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Greenpeace und die „Arctic 30“Muss Greenpeace sozialer denken?

Die Umwelt-NGO agiert zu eindimensional, kritisiert ein Politologe. Auch wenn die Solidarität für die Gefangenen von Murmansk gerade groß ist.

Auf der „Arctic Sunrise“ – hier bei Grönland – wurden die Aktivistinnen und Aktivisten im September festgesetzt. Bild: dpa

Im Laufe dieser Woche sah es dann ein klein wenig besser aus für Greenpeace. Die russische Justiz hat die Anklage gegen die 28 in Murmansk inhaftierten Greenpeace-AktivistInnen und die zwei von Greenpeace gebuchten Journalisten abgeschwächt. Vom ursprünglichen Vorwurf der „bandenmäßigen Piraterie“ rückte die Behörde nun ab. Stattdessen soll den Umweltschützern wegen „Rowdytums“ //www.taz.de/Kommentar-Greenpeace-Aktivisten/!126158/:der Prozess gemacht werden. Auch dafür allerdings drohen hohe Haftstrafen.

Greenpeace hat seit Wochen nur noch ein Ziel: Die Befreiung der Inhaftierten, die die Umweltorganisation „Arctic 30“ nennt. Russische Einsatzkräfte hatten das Greenpeace-Schiff „Arctic Sunrise“ am 19. September geentert und übernommen. Die Aktivisten an Bord hatten in der Barentsee gegen Ölbohrungen des russischen Energiekonzerns Gazprom protestiert und dabei versucht eine Bohrplattform zu erklettern. Nun sitzen sie in der nordrussischen Hafenstadt Murmansk in Untersuchungshaft.

taz-Redakteur Martin Kaul hat in den Greenpeace-Zentralen in Hamburg und Amsterdam recherchiert, um die Mechanik der Kampagne zu verstehen, die zur Freilassung der Gefangenen führen soll. Er hat einen der zentralen Krisenmanager des „Crisis Management Teams“ getroffen und von ihm erfahren, was der Unterschied zwischen einem Rapid-Response-Protokoll und einem Krisenprotokoll ist. „High global priority“ gelte für die Arktis-Kampagne hat der Mann ihm gesagt. Manchmal klang er wie ein Militär.

Greenpeace, hat Kaul während seiner Recherchen festgestellt, funktioniert wie ein perfekt organisierter Bewegungskonzern. Binnen Stunden können weltweite Kampagnen entfacht werden, übersetzt in dutzende Sprachen und pointierte Parolen.

Die soziale Dimension neben der ökologischen

taz.am wochenende

Wie Greenpeace gegen Russland kämpft. Eine Reportage aus dem Innern des Umweltriesen lesen Sie in der taz.am wochenende vom 26./27. Oktober 2013 . Außerdem: Apple hatte versprochen, die Arbeitsbedingungen in China zu verbessern. Fabrikarbeiter und Arbeitsrechtler berichten, ob sich wirklich etwas getan hat. Und: Der Herbst eines Superstars – ein Portrait von Dirk Nowitzki. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Der Politikwissenschafter und NGO-Forscher Achim Brunnengräber kritisiert, dass die mediale Fokusierung auf die „Arctic 30“ den Blick auf den eigentlichen Zündstoff verstelle, der in dem Ereignis stecke. Statt auf das umstrittene russische NGO-Gesetz, Menschenrechtsverletzungen und den demokratisch desolaten Zustand Russlands hinzuweisen, gehe es jetzt vor allem um Einzelschicksale und Details der Haftbedingungen, meint Brunnengräber.

Auch die „Rettet die Arktis“-Kampagne sieht der Politikwissenschafter differenziert. Greenpeace müsse erkennen, dass man die ökologische Dimension nicht von der sozialen und gesellschaftlichen trennen könne. „Soziale Fragen in Murmansk, etwa wie viele Menschen ihren Lebensunterhalt im Energiesektor bestreiten und überhaupt von diesen Bohrungen abhängig sind, werden von Greenpeace nicht mit einbezogen“, moniert Brunnengräber. Die Ölförderung in der Arktis schaffe eben Arbeitsplätze. Dies erkläre auch die Ablehnung, die Greenpeace derzeit in der Bevölkerung vor Ort erfahre.

Müsste Greenpeace in seinen Aktionen stärker die sozialen Aspekte berücksichtigen? Sind die Kampagnen also zu eindimensional? Oder ist das einfach nur konsequent und Umweltschutz muss eben wichtiger sein als Arbeitsplätze? Was meinen Sie? Diskutieren Sie mit!

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9 Kommentare

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  • SN
    Stefan Nachhall

    Wenn Greenpeace groß genug wäre, die Welt im Alleingang zu retten, könnte man der Naturschutzorganisation vorwerfen, die soziale Komponente zu stark auszublenden.

    Greenpeace ist aber viel zu klein, um alle Probleme der Welt lösen zu können. Ein Auffächern der Aktivitäten würde diese Organisation nicht schaffen können und vom Ziel, eine artenreiche und lebenswerte Welkt für spätere Generationen zu bewahren, abbringen. Die Gegner von Greenpeace könnten sich ins Fäustchen lachen und es wäre für alle gar nichts gewonnen, dafür aber für alle ganz viel verloren - nämlich Natur zu erhalten, die für uns alle wichtig ist.

    Wer Greenpeace Vorwürfe macht, die Org würde keine Rücksicht auf Arbeitsplätze nehmen, müsste erstmal den Konzernen vorwerfen, keine Rücksicht auf unendlich viele andere Lebewesen und letztlich auch keine Rücksicht auf die Menschen zu nehmen.

    Stefan Bluemer

  • Ökologische Fragen lassen sich grundsätzlich nie von sozialen Fragen trennen. Zerstörung eines Lebensraums engt langfristig immer jegliche soziale Weiterentwicklung drastisch ein bzw. verhindert sie über Jahrhunderte hinweg. Dagegen sind ein paar kurzfristige Arbeitsplätze für wenige heute nur ein trockener Furz im Sessel eines Politologen. Leuten wie Herrn Brunnengräber fällt es immer leicht, mutige Aktionen aus der warmen Stube heraus zu kritisieren. Allzu ernst nehmen sollte man sie nicht.

  • Greenpeace´s Aufgabe ist nicht die Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern das Verhindern von Umweltschäden.

    Niemand sollte in der Arktis Bodenschätze heben dürfen, und Putin sollte Die Arctic Sunrise- Besatzung schnellstens auf freien Fuß setzen.

  • C
    CeFi

    Darf man eine Person, die den Ast auf dem sie gerade sitz absägt und die man bereits auf die Gefahr die dieses Tun birgt hingewiesen hat, darf man solch eine Person daran hindern ? Vielleicht.

    Was aber wenn man selbst mit auf diesem Ast sitzt?

  • Ja, die sozialen Fragen müssen selbstverständlich beantwortet werden. Aber nicht von Greenpeace, sondern von der Politik.

  • DM
    Der Meier

    Greenpeace sollen ihre Arbeit ruhig fortsetzen, solange sie sich nicht zru Anti-Russland Propaganda benutzen lassen

  • Die Bedenken von Herrn Brunnengräber kann ich nicht verstehen, da sich Greenpeace meines Wissens als globale Marker für akute Umweltbedrohungen versteht und dafür ein Budget zu Verfügung hat, dass nur diese Aufgabe möglich macht. Würden diese sich global mit Umweltschutz in Verbindung mit den sozialen Auswirkungen beschäftigen, das heißt Aufklärungsarbeit, kämen diese mit der Mitgliederzahl, den Strukturen und Budget wahrscheinlich schon im Ansatz zum erliegen. Hier geht`s schlicht um Geldquellen, die um ein vielfaches kräftiger sprudeln müssten. Doch die Lobby für ökonomisch stark einschränkende Maßnahmen ist schwach.

    Was soll Greenpeace den russ. Petro- Arbeitern, die alternativlos sind, denn sagen ? Zuerst kommt die Moral und dann das Fressen ? Ich glaube, Herr Brunnengräber überschätzt da die Möglichkeiten und Einfluss dieser Organisation weit.Was aber möglich wäre, ist die bessere Verzahnung mit lokalen Umweltschutzverbänden, die auch die sozialen Belange der Menschen kennen und die Arbeit von Greenpeace vermitteln. Greenpeace ist ein Feuermelder, keine Brandschutzkommission vor Baubeginn eines Kindergartens.

    Der Eindruck des Militär-ähnlichen Habitus von Greenpeace rührt von deren Arbeit im gesetzlichen Graubereich, Geheimhaltung und Disziplin in den Aktionen. Das ist eine notwendige Anpassung, die nichts mit Kuschel-Links-Grünen zu tun hat. Wer bei Aktionsgruppen bspw. Antiatomkraft-Aktionen mitgemacht hat, kennt das und weiß, warum. Das ist einfach knallharte Realität, wie die Aktivisten zur Zeit in Russland erfahren. Greenpeace-Aktivisten sind mutige, idealisierte Kämpfer, keine romant. Ökospinner.

  • C
    Christian

    Guten Tag,

     

    die soziale Dimension fließt in viele Greenpeace-Kampagnen mit ein und viele Umweltthemen sind nicht nur an sich hoch komplex sondern in politische Rahmenbedingungen eingebettet; in dieser Hinsicht leistet GP durch professionelles Briefing ihrer (wohlgemerkt meist ehrenamtlichen!)Aktivisten. Aber es liegt bei Greenpeace wie bei vielen anderen NRO/NGOs das Bewusstsein vor, dass man nicht alle Themengebiete gleichmäßig abdecken kann. Nehmen wir z.B. den Umwelt- und Tierschutz: die Themen von Greenpeace sind in den allermeisten Fällen international bzw. zumindestens überregional. Aber: was Greenpeace nicht leistet, leistet der BUND z.B. in seinen Kampagnen. Bei dem Thema Urwald/Palmöl hat man durchaus einen Fokus auf die sozialen Bedingungen gestellt; beim Tierschutz wiederum springen dann andere NRO/NGOs ein.

     

    Ein 2.Punkt: eben der wackelige Stand von NGOs in Russland ist leider auch Greenpeace gezwungen diplomatisch vorzugehen. In der Arktis-Kampagne bzw. der Free the Arctis 30-Kampagne wurde von vornherein darauf geachtet, konkret russisch-kritische Aussagen zu vermeiden. Es mag aus idealistischer Sicht etwas schmerzen nicht im Namen von Greenpeace soziale Missstände anzusprechen, aber täte GP das, dann wären sie weg vom Fenster bzw. würde die Präsenz der Organisation gefährden bzw. sogar die Mitglieder in Greenpeace in Russland selbst. Das wäre mehr als ein Phyrrus-Sieg.

     

    Ein bestimmtes Maß an, nun, Eindimensionalität würde ich es nicht bezeichnen, aber Eingeengtheit/Konkretisierung ist nicht falsch, da die ökologisch-soziale Bewegung mit mehr als nur der Stimme von Greenpeace spricht.

    Die wahre Problematik wäre in diesem Fall, dass es für die sozialen, russischen Verhältnisse leider eben zu wenig Plattform gibt, darf aber nicht erwarten, dass Greenpeace diese ausfüllt.

  • Und wenn die Ölplattform sinkt und eine Ölpest verursacht, schafft das auch wieder viele, schöne Arbeitsplätze bei saubermachen. Wirklich sehr sozial, was dieser Herr Experte da von sich gibt.