Großer Zapfenstreich für Olaf Scholz: Sozialdemokratischer Wahlkampfschlager für Kanzler Scholz
Die Bundeswehr verabschiedet den sozialdemokratischen Kanzler höchstzeremoniell mit Musik. Scholz wünscht sich zum Abschied Beatles, Bach und Soul.
Aber das passt ja auch zum Anlass, verabschiedet wird am Montagabend der Mann, der noch für einige, wenige Stunden Bundeskanzler ist: Olaf Scholz. „Herr Bundeskanzler, großer Zapfenstreich zu Ihren Ehren angetreten“, meldet der Kommandant.
Als Angela Merkel, Scholz’ Amtsvorgängerin, am 2. Dezember 2021 als Bundeskanzlerin mit Pomp und Musik verabschiedet wurde, war die Temperatur bei Null. Bei Scholz herrschen immerhin Plusgrade.
Merkel hatte 16 Jahre regiert, aber auch ihre Musikauswahl war auf drei Stücke beschränkt. Die Truppe bringt ein wenig Egalität in den Machtzirkus – egal, wie lange du durchhältst, am Ende bleiben dir drei Titel.
Brandenburg, oh Brandenburg
Drei Musikstücke hat sich auch Scholz, der neunte Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, zum Abschied ausgesucht. Musik, die auch etwas über ihn aussagt. Zunächst intonieren die Musiker „In my life“, ein Liebeslied von den Beatles, als Blasmusikarrangement. Wohl eine Liebeserklärung an seine Frau Britta Ernst, die er einmal als die Liebe seines Lebens bezeichnet hat und der er sein Buch „Hoffnungsland“ widmete. Sie begleitet ihn auch an diesem Abend.
Ob das Lied wirklich auf sie anspielt, ist schwer zu sagen. Der Bundeskanzler, der beim Zuhören zwischen Verteidigungsminister Boris Pistorius und dem obersten Bundeswehrsoldaten Carsten Breuer steht, verzieht keine Miene.
Es folgt ein Ausschnitt aus den Brandenburgischen Konzerten von Bach. Potsdam ist Scholz’ Wahlheimat, der umliegende Landkreis Mittelmark-Teltow-Fläming sein Wahlkreis. Er hat ihn direkt gewonnen, obwohl die SPD gerade im Osten bei der Bundestagswahl abgestraft wurde. Die Ironie der Geschichte: Es ist das einzige sozialdemokratische Direktmandat in einem ostdeutschen Flächenland. Auch deshalb wird Scholz dem Bundestag in den nächsten vier Jahren wohl als direkt gewählter Hinterbänkler angehören, pflichtbewusst über das Ende seiner politischen Karriere hinaus.
Zum Abschluss der Scholz’schen Playlist spielt das Musikkorps „Respect“ in der Fassung von Aretha Franklin. Die schmissige Soulhymne, der Scholz tatsächlich lächelnd Beifall spendet, erinnert an den sozialdemokratischen Wahlkampfschlager von 2021. Mit dem Slogan „Respekt“ und Forderungen nach einem Mindestlohn von 12 Euro gewann die SPD mit Scholz als Spitzenkandidat die Bundestagswahl.
Kanzler der Zeitenwende
Das ist nicht einmal vier Jahre her und wirkt doch wie aus einem anderen Zeitalter. Man debattierte über die Bonpflicht und die Impfpflicht. Scholz schmiedete ein Dreierbündnis zusammen mit Grünen und FDP. Es sollte eine Regierung des Aufbruchs und des Fortschritts werden. Man wolle so regieren, dass man nach vier Jahren wieder gewählt werden würde, legte Scholz die Latte zu Amtsbeginn hoch. Es wurde die kürzeste Amtszeit eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers, sie dauerte nicht einmal eine volle Legislatur.
Gescheitert ist Scholz nicht in erster Linie an sich selbst. Aber auch. Wenige Tage nachdem der russische Präsident Wladimir Putin am 24. Februar 2022 die Ukraine überfallen ließ, hielt Scholz noch die stärkste Rede seiner Amtszeit und rief eine Zeitenwende aus. Verteidigungsminister Boris Pistorius, den Scholz ins Kabinett nachholte und der ihn als Regierungsmitglied nun überleben wird, erinnert daran, dass Scholz Wortschöpfer und Kanzler der „Zeitenwende“ sei. Der Deutschland besonnen durch diese stürmische Zeit geführt habe.
Wohl wahr. Doch der russische Dauerkrieg in der Ukraine, die nach oben schnellenden Preise, die dauerzankende Ampelkoalition, all das machte viele Menschen kirre. Scholz hätte sie wohl besser mitnehmen müssen durch die Dauerkrisen. Und er hätte die Koalition, als das Geld ausging, noch mal neu aufsetzen oder früher beenden müssen. Letzteres räumte er selbst zu Jahresbeginn ein, ersteres sprach SPD-Chef Lars Klingbeil jüngst im Zeitpodcast „Alles gesagt“ an.
Aber immerhin ist Scholz nicht allein. Das von Klingbeil ausgerufene „sozialdemokratische Jahrzehnt“ scheiterte weltweit. Fast überall erlitten linke Parteien zuletzt Niederlagen durch erstarkenden Rechtspopulismus, die Verwerfungen infolge des russischen Krieges in der Ukraine und die eigene sozialdemokratische Unbestimmtheit.
Merz wünscht er Glück
Scholz lässt sich sein Scheitern am Abend seines Abschieds nicht anmerken. In seiner Abschiedsrede schlägt er versöhnliche Töne an und wirkt mit sich im Reinen. Dem Land als Bundeskanzler zu dienen, „das war und das bleibt die Ehre meines Lebens.“ Als ob er, der gerade in einer seiner letzten Amtshandlungen den evangelischen Kirchentag besucht hatte, dort auch einen Workshop in Demut und Achtsamkeit besucht hat.
Scholz bedankt sich gleich mehrfach – bei seinen Weggefährtinnen, Kollegen und Freunden, den Soldat:innen und den Bürger:innen des Landes. Er ruft zum Zusammenhalt auf. Und wünscht seinem Nachfolger Friedrich Merz „Fortüne und eine glückliche Hand“. Er hat schon angekündigt, dass er ihn am nächsten Tag mit zum Bundeskanzler wählen wird.
Ja, auch der künftige Kanzler Merz von der CDU und seine Frau Charlotte sind unter den Ehrengästen auf der Tribüne und klatschen Scholz Beifall. Es ist wohl eine Stärke der deutschen Demokratie, dass Regierungswechsel hier noch so langweilig, gesittet und zeremoniell ablaufen.
Um 22:04 erklingt die Nationalhymne, dann salutiert der Kommandant ein letztes Mal vor Scholz: „Herr Bundeskanzler, ich melde den Großen Zapfenstreich ab.“ Scholz verbeugt sich vor der Tribüne, einmal, zweimal. Dann steigen er und seine Frau in die wartende Limousine, und weg sind sie. Am nächsten Tag wird der zehnte Bundeskanzler gewählt. Friedrich Merz.
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