Griechenland und der Ukrainekrieg: Eklat im Parlament

Abgeordnete verlassen während einer Selenski-Rede das Plenum. Der Grund: Ein Kämpfer des nationalistischen Regiments Asow kommt zu Wort.

Auf einem Bildschirm spricht Zelenksy zu den Abgeordneten in einem Saal

Die Ansprache von Wolodimir Selenski im griechischen Parlament am Donnerstag Foto: Costas Baltas/reuters

ATHEN taz | Im Athener Parlament ist es am Donnerstag bei einer live übertragenen Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski zu einem Eklat gekommen. Der Grund dafür: die Einblendung des Statements eines Kämpfers, der sich als Mitglied des berühmt-berüchtigten Regiments Asow vorstellte.

„Ich spreche Sie als griechischstämmiger Ukrainer an, mein Name ist Michael. Mein Großvater kämpfte im Zweiten Weltkrieg gegen die Nazis. Dabei wurde er dreimal verwundet. Ich bin in Mariupol geboren und nehme am Krieg gegen die russischen Nazis teil.“

Er fuhr fort: „Ich werde nicht über die Schwierigkeiten sprechen, die wir in der ukrainischen Verteidigung haben, die im Asow-Bataillon kämpfen. Das ist meine Pflicht als Mann. Ich muss über die katastrophalen Bedingungen in Mariupol sprechen, wo viele griechische Auswanderer leben. Die Stadt wurde von den russischen Nazis umzingelt und fast zerstört“, sagte der Kämpfer, bevor Selenski seine Rede fortsetzte.

Doch da war das Kind schon in den Brunnen gefallen. Mehrere Abgeordnete der Athener Opposition verließen das Plenum noch vor dem Ende der 16-minütigen Selenski-Rede. Nur wenige Abgeordnete der Athener Opposition klatschten oder erhoben sich nach der Rede des ukrainischen Präsidenten.

Applaus erhielt Selenski nur von den 157 Abgeordneten der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia (ND) unter Premierminister Kyriakos Mitsotakis, sowie den 22 Abgeordneten der sozialdemokratischen Kinal-Partei im 300 Mandate umfassenden Athener Parlament.

Große Lücken

Zudem klafften schon bei Beginn der Rede von Selenski große Lücken im Plenum. Denn alle 15 Abgeordneten der Kommunistischen Partei (KKE) sowie die zehn Parlamentarier der nationalkonservativen Griechischen Lösung waren der Rede aus Protest ferngeblieben. Ferner wurde die linke MERA25 nur von einem Abgeordneten bei Beginn von Selenskis Rede vertreten.

Ex-Premierminister Antonis Samaras verurteilte im Gespräch mit Athener Parlamentskorrespondenten die Entscheidung von Selenski, einen aktiven Kämpfer des Regiments Asow im Athener Parlament sprechen zu lassen. „Das war ein großer Fehler“, so Samaras, der den rechten Flügel der ND anführt und Griechenland vom Juni 2012 bis Anfang 2015 regierte.

Für Empörung sorgte der Auftritt des Asow-Kämpfers auch bei der führenden Athener Oppositionspartei Syriza: „Die Rede von Mitgliedern des neonazistischen Asow-Ordens im griechischen Parlament ist eine Herausforderung. Die Verantwortung dafür liegt beim Premierminister. Er hat von einem historischen Tag gesprochen, daraus ist eine historische Schande geworden“, twitterte der Syriza-Chef und Ex-Premier Alexis Tsipras. “Die Solidarität mit dem ukrainischen Volk ist eine Selbstverständlichkeit. Aber die Nazis können im Parlament nicht mitreden“, so Tsipras.

Hohe Wellen schlug der Video-Auftritt des Asow-Kämpfers auch in den Freitagsausgaben der griechischen Presse. „Nazis wieder im Parlament“, titelte die linksliberale Athener Tageszeitung Efsyn. „Historische Beleidigung“, befand das konservative Blatt Dimokratia. „Sie haben die Neonazis von Asow ins Parlament gebracht“, titelte die Gazette Kontra.

Höchst umstritten

Das Regiment Asow ist in Griechenland höchst umstritten. Dabei handelt es sich um ein Freiwilligenbataillon, das als ultranationalistisch und teilweise offen rechtsextrem gilt. Die Miliz wurde im Frühjahr 2014 von den nationalistischen Politikern Oleh Ljaschko sowie Dmytro Kortschynskyj gegründet, um die ukrainische Armee im Kampf gegen die prorussischen Separatisten in der Ostukraine militärisch zu unterstützen. Mittlerweile ist das Regiment Asow in die ukrainische Nationalgarde eingegliedert.

Im seit dem 24. Februar andauernden Krieg in der Ukraine verteidigt das Regiment Asow noch einen kleinen Teil des Stadtgebiets der südostukrainischen Hafenstadt Mariupol gegen prorussische Separatisten sowie die russische Armee.

Das von Kremltruppen belagerte Mariupol und Griechenland haben eine besondere Nähe: In der Hafenstadt Mariupol und deren Umgebung lebten bis zum Kriegsbeginn rund 150.000 Ukrainerinnen und Ukrainer griechischer Abstammung. In seiner Rede vor dem Athener Parlament bat der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski Griechenland eindringlich darum, den verbliebenen Menschen in der südostukrainischen Stadt zu helfen.

„Seit dem Zweiten Weltkrieg haben wir es in der europäischen Geschichte nicht mehr erlebt, dass eine Stadt in Schutt und Asche gelegt wird“, sagte Selenski in der Liveschalte vor dem griechischen Parlament. „Die Menschen dort sterben an Hunger und Durst.“

Wochenlange Belagerung

Mariupol wird seit mehreren Wochen von russischen Soldaten belagert, Fluchtkorridore werden nur selten geöffnet. In Mariupol gebe es so gut wie kein intaktes Gebäude mehr, sagte Selenski. Die Russen hätten Krankenhäuser und Wohnhäuser bombardiert und auch das städtische Theater, in dem Zivilisten Schutz suchten.“Wir müssen jene retten, die in Mariupol noch am Leben sind“, forderte der ukrainische Präsident. „Wir brauchen humanitäre Hilfe und Evakuierung.“

Selenski erinnerte an die Jahrtausende währende Präsenz von Griechen in der Region, an die große griechischstämmige Gemeinde und den orthodoxen Glauben, den die Griechen ins Land gebracht hätten. „Eure Freiheitskämpfer riefen im griechischen Unabhängigkeitskrieg ‚Freiheit oder Tod‘. Das ist auch unser Motto.“

Das NATO-Land Griechenland hat die Invasion Russlands in die Ukraine von Beginn an aufs Schärfste verurteilt. Die Regierung Mitsotakis hat beschlossen, neben der Gewährung humanitärer Hilfe auch Waffen in die Ukraine zu liefern. Ferner fungieren Häfen und Militärbasen der NATO und der USA in Griechenland als wichtiger Brückenkopf für die der Ukraine geleistete militärische Hilfe seitens der NATO. Letzteres stößt bei vier der fünf Athener Oppositionsparteien auf Kritik oder Ablehnung.

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