Grenzziehungen auf dem Balkan: Ein Papier mit Sprengkraft
„Ethnisch reine“ Staaten auf dem Balkan? Ein Vorschlag, der offenbar von Sloweniens rechtspopulistischer Regierung stammt, sorgt für Aufregung.
Das sogenannte Non-Paper ist am Freitag auf dem slowenischen Nachrichtenportal Necenzurirano veröffentlicht worden. Hinter dem Papier, das weder unterzeichnet noch an jemanden adressiert ist, soll der slowenische Ministerpräsident Janez Janša stecken.
Janša ist ein Freund des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und ein Rechtspopulist, der für ein halbes Jahr eine führende Rolle innerhalb der EU einnehmen wird. Am 1. Juli 2021 wird Slowenien die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen.
Janša ist ein glühender Anhänger des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. So war er der einzige Europäer, der Trump nach seiner Niederlage gegen Herausforderer Joe Biden im vergangenen Jahr zu seinem angeblichen Wahlsieg gratulierte. Dies hatte bereits für Unbehagen in Europa und Unruhe vor allem auf dem Balkan gesorgt.
Für Bosniaken bliebe wenig übrig
Aufregung verursachen nun vor allem die in dem Non-Paper enthaltenen Vorschläge, zum einen die Abspaltung des bosnisch-serbischen Teilstaats Republika Srpska zu erlauben und zum anderen die Grenzen in Nordmazedonien und Albanien neu zu ziehen. Die Albanergebiete in Nordmazedonien sollen demnach zu Kosovo-Albanien kommen, Teile Kosovos zu Serbien.
Im Kern fordern die Autoren des Papiers also die Bildung ethnisch reiner Nationalstaaten: Großserbien, Großkroatien und Großalbanien. Bosnien und Herzegowina wäre damit zwischen Kroatien und Serbien aufgeteilt. Nur ein kleiner Teil des Landes bliebe für die Bosniaken übrig.
Nach Informationen von Necenzurirano hat unter anderem Albaniens Präsident Edi Rama das Dokument erhalten. Auch an EU-Ratspräsident Charles Michel soll es im Februar übergeben worden sein. Dessen Büro bestätigte den Erhalt des Non-Papers laut Medienberichten jedoch nicht, dementierte den Erhalt allerdings auch nicht.
Die Reaktionen vor allem aus Sarajevo sind harsch. „Extremer Faschismus bedroht Bosnien und Herzegowina“, titelte am Freitag die bosnische Traditionszeitung Oslobodjenje. Die slowenische Europaabgeordnete und Sozialdemokratin Tanja Fajon warnte angesichts der „für Slowenien schädlichen Vorschläge Janšas“ sogar vor einem neuen Krieg auf dem Balkan.
Der kroatische Sozialwissenschaftler und Menschenrechtler Žarko Puhovski erklärte, der Vorschlag wäre der endgültige Zerfall Jugoslawiens. Alle Regionen, in denen noch verschiedene Nationen zusammenleben, wo also noch multinationale Gesellschaften existieren, sollten zerstört werden.
Neuer nationalistischer Block
Dass so ein Vorstoß solche Reaktionen auslösen kann, hat mit der zunehmenden politischen Unsicherheit in der Region zu tun. Seit Jahren versuchen kroatische und serbische Extremisten in ihren Einflussgebieten in Bosnien und Herzegowina die ethnischen Trennungen bis ins Kleinste durchzusetzen.
Nationalistische und geschichtsrevisionistische Positionen werden ungeniert in Schulen und Medien sowie auf öffentlichen Veranstaltungen propagiert. Kroatische Nationalisten versuchen zudem, ein neues Wahlgesetz zu ihren Gunsten durchzusetzen und lobbyieren – teilweise erfolgreich – bei der EU.
Mehr noch: Es zeichnet sich eine grenzüberschreitende Koalition von Janša, Orbán, Teilen der kroatischen Regierungspartei HDZ, den Nationalistenführern in Bosnien und Herzegowina und nationalistischen Extremisten in Nordmazedonien und Montenegro ab, die auch in der serbischen Regierung über Rückhalt verfügt.
Dabei scheint sich eine Art nationalistischer Block herauszubilden, der eng mit Russland verbunden ist. Moskau ist es in den vergangenen Jahren gelungen, in der Region Fuß zu fassen. In Brüsseler Kreisen werde das Non-Paper dennoch als slowenisches Dokument gehandelt, weil Janšas Büro bei dessen Verteilung an verschiedene Adressen beteiligt gewesen sei, berichtet Necenzurirano.
EU gegen neue Grenzen
Die EU hatte im vergangenen Jahr in einem 14-Punkte-Programm die Unverletzlichkeit der Grenzen Bosnien und Herzegowinas betont. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich wiederholt gegen eine Veränderung von Grenzverläufen auf dem Balkan ausgesprochen.
Doch schon im vergangenen Jahr hatte Kroatien nach der Übernahme des EU-Vorsitzes Anfang 2020 bewiesen, dass es in dieser Position möglich ist, geschichtsrevisionistische Positionen innerhalb der EU hoffähig zu machen. Auch Janša dürfte die Gelegenheit beim Schopfe packen und seine Sicht in Brüssel zu verbreiten versuchen.
Das umstrittene Papier sieht vor, dass zunächst Möglichkeiten der Durchführung dieses Plans in einem „stillen Verfahren“ mit Entscheidungsträgern in der Region und der internationalen Gemeinschaft erörtert werden. Dieser erste Schritt wurde laut dem Dokument bereits eingeleitet.
Wenn die EU, die USA und die Mehrheit der Entscheidungsträger in der Region mit dem Plan einverstanden sind, dann soll die EU die Initiative ergreifen und sie formalisieren, heißt es weiter.
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