Grüne Politiker über Wandel der Stadt: „Das knirscht ordentlich“
Uwe Schneidewind schrieb ein Buch darüber, wie Transformation funktioniert. Seit 2020 ist der Grüne Oberbürgermeister von Wuppertal. Wie läuft's?
wochentaz: Sie sind gewählt worden, um Wuppertal auf den Weg zur Klimaneutralität zu bringen. Mittlerweile haben Sie die zweite Fahrradstraße der Stadt eröffnet, nach zwei Jahren Amtszeit. Geraten Sie langsam in Stress?
Uwe Schneidewind: Ich bin heute da, wo ich gern schon nach einem Jahr gewesen wäre. Das lag nicht zuletzt an der Pandemie, andere Dinge hatten Priorität. Ihr Beispiel zeigt aber den Takt, in dem in Wuppertal traditionell Mobilitätswende stattfindet. Da ist seit Jahrzehnten nichts passiert, und deshalb waren gerade diese ersten Schritte extrem schwer. Im letzten Jahr haben wir 85 Meter, sehr zentral in der Innenstadt, autofrei bekommen – die waren schon vor über zwanzig Jahren als Fußgängerzone angelegt. Die nächsten fünf Fahrradstraßen sind übrigens in Planung. Wir hatten eine lange Trägheitsphase, jetzt kommt da Dynamik rein.
Warum ist Veränderung so schwer?
ist seit November 2020 grüner Oberbürgermeister von Wuppertal. Davor war er Präsident des Wuppertal-Insituts für Klima, Umwelt, Energie.
Es geht um Gewohnheiten, die wir aufbrechen müssen. Wuppertal ist traditionell eine Autostadt, alle sind auf diese Art der Fortbewegung eingerichtet. Veränderungen in der Mobilität gehen tief in die individuelle Lebensweise hinein. Man muss immer erst einmal durch eine Shitstormphase durch. Danach sind dann meist alle begeistert.
Wir müssen so viele Wenden hinlegen, im Verkehrssektor, im Energiebereich – und das sind längst nicht alle. Ist Verwaltung innovationsfähig?
Öffentliche Verwaltung ist nach Zuständigkeiten organisiert und dafür gemacht, die Stabilität zu organisieren, die ein Gemeinwesen braucht. Jetzt brauchen und wollen wir aber schnelle und umfassende Veränderungen. Die Verwaltung muss also in Bewegung kommen – und das knirscht ordentlich. Nehmen wir mal das Beispiel Energiewende. Das ist der Denkmalschutz eine riesige Hürde für den Ausbau von Solarkraft.
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An welchen Stellen raufen Sie sich so richtig die Haare?
Regelmäßig verzweifelt bin ich in den vergangenen zwei Jahren am öffentlichen Vergaberecht, jeder öffentliche Bauauftrag muss ausgeschrieben werden. Das ist wahnsinnig kompliziert. Schon kleine Detailfehler können es unmöglich machen, einen Auftrag zu vergeben. Das war mal gut gedacht, man wollte Korruption verhindern, aber daraus ist ein Popanz geworden, der vieles blockiert.
Machen Sie das mal konkret.
Wir hängen unendlich hinterher mit Photovoltaik auf öffentlichen Dächern. Die Nachfrage ist hoch, und das komplizierte Vergaberecht führt oft dazu, dass die richtig guten Anbieter sich das gar nicht mehr antun, für die Kommune zu arbeiten. Wir müssen Aufträge oft neu ausschreiben, zudem ist jede Begegnung mit einem Auftragnehmer prinzipiell einmalig. Und das lockt Leute an aus allen Teilen der Republik, die sich denken: Hey, Wuppertal weiß noch gar nicht, wie schlecht ich arbeite – mache ich denen doch mal ein Angebot. Danach bin ich ja wieder weg.
Das klingt, als seien Ihnen die Hände gebunden – und das als Oberbürgermeister einer 360.000-Einwohner-Stadt?
Zum großen Teil: ja. Ich kann keine Gesetze ändern, die Spielräume sind klein. Meine Freiheit und meine Chance liegt darin, sie klug zu nutzen. Eine öffentliche Debatte zu schaffen, die Veränderung wirklich will. Und meine Verwaltungsmitarbeiter dazu zu ermutigen, jenseits von traditionellen Zuständigkeiten zu denken – und ein Klima zu befördern, in dem sie sich das auch trauen.
Was brauchen Kommunen, damit sie den Solarausbau stemmen können?
Ganz klar: Wir brauchen in bestimmten Bereichen mehr Mut zu Experimentierklauseln!
Das heißt?
Zum Beispiel beim Thema Denkmalschutz und Solarausbau. Da bräuchten wir das Grundprinzip: Bei allem, was reversibel ist, lassen wir den Kommunen Autonomie. Da würde kein Schaden entstehen. Jemand, der eine denkmalgeschützte Immobilie hat, achtet selbst darauf, dass das Haus auch mit Solaranlage drauf noch schön anzuschauen ist. Und sollte es wirklich schlimm aussehen, kann man sie auch einfach wieder runternehmen, und das Haus sieht aus wie vorher. Da müssen wir viel pragmatischer rangehen.
Wie sieht in Wuppertal, der Stadt der berühmten Schwebebahn, zukunftsfähige Mobilität aus?
Wir haben hier eine Tallage, ähnlich wie in Stuttgart. Der Nahverkehr funktioniert so, dass man von den Hängen runter ins Tal fährt und dann mit der Schwebebahn Strecke macht. Sie verbindet entlang der Wupper vier Regionalbahnhöfe und transportiert 60.000 Menschen jeden Tag. ÖPNV-Wende in Wuppertal heißt: Wir müssen die Taktfrequenzen erheblich erhöhen, die Busflotte auf Wasserstoff und E-Busse umstellen und die On-Demand-Komponente ausbauen. Das bedeutet: Man meldet über eine App Bedarf an, dann kommt ein Sammeltaxi. Gerade in peripheren Bereichen ist das viel wirtschaftlicher, als Busse zu betreiben. Später soll gerade in diesen Bereichen das Ganze auch autonom fahren.
Wird das 49-Euro-Ticket der ÖPNV-Wende Aufwind aufgeben?
Was die Nutzung angeht: sicherlich. Finanziell ist das aber eine aberwitzige Herausforderung. Die Stadt hat vorher schon 60 Millionen Verlust im Jahr gemacht, um den Nahverkehr zu finanzieren. Jetzt geht uns noch mehr Geld verloren: Ich persönlich habe für mein Monatsticket bislang 80 Euro im Monat bezahlt, jetzt sind es nur noch 49. Und das, obwohl ich durchaus bereit wäre, mehr zu zahlen. Da fällt jetzt einiges weg, und die Kompensationsmittel vom Bund sind nur auf zwei Jahre angelegt. Um auf das Niveau zu kommen, das wir für eine echte Wende brauchen, hätten wir Mehrkosten von rund 50 Millionen Euro im Jahr.
Sie haben für ein „Solidarisches Bürgerticket“ geworben und sich auch damit einen Shitstorm eingehandelt.
Übersetzt auf die heutigen Bedingungen war die Idee: Alle Wuppertaler Bürger werden verpflichtet sich ein 49 Euro-Ticket zu kaufen, egal ob man fährt oder nicht – und darüber kriege ich dann eine Grundabsicherung für die ganze Stadt. Das gab natürlich einen Aufschrei, nach dem Motto: „Wie, soll ich jetzt hier zwangsenteignet werden?“ In Frankreich ist man da einen anderen Weg gegangen: Dort beteiligen sich die Arbeitgeber an den Kosten für den öffentlichen Nahverkehr, über die Lohnnebenkosten. Die Argumentation liegt auf der Hand: Guter ÖPNV nutzt auch jedem Arbeitgeber, weil die Mitarbeiter:innen gut zur Arbeit kommen. So haben die Franzosen richtig viel Geld in den öffentlichen Nahverkehr gespült.
Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten: Was würden Sie anders machen?
Ich würde Vertrauen aufbauen, vom ersten Tag an. Mich hinstellen und mein Gesicht zeigen. Ich bin mit einem modernen Führungsverständnis ins Amt gekommen, und dazu gehört, dass ich mich nicht selbst nach vorne dränge, sondern mein Team so unterstütze, dass alles möglichst gut läuft. Der Beginn meiner Amtszeit fiel aber in die Coronazeit. Ich hatte einen super Krisenmanager in der Verwaltung, ihn habe ich seine Sache machen lassen. Leider hat das dazu geführt, dass ich selbst selten zu sehen war, denn es gab während der Pandemiezeit kaum öffentliche Anlässe. Die Lokalzeitung titelte: „Wo ist Uwe?“ – so was stärkt natürlich die politischen Gegenkräfte.
Ihre Stadt ist mit fast 1 Milliarde Euro verschuldet. Was lässt Sie hoffen, dass Wuppertal das alles hinkriegt?
Das Interessante hier ist: Wenn wir es hier schaffen, dann gibt es für andere Städte wirklich keinen Grund mehr, warum es nicht gehen sollte.
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