Grüne Woche: Lebensmittel retten: „Wir kritisieren die Verschwendung“
Zwölf Tonnen übriggebliebene Lebensmittel hat die Berliner Tafel auf der Grünen Woche gesammelt. Weniger als 2017. Tafel-Vorsitzende Sabine Werth findet das gut.
taz: Frau Werth, die Berliner Tafel hat an den vergangenen zehn Abenden zum 22. Mal die übriggebliebenen Lebensmittel von der Grünen Woche abgeholt. Wie genau läuft das ab?
Sabine Werth: Rund 250 Ehrenamtliche waren an zehn Tagen dabei. Wir wandern an jedem Abend in Gruppen durch die verschiedenen Hallen. Wir gehen von Stand zu Stand und fragen, ob die Händlerinnen und Händler etwas abzugeben haben. Normalerweise kriegen wir an den ersten Tagen ganz wenig, weil natürlich alle Ausstellenden davon ausgehen, dass sie das im Laufe der zehn Tage noch verkaufen wollen. Dieses Jahr war auffällig, dass wir an den ersten drei Tagen schon eine Tonne gesammelt haben. Das war wirklich gigantisch.
Haben Sie also mehr gesammelt als je zuvor?
Im Gegenteil, es waren sogar zwei Tonnen weniger als im letzten Jahr. Das finde ich persönlich eher gut, weil mein Lieblingssatz ist: Wir wollen nicht immer mehr, wir wollen alles. Je mehr die Ausstellenden verkauft haben, desto weniger können wir sammeln, aber das ist auch völlig in Ordnung. Wir wollen ja nur, dass keine Lebensmittel verschwendet werden.
Wer bekommt denn dann die Lebensmittel von der Grünen Woche?
Das waren in diesem Fall keine Einzelpersonen, sondern Obdachlosenheime, Notübernachtungsunterkünfte oder Stadtmissionen. Wir fahren die Sachen noch am selben Abend aus, dieses Jahr an insgesamt 24 soziale Einrichtungen. So konnten wir ungefähr 5.000 Menschen mit den Lebensmitteln der Grünen Woche unterstützen. Einerseits ist es natürlich absurd, dass sie ausgerechnet diese teuren Lebensmittel der Grünen Woche erhalten, andererseits sehe ich das als gesellschaftliche Teilhabe. Die Menschen in den Unterkünften können sich nicht leisten, da hinzugehen und haben vielleicht auch kein Interesse, aber warum sollen sie nicht trotzdem daran teilhaben können?
61 Jahre alt, ist studierte Sozialpädagogin und selbständig in der Familienpflege tätig. Vor 25 Jahren gründete sie in Berlin die erste deutsche Tafel und ist seitdem ehrenamtliche Vorsitzende des Berliner Tafel e.V.
Was für Lebensmittel wurden gesammelt – die es sonst nicht gibt?
Im Wesentlichen waren es Lebensmittel, die man schon kennt. Aber es gab auch eine Menge Start-Ups, sodass wir gestern Abend auch noch den einen oder anderen Smoothie bekommen haben.
Ist es auch für die Menschen, die die Lebensmittel erhalten, etwas Besonderes?
Ja. Wir kündigen vorher an, dass wir vorbeikommen und die sitzen dort dann schon in den Startlöchern. Es ist natürlich ein tolles Gefühl, die Lebensmittel von der Grünen Woche zu bekommen Gerade für die, die dort nicht hingehen können. Selbst wenn es nur ein Brot ist, ist das Gefühl, dass das ein Brot von der Grünen Woche ist, etwas Besonderes.
Dürfen auch andere etwas von der Grünen Woche abholen?
Nein, die Messe Berlin sagt ganz klar, dass sowohl bei der Grünen Woche als auch bei der Obst- und Gemüsemesse Fruit Logistica nur die Tafel und sonst niemand abholen darf.
„Mehlwurm-Burger haben wir gar nicht erst bekommen, weil die ja der Renner waren“
Dieses Jahr gab es auch Ungewöhnliches wir den Mehlwurm-Burger auf der Grünen Woche. Gibt es Lebensmittel, die die Tafel ablehnt?
Wir holen möglichst gar keinen Alkohol und wenn, dann klar gekennzeichnet und noch ungeöffnet. Bei frischem Fisch und rohem Fleisch sind wir auch vorsichtig und nehmen nicht unbedingt alles mit. Mehlwurm-Burger haben wir gar nicht erst bekommen, weil die ja der Renner waren.
Besucherzahlen Rund 400.000 Menschen haben in diesem Jahr die Internationale Grüne Woche in Berlin besucht. Die Veranstalter sprachen am Wochenende von allein 90.000 Fachbesuchern. Im Blickpunkt von Branche und Besuchern standen Themen wie Digitalisierung, mehr Tierwohl und Veränderungen im Ackerbau.
Umsatz Erstmals gab das Publikum auf der Messe mehr als 50 Millionen Euro aus. Insgesamt gab es 1.660 Aussteller aus 66 Ländern auf der Grünen Woche. (dpa)
Ist es nicht eigentlich ziemlich doof, dass überhaupt zwölf Tonnen Essen übrig bleiben bei einer Veranstaltung, die sich explizit um Ernährung dreht?
Das ist eine Perversion an sich, aber mit der leben wir täglich. Wir würden als Tafel nicht existieren, wenn nicht genau das das Problem wäre – was nicht heißt, dass ich es gut heiße. Aber solange diese Verschwendung stattfindet, will ich das Gefühl haben, etwas dagegen zu tun.
Kritisieren Sie als Tafel die Verschwendung oder ist Ihnen nur wichtig, dass das Essen noch verwertet wird?
Sowohl als auch. Wir kritisieren die Verschwendung, aber wir versuchen so viel wie möglich dagegen zu tun. Und bei der Grünen Woche würde ich meine Kritik gar nicht ansetzen, sondern eher bei den produzierenden Firmen und den Großhändlern. Hier bei der Messe gehen die Ausstellenden davon aus, dass sie das, was sie mitbringen, verkaufen. Dass sie das Übrige dann an uns geben, ist eine tolle Sache. Was ich kritisiere, sind die übervollen Regale in den Supermärkten, weil ich nicht glaube, dass wir alles bis Geschäftsschluss vorrätig haben müssen.
Gibt es noch andere Großveranstaltungen, mit denen die Tafel zusammenarbeitet?
Wir sind beim Berlin-Marathon präsent, bei Messen, überall, wo Essen übrig bleibt. Die Fruit Logistica ist das größte Event für uns. Da sind wir am Abend mit 350-380 Personen im Einsatz und haben letztes Jahr 50.000 Tonnen sortiert. Aber auch da haben viele Ausstellende inzwischen ein anderes Gefühl entwickelt. Viele haben kein echtes Obst und Gemüse mehr in den Kisten, um zu präsentieren, wie es verpackt wird, sondern Bilder. Auch da kriegen wir mittlerweile also weniger.
Leser*innenkommentare
Stefan Mustermann
„Lebensmittelverschwendung“ – ein richtiger Einwand oder doch nur ein Vorwand?
Lebensmittel, die Einzelhändler und Großhändler an gemeinnützige und soziale Vereine wie die Berliner Tafel e. V. abgeben, bringendem Staat keine Steuereinnahmen. Vielmehr reduzieren sie noch solche Einnahmen zusätzlich. Denn Einzelhändler müssen Lebensmittel zuerst im Großhandel einkaufen, die sie dann für soziale Zwecke abgeben. Es entstehen also Kosten, die die Steuereinnahmen der Staat reduzieren. Und Lebensmittel, die entgeltfrei abgegeben werden, bringen keine Umsätze. Die entgangenen Umsätze wiederum führen zu keinen Steuereinnahmen für den Staat.
Die Berliner Tafel e.V. als gemeinnütziger Verein ist von der Zahlung von Steuern befreit. Deswegen werden diese 1-2 € an Einnahmen (pro Kopf, pro Einkauf) von bedürftigen Menschen nicht besteuert.
Vielen Armen Menschen (z.B. Obdachlosen Menschen) rettet die Tafel das Leben.
„Lebensmittelverschwendung“ sind entgangene Steuereinnahmen und zugleich gerettete Leben von Armen Menschen! Es findet eine „natürliche“ Umverteilung statt!
Stefan Mustermann
Großhändler und Einzelhändler verdienen es nicht wirklich, kritisiert zu werden.
Der Wettbewerb in der Lebensmittelbranche ist in Deutschland unter allen Branchen wohl der härteste. Es findet der härteste Preiswettbewerb statt. Da verdienen Händler zwar durchschnittlich 1-2 % vom Verkaufspreis über alle Güter hinweg. Aber Kunden können von niedrigen Preisen richtig profitieren!
Bleibt etwas übrig, dann bekommen soziale Einrichtungen wie die Berliner Tafel das. Das bekommen dann die Armen unserer Sozialen Gesellschaft zu einem günstigen Preis von nur 1-2 € für 1-2 Tüten Lebensmittel und können weiter existieren und schlimme Zeiten überbrücken. Und Unternehmen profitieren von guter Publicity. Das zieht wiederum weitere Kunden an. Es ist eine Win-Win-Situation also!
In einer Zentralverwaltungswirtschaft (Kommunismus) könnte man "die Verschwendung" deutlich reduzieren. Dafür hätte man aber den freien Wettbewerb deutlich einschränken müssen.