Gründerin der Amadeu Antonio Stiftung: „Wir sind Herzensgewinner“
Anetta Kahane war 24 Jahre lang Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, nun tritt sie ab. Die Stiftung sei auch eine ostdeutsche Erfolgsstory.
taz: Frau Kahane, am Donnerstag geben Sie nach 24 Jahren den Vorsitz der Amadeu Antonio Stiftung ab. Wie schwer fällt Ihnen das?
Anetta Kahane: Es fällt mir schwer und leicht zugleich. Schwer, weil die Leute hier so cool, professionell und einfach toll sind. So hatte ich mir das gewünscht, als wir die Stiftung gegründet haben. Aber es fällt mir auch leicht, weil ich diesen operativen Kram – Anträge, Gespräche, Arbeitsrecht – hinter mir lassen kann.
1991 standen Sie in Hoyerswerda, wo zuvor Migranten vertrieben wurden, inmitten einer Menge auf dem Markt und wurden ausgebuht, weil Sie gesagt haben: „Ich bin für die Ausländer.“ Hatten Sie da keine Angst?
Ich hatte keine Angst, weil die Angst, dass es schlimmer wird, viel größer war. Natürlich hatte ich in diesem Mob Respekt. Aber es war eben auch die Chance, in dem Moment etwas zu tun. Und diese Momente liebe ich. Schon in der DDR habe ich Rassismus im Umgang mit den Vertragsarbeitern angesprochen, weil der für mich nicht auszuhalten war. Der antifaschistische Staat war eine Illusion. Die DDR war, genau wie Westdeutschland, eben auch eine Nachfolgegesellschaft des Nationalsozialismus. Auch hier gab es Nazis.
Anetta Kahane, Jahrgang 1954, ist eine deutsche Journalistin und Autorin. Sie wurde in Ostberlin geboren und engagiert sich seit Jahrzehnten gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus. Im Jahr 1998 gründete sie die Amadeu Antonio Stiftung, um die ostdeutsche Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus zu stärken.
Stand Ihnen die Wut schon immer näher als die Angst?
Ich bin nicht nur wütend. Ich bin auch wahnsinnig begeisterungsfähig. Und ich mag Menschen. Ich bin wütend, wenn Menschen, die ich mag, etwas passiert. Das will ich einfach nicht. Wenn die bedroht werden, dann werde ich wütend. Tatsächlich ist dazwischen wenig Platz für Angst.
1998 gründeten Sie die Amadeu Antonio Stiftung, die die ostdeutsche Zivilgesellschaft im Umgang mit Rechtsextremismus stärken sollte. Ihre Analyse damals war düster: Migranten und linke Jugendliche würden im Osten gemobbt und verprügelt, die Gesellschaft schaue weg.
Schlimmer als die Nazis war die Schwäche der Politik und die Schwäche der Leute, die nichts gegen diesen Hass gemacht haben und die zugelassen haben, dass Menschen schlecht behandelt, gejagt oder getötet wurden.
2015 brannten wieder Unterkünfte für Geflüchtete, Polizei und Politik gingen wieder auf die Hetzer zu. Die AfD sitzt in allen Parlamenten, die Polizei lässt Querdenker-Demonstranten unbehelligt. Wiederholen sich die Neunziger?
Wir kommen leider immer wieder an ähnliche Punkte. Aber es gibt Dinge, die sich wirklich verändert haben. In den Neunzigern hatte ich das Gefühl, dass wir diesen Kampf gegen den Rechtsextremismus wirklich verlieren können, weil es so viele Zentrifugalkräfte gab und es Konsens war, dass arbeitslose Deutsche eben Nazis werden. Heute ist sehr vieles besser, der Diskurs weiter. Jetzt wissen viele, dass dieses „Wir müssen mit den Rechten reden“ nicht funktioniert. Die Leute haben etwas kapiert.
Aber die AfD und die Rechtsextremen sind trotzdem da, es gab Attentate in Halle, Hanau oder auf Walter Lübcke.
Ja, aber auf der anderen Seite haben wir auch viele Leute, die explizit gegen die AfD sind und sich demokratischen Parteien zuwenden. Das war damals nicht so. Da war es diffuser und gefährlicher. Wir haben immer gesagt, 30 Prozent der Bevölkerung sind rechts oder rechtsextrem. Das bildet sich nun in der AfD ab. Das ist gruselig, aber es ist auch nicht mehr geworden. Jetzt können es nur alle sehen. Es hat sich etwas sortiert.
Ist das nicht bitter nach 24 Jahren Stiftungsarbeit: dass man die Nazis einfach nur besser sieht?
Nein, der Erfolg ist, dass die Leute sich auch klar dagegen entscheiden. Mit der Stiftung wollten wir einen Paradigmenwechsel: Nicht mehr die Nazis pampern, sondern diejenigen stärken, die gegen die Nazis sind. Wir wollten mobile Beratungsstellen für die Kommunen, Opferbetreuung, Bildungsangebote. Politische Veränderung ist nicht per Beschluss vom Kanzler oder der Landrätin zu haben. Wir müssen das als Gesellschaft selbst durchdiskutieren und durcharbeiten. Organisationen wie unsere Stiftung haben die Leute dazu gebracht, dass sie das machen. Wir sind auch Herzensgewinner, nicht nur die Nazis.
Glauben Sie Innenministerin Nancy Faeser, wenn sie den Rechtsextremismus als größte Bedrohung bezeichnet?
Ja, und das kommt, weil der Staat jetzt auf Zivilgesellschaft reagiert, das haben wir mit dem Paradigmenwechsel erreicht. Ohne dieses ganze Thematisieren, Drängeln und Nerven würde Frau Faeser das heute vermutlich nicht sagen. Die Einwanderungsgesellschaft kommt langsam an. In der Mehrheitsgesellschaft wird offen über Rassismus als grundsätzliches Problem gesprochen, auch über Antisemitismus. Da wird auch viel Blödsinn geredet, aber es wird gesprochen, das war in der Dumpfheit der 90er ganz anders.
Also haben Sie gewonnen?
Es ist überhaupt noch nicht entschieden, wer da gewinnt. Es gibt genug autoritäre Kräfte, die alles wieder zurückdrängen können. Aber dass die Leute alles Gelernte wieder vergessen, das kann ich mir nicht vorstellen.
Sind Sie eigentlich stolz, dass die Amadeu Antonio Stiftung auch eine ostdeutsche Erfolgsstory ist?
Ja, das ist schon cool, das ist eine Genugtuung. Heute gibt es so viele spannende ostdeutsche Träger und unsere Stiftung arbeitet längst deutschlandweit. Es zeigt, was man mit Eigeninitiative statt Meckern und Jammern erreichen kann.
Sie wurden als Jüdin angefeindet und wegen Ihrer früheren Stasitätigkeit. Der Halle-Attentäter erklärte, Sie stünden ganz oben auf seiner Liste. Der als Terrorist angeklagte Soldat Franco A. spionierte Sie aus. Gab es einen Punkt, an dem Sie dachten: Ich schmeiße hin?
Nee. Ich bin da leider etwas zu tough und achte nicht so gut auf meine Grenzen. Aber ich musste anerkennen, dass der unglaubliche Hass mir natürlich an die Nerven geht. Ich muss als Symbol für ganz viele Projektionen herhalten.
Bewaffnete Männer sind noch mal eine andere Stufe als Hass.
Wenn ich den Hass gegen meine Person ernst nehme, wieso sollte ich mich wundern, wenn dieser Hass konkret wird. Über die Polizei habe ich mich geärgert, weil die mich nicht informiert haben, als Franco A. wieder aus dem Gefängnis raus war und danach in Berlin herumgelaufen ist. Aber wie sollte ich meine Arbeit hinschmeißen? Ich kann nicht mit meiner Lebensgeschichte Schluss machen.
Was meinen Sie damit?
Ich kann ja nichts daran ändern, dass ich Jüdin aus dem Osten bin, Kind von Holocaustüberlebenden, dass ich meine Erfahrungen gemacht habe. Was hätte ich machen sollen? Schneiderin? Das ist mir nicht gegeben. Der Kampf gegen diesen Hass ist mein Thema. Die Stiftung hat mir Sicherheit gegeben. Hier konnte ich meine Ängste teilen und wurde verstanden. Und meine jüdische Perspektive hat unsere Arbeit mit geprägt: Wie geht man mit Opfern um? Wie sichtbar sind sie? Diese Fragen sind für uns zentral und das unterscheidet uns von anderen Organisationen.
Auch als 2002 Ihre Stasitätigkeit publik wurde, war das kein Punkt, wo Sie gedacht haben, ich ziehe mich zurück?
Nein. Die IM-Tätigkeit wird eine ewige Schande in meiner Biografie bleiben. Aber ich bin als Mittzwanzigerin wieder bei der Stasi ausgestiegen, weit vor Ende der DDR. Normalerweise wird einem so etwas angerechnet in der Bilanz. Bei mir wurde die Stasitätigkeit aber immer wieder thematisiert. Und für mich hatten die Anfeindungen mehr mit meiner Arbeit gegen Rechtsextremismus zu tun, die sollte angegriffen werden. Dem habe ich natürlich nicht nachgegeben.
Und was machen Sie jetzt?
Ich stehe der Stiftung weiter als Beraterin zur Seite, werde schreiben, eigene Projekte verfolgen, auch für andere Organisationen da sein, wenn sie das wollen. Ich freue mich auf eine Zeit, wo ich einfach mal gucken kann, was nun passiert.
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