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Graphic Novels zu NS und Franco-RegimeTotengräber versus Mitläufer

Comics können herausragende und differenzierte Geschichten erzählen. Das zeigen die neuen Bücher von Paco Roca, Rodrigo Terrasa, Isabel Kreitz und Jason Lutes.

Szene aus „Der Abgrund des Vergessens“ von Paco Roca und Rodrigo Terrasa Foto: Reprodukt Verlag

Selten gab es so wenig Zukunft wie heute. Vergangenes, längst überwunden Geglaubtes drängt heran und bestimmt unsere Gegenwart. Finanzkrise und ­Pandemie, autokratische „Führer“, ideologische Verblendung und revanchistisch-imperialistisches Großmachtstreben – wie in einem Zerrspiegel sind Erscheinungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den letzten 25 Jahren zurückgekehrt.

Kritisch daran zu erinnern, wie es im „Zeitalter der Extreme“ war, ist daher kein Stoff für Sonntagsreden mehr, sondern von höchster Aktualität – und auch der Comic kann hierzu einen Beitrag leisten, wie zwei Graphic Novels von Paco Roca und Isabel Kreitz zeigen.

In Rocas „Der Abgrund des Vergessens“, nach einem Szenario des Sport- und Investigativreporters Rodrigo Terrasa, wird deutlich, wie schwer sich spanische Politik und Gesellschaft bis heute damit tun, das giftige Erbe des Franquis­mus aufzuarbeiten.

Daran, dass der Bürgerkrieg zwischen 1936 und 1939 auf beiden Seiten mit großer Brutalität geführt wurde, besteht kein Zweifel, wenn auch die Zahl der zivilen Opfer ungleich hoch ist: 50.000 bis 60.000 von republikanischer, 110.000 bis 130.000 von faschistischer Hand. Vor allem aber: Nach dem Sieg Francos setzte sich die mörderische Repression fort, die oft genug auch völlig Unschuldige traf.

Die Graphic Novels

Rodrigo Terrasa (Text) und Paco Roca (Zeichnungen): „Der Abgrund des Vergessens“. Aus dem Spanischen von André Höchemer. Reprodukt Verlag, Berlin 2025. 298 Seiten, 34 Euro

Isabel Kreitz: „Die letzte Einstellung“. Reprodukt Verlag, Berlin 2025. 312 Seiten, 29 Euro

Jason Lutes: „Berlin“. Gesamtausgabe der Trilogie als Paperback. Carlsen Verlag, Hamburg 2025. 608 Seiten, 34 Euro (ab 14 Jahren)

Eine wahre Begebenheit

Verscharrt wurden sie in Massengräbern, deren Öffnung gegen den Widerstand konservativer Kräfte erst 2007 im „Gesetz zur historischen Erinnerung“ legalisiert wurde. Allerdings bleibt es Einzelpersonen überlassen, hier jeweils die Initiative zu ergreifen.

Was dies bedeutet, führt der Comic am Beispiel der damals über 80-jährigen Josefa Celda vor, der es 2013 nach einem zweijährigen und überaus hartnäckigen Kampf gegen bürokratische und private Widerstände gelang, auf dem Friedhof von Paterna, einer kleinen Stadt in der Provinz Valencia, das Skelett ihres 1940 nach einem Scheinprozess erschossenen Vaters José identifizieren zu lassen.

Dass dies möglich war, verdankte sich nicht nur einer DNA-Analyse, sondern auch einem dem Toten beigefügten Apothekerfläschchen, in dem sich ein Zettel mit seinem Namen befand. Eine kaum glaubliche Geschichte, ein Zeugnis unbeirrbarer Humanität in finsterer Zeit: Leoncio Badía Navarro, der Totengräber, war ein Republikaner, der gezwungen wurde, „seine Leute“ – wie man sie nannte – unter die Erde zu bringen.

Von jedem der über 2 000 Opfer in Paterna aber hob er für deren Familien ein Andenken auf: eine Haarsträhne etwa oder ein Stück Stoff. Zudem fügte er eines jener Fläschchen hinzu, in der Hoffnung, eines fernen Tages werde sie jemand öffnen.

Nichts wird vergessen

„Der Abgrund des Vergessens“, im Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart von Terrasa souverän erzählt, ist ein würdiger Nachfolger von „Der Winter des Zeichners“ (2010), „Die Heimatlosen“ (2013) und „Rückkehr nach Eden“ (2021), in denen Roca sich bereits mit Bürgerkrieg und Franquismus auseinandergesetzt hat. Zeichnerisch ist er der Ligne claire verpflichtet; ungeachtet ihrer dramatischen Inhalte strahlen seine Bilder stets eine gewisse Ruhe und Gefasstheit aus.

Man macht mit oder gibt vor, nur der Kunst zu dienen

Anders als sonst kreiert er hier keine ungewöhnlichen, innovativen Seitenkompositionen. Stattdessen reiht er öfters Panels aneinander, die sich nur durch die Mimik und Gestik der Personen unterscheiden und so den Blick kunstvoll auf deren Emotionen konzentrieren.

War der Spanische Bürgerkrieg ein Vorspiel des Zweiten Weltkriegs, so führt „Die letzte Einstellung“ an dessen Ende, ins Berlin der Jahre 1944 und 1945. Heinz Hoffmann ist ein in der Weimarer Republik erfolgreicher Autor, der aber seit der „Machtergreifung“ nicht mehr publizieren darf und zurückgezogen ein recht ärmliches Leben führt.

Ausgebombt sucht er Unterschlupf bei Erika Harms, mit der er Jahre zuvor eine Affäre hatte. Erika ist Produktionsassistentin bei der Ufa und beteiligt an „Das Leben geht weiter“, einem kostspieligen Film, in dem sich, auf direktes Geheiß des Propagandaministers, eine Schilderung des schwierigen Großstadtlebens im Krieg mit Durchhalteparolen verbinden soll. Da es Probleme mit dem Drehbuch gibt, regt Erika an, Heinz einspringen zu lassen – selbstverständlich anonym.

Reale Personen

„Die letzte Einstellung“ ist eine gelungene Mischung von Erfundenem und Geschehenem. Vorbild für Heinz Hoffmann ist Erich Kästner, der unter Pseudonym ebenfalls für eine Groß­produktion schrieb, für das Hans-Albers-Vehikel „Münchhausen“ (1943).

Szene aus der Graphic Novel von Isabel Kreitz Foto: Reprodukt Verlag

Die meisten weiteren Figuren, die auftreten – Schauspielerinnen und Schauspieler, Beschäftigte der Filmindustrie – sind reale Personen. „Das Leben geht weiter“, nicht fertiggestellt und leider verschollen, gilt als einer der letzten Filme des „Dritten Reichs“. Wolfgang Liebeneiner, der Regisseur, konnte trotz seiner führenden Positionen im NS-Kulturbetrieb seine Kar­rie­re nach 1945 problemlos fortsetzen.

Wie der letzte Band von Jason Lutes „Berlin“-Trilogie (2000 bis 2018) und Barbara Yelins „Irmina“ (2015) besticht „Die letzte Einstellung“ durch die genaue, klischeefreie Darstellung des Lebens im „Dritten Reich“. Kreitz schildert eine graubraune Welt, in der es weder Helden des Widerstands noch fanatische Nazis gibt. Man macht mit oder gibt vor, nur der Kunst zu dienen, glaubt es vielleicht sogar – und überleben muss man ja auch irgendwie.

Als Heinz wegen Mangelernährung ein Zahn ausfällt, weist Erika ihn lakonisch darauf hin, dass Ufa-Angestellte eine „Schwerarbeiterzulage“ erhalten. Das Grauen der Zeit hält Kreitz dennoch unterschwellig präsent: Wenn als Komparsen verpflichtete Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter sich zur Vorbereitung einer Massenszene ihrer Kleider entledigen müssen, ist es unmöglich, nicht an Auschwitz zu denken.

Wie niemand sonst in der deutschsprachigen Comicszene kultiviert Isabel Kreitz eine naturalistische Darstellungsweise. Das ist handwerklich perfekt gemacht, gerade im Detailreichtum von Panoramabildern, hat aber auch etwas Altmeisterliches, das man als rückwärtsgewandt, als aus der Zeit gefallen empfinden kann. Unbestreitbar ist ihr Talent für lebensnahe Dialoge.

So verhöhnt eine Nazi-Schranze Heinz Hoffmann, der unter Berufung auf einen „Staatsauftrag“ gegen seine Verhaftung protestiert, mit dem Satz: „Da werd ich wohl gleich mal den Minister anrufen, um Zeit zu sparen!“ Ein Satz genügt, und schon ist eine Figur in ihrer ganzen Niedertracht charakterisiert.

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