ habe, und singt: „Diese ewig junge Maskulinität heißt Hubertät, heißt Hubertät.“ Auch wenn sich Robert Habeck zerknirscht beklagt: „Es gibt ja vieles, was man als weiß gelesener Cis-Mann nicht mehr machen kann.“ Oder wenn schließlich gar eine Lautsprecherdurchsage ertönt und der CDU-Chef gesucht wird: „Der kleine Friedrich möchte bitte an die Macht kommen.“

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