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Ghostwriting vor GerichtVon allen guten Geistern verlassen

Eine Doktorandin zahlt 16.900 Euro an einen Ghostwriter, findet seine Arbeit aber mangelhaft. Doch das Geld zurückzubekommen ist nicht so einfach.

Kann im Prinzip schreiben, was er will: Der Ghostwriter Foto: Andrey Popov/imago/panthermedia

Lüneburg taz | Es passiert selten, dass jemand den eigenen Ghostwriter verklagt. Deswegen lässt sich die Richterin das alles nochmal ganz genau erklären. Hatice A., so erklärt sie das der Richterin am Landgericht Lüneburg, war in einer einigermaßen verzweifelten Lage.

Drei Jahre lang hatte sie schon an ihrem Promotionsprojekt gearbeitet, Hunderte Interviews mit Schülerinnen vom Berufskolleg geführt und transkribiert. Es sollte um deren Motive für das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg gehen und um die Frage, inwiefern familiäre und sonstige soziale Netze ihnen dabei helfen oder sie behindern.

Das Promotionsprojekt hatte ihr die Professorin angeboten, für die sie bereits im Bachelorstudium gearbeitet hatte. Für ihren Master war sie eigentlich weggezogen, doch dafür zog sie zurück nach Nordrhein-Westfalen. Abgesichert wurde das umfangreiche Vorhaben nur leider nicht durch eine Assistentenstelle an der Uni.

Hatice A. musste sich mit einem Werkvertrag als studentische Mitarbeiterin begnügen, wenige Stunden pro Woche, wie sie sagt. Nebenbei arbeitete sie in Teilzeit in der Kreisverwaltung. Und so langsam lief ihr die Zeit davon. Sie fühlte sich nicht in der Lage, die Berge an Material allein zu bewältigen.

Das Komplettpaket bei smartghostwriters.com

Also suchte sie im Netz nach Hilfe – und fand die smartghostwriters.com. Man wurde sich schnell einig. Ein Herr Dr. Breuer freue sich, sie bei ihrer Dissertation zu begleiten. Hatice A. kaufte das Komplettpaket. 2.500 Euro für eine nicht näher beschriebene Auswertung und 120 Euro für jede geschriebene Seite. Fünf Monate später lieferte die Agentur 130 Seiten, ordentlich formatiert und gegliedert, mit Inhalts- und Literaturverzeichnis.

Doch die junge Doktorandin war nicht zufrieden. Mehrfach schrieb sie die Agentur an, bat um Nachbesserungen. Immerhin hatte sie für dieses Werk insgesamt 16.900 Euro bezahlt, eine Menge an eigenem Material inklusive Literaturliste geliefert, die gewünschte Stoßrichtung und Struktur genau abgesprochen.

„Ich hatte den Eindruck, da wurden haufenweise selbst erstellte Tabellen in den Text gepackt, die nur dazu dienten, Seiten vollzumachen.“ Doch weder der Autor noch die Agentur reagierten auf ihre Mails. Hatice A. setzte eine Frist. Keine Reaktion. Sie ging zum Anwalt. Der setzte noch eine Frist. Keine Reaktion. Dann klagte sie.

Die Klage landete am Landgericht Lüneburg, in dessen Gerichtsbezirk die Ghostwriting-Agentur ihren Sitz hat. Und wo sich die sehr freundliche Richterin Christina Edinger redlich bemüht, beide Seiten erst einmal zu einer gütlichen Einigung zu bewegen. Doch die Vorstellungen liegen weit auseinander: Die junge Doktorandin möchte eigentlich ihr Geld wieder haben und die Anwaltskosten obendrauf.

Agentur sieht nur kleine Mängel und übliche Konflikte

Die Agentur sieht das gar nicht ein. Über einen Nachlass von 1.000 bis 2.000 Euro ließe seine Mandantin vielleicht mit sich reden, erklärt deren Anwalt Sebastian Geidel.

Und der Mann kennt sich offenbar aus, er hat ein Buch mit dem Titel „Ghostwriter – Die Person hinter den Machern“ im Selbstverlag veröffentlicht. In seinem Autorenprofil auf Amazon steht, er sei selbst ehemaliger Ghostwriter und nun selbstständiger Anwalt im Homeoffice. Auch zur Verhandlung vor der Zivilkammer in Lüneburg ist er per Video zugeschaltet.

Seine Argumentation: Die Arbeit sei gar nicht mangelhaft oder allenfalls geringfügig mangelhaft. Das seien vielmehr die üblichen Missverständnisse zwischen einer Auftraggeberin und einem fremden Autor.

In seiner Klageerwiderung hat er allerdings noch einen anderen Punkt gemacht, den das Gericht jetzt auch hervorhebt: Der Werkvertrag sei ja möglicherweise sittenwidrig und von daher nichtig – dann müsse man sich über die Qualität der Arbeit vor Gericht auch nicht mehr lange streiten.

Das, erklärt die Richterin der Klägerin, bedeutet im Übrigen auch nicht unbedingt, dass sie ihr Geld zurückbekomme. Wenn sich beide Seiten auf ein sittenwidriges Geschäft eingelassen haben, dann bleibt das Geld, wo es nun einmal gelandet ist – niemand kann etwas einklagen, es kann aber auch niemand etwas zurückfordern. So will es der Paragraph 817 des Bürgerlichen Gesetzbuches.

Sittenwidrig oder nicht?

Ob der Werkvertrag sittenwidrig ist oder nicht, hängt aber vom Einzelfall ab, referiert die Richterin weiter. Wenn sich Politiker, Firmenchefs oder Prominente Reden oder gleich ganze Bücher schreiben lassen, ist das in der Regel in Ordnung.

Anders sieht es im universitären Bereich aus: Von Doktoranden wird ein hohes Niveau an eigenständigen wissenschaftlichen Leistungen erwartet, sie müssen bei der Abgabe ihrer Dissertation eine eidesstattliche Versicherung abgeben, dass sie diese selbst verfasst haben. Das dürfte, nicht zuletzt dank der zahlreichen Plagiatsskandale der vergangenen Jahre, auch jedem klar sein.

Insofern, sagt Richterin Edinger, müsse sich die Klägerin schon vorhalten lassen, dass in den E-Mails, die zwischen ihr und der Agentur hin- und hergingen, verdächtig oft von der Dissertation oder ihrem Dissertationsprojekt die Rede ist.

Es gibt allerdings auch hier eine kleine Grauzone. Bei Hilfsarbeiten, also dem Zusammentragen von Material, dem Lektorat, der Beratung, sogar beim Anfertigen von Entwürfen ist oft nicht so ganz klar, wo die Grenze überschritten ist und eine Arbeit nicht mehr als selbst verfasst gilt.

Und genau solche Hilfstätigkeiten, versichert der Anwalt der Klägerin, Tobias Kiwitt, habe seine Mandantin ja einkaufen wollen. Keineswegs sollte die Arbeit 1:1 so eingereicht werden wie von der Agentur geliefert.

Die Agenturen sind eigentlich immer fein raus

Das entspricht allerdings auch dem rhetorischen Schlupfloch, dass sich diese Agenturen in der Regel offen halten. Die sind mit ihrem Geschäftsmodell eigentlich immer fein raus: Denn Anbieten der Dienstleistung an sich ist nicht strafbar.

Und wenn irgendetwas schiefgeht, ist ihr Kunde der Gelackmeierte – sein Geld sieht der in der Regel nicht wieder, das wissenschaftliche Fehlverhalten muss er sich außerdem vorwerfen lassen, ist seinen guten Ruf und unter Umständen auch den Titel los.

Dieses Risiko sei ihr bewusst, sagt Hatice A. am Rande der Verhandlung, mit dem Promotionsvorhaben habe sie mehr oder weniger abgeschlossen. Aber es könne doch auch nicht sein, dass die damit immer durchkommen.

Ob in diesem Fall die smartghostwriter.com wirklich damit durchkommen, muss sich erst noch zeigen. Die Richterin hat ihre Entscheidung für den 11. November angekündigt – es sei denn, die beiden Streitparteien einigen sich vorher doch noch.

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6 Kommentare

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  • Hat Frau A. eigentlich keine Angst, wegen Betrugs selbst vor Gericht gestellt zu werden?

    Die kriegt doch nie im Leben noch einen Doktortitel.

  • Ist eine beauftragte Dienstleistung mangelhaft ausgeführt worden? Oder ist eine Hilfestellung korrekt erbracht worden, die aber im Nachhinein als zu teuer vom Auftraggeber betrachtet wird?



    Oder wollte sich jemand etwas zu viel beim Verfassen einer Dissertation helfen lassen?



    Die Richterin muss hier entscheiden. Die Klägerin wollte wohl ihr Geld zurück haben, dazu hätte die Richterin beurteilen müssen, ob diese Dienstleistung wirklich mangelhaft erbracht wurde.



    Das wird aber wahrscheinlich nicht passieren, sondern es wird wahrscheinlich so enden, dass es eben sittenwidrig ist, sich wissenschaftliche Inhalte erarbeiten zu lassen, die in eine Dissertation einfließen oder sogar den wesentlichen Teil davon ausmachen.



    Auf jeden Fall ist der Prozess eine gute Abschreckung, solche 'wissenschaftlichen' Dienstleistungen einzukaufen. Es könnte sein, dass der Auftraggeber nehmen muss, was ihm vorgelegt wird. Und er müsste das dann auch noch nachbearbeiten, falls es qualitativ nicht hinhauen. Kurz: mich wundert nicht, dass viele Dissertation angedickt sind mit Plagiaten.

  • Das passt doch hinten und vorne nicht zusammen: Wie will Frau A. ihre Doktorarbeit eigenltich noch einreichen? Ihre Doktormutter muss ihr doch die Arbeit um die Ohren hauen, und falls sie die Eidesstattliche Versicherung abgibt, dass sie ds Thema selbständig bearbeitet hat, macht sie sich auch noch strafbar.



    Abgesehen davon finde ich auch das Thema und den Arbeitsumfang seltsam bis lächerlich, zumindest wenn es wirklich nicht mehr ist als im obigen Text steht:



    "....Hunderte Interviews mit Schülerinnen vom Berufskolleg geführt und transkribiert. Es sollte um deren Motive für das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg gehen und um die Frage, inwiefern familiäre und sonstige soziale Netze ihnen dabei helfen oder sie behindern."



    Das heisst, einen Fragebogen (wahrscheinlich als Excel) erstellen, und diesen mit mehreren hundert Schülerinnen (waren auch Schüler dabei oder wars ein "feministischer" Ansatz?) besprechen. Die Excel in eine kleine Datenbank werfen und einige statistische Auswertungen drüber laufen lassen. Klingt für mich eher wie eine Studienarbeit, aber nicht wie eine Dissertation. Reine Fleißarbeit, aber welche wissenschaftliche Leistung soll das sein?

  • Die in dem durchaus interessanten Artikel beschriebene Lebenslage von Hatice macht den juristischen Aspekt weniger wichtig, finde ich, als die augenscheinliche Klassenfrage, die hier eine Rolle spielt, aber leider kaum beleuchtet wird. Vielleicht täusche ich mich (und 16.900 Euro sind viel Geld), aber wer sich mit 2 Jobs über Wasser halten muss und deshalb im akademischen Betrieb strukturell benachteiligt ist, muss praktisch auf solcherlei Methoden zurückgreifen. Die Betroffene wäre dann jetzt praktisch doppelt benachteiligt und man kann ihr nur wünschen, dass der Prozess gut für sie ausgeht.

  • Keine Ahnung, was Hatice A. da noch rausholen möchte. Ausser das es viel Geld ist, worauf der Anwalt auch gerne spekuliert.

    Das Vorhaben war von Anfang an nicht korrekt. Natürlich darf man sich helfen lassen, beraten lassen, aber eine Internetadresse mit "ghostwriting" entspricht klar nicht der Vorgabe "Eigenständige Arbeit" - dem einzigen Sinn einer Promotion. Zu zeigen, dass man ein wissenschaftliches Thema selbstständig bearbeiten kann.

    Mit der Rückerstattung sollte es auch schlecht aussehen: "Und genau solche Hilfstätigkeiten, ..., habe seine Mandantin ja einkaufen wollen". Damit möchte der Anwalt die Sittenwidrigkeit hinter sich lassen, verliert damit aber den Grund einer Rückerstattung. Sie hat hat eine Leistung bekommen, 130 Seiten lang. Die hätte sie dann ja entsprechend umarbeiten können.



    Vielleicht kann sie die "unnützen Tabellen" aus der Gesamtrechnung herausnehmen, aber das dürfte die Anwaltkosten nicht aufwiegen. Abgesehen von dem restlichen Schaden.

  • Kleiner Tipp am Rande:

    Einfach mal bei KTG van Reiche nachfragen!*



    Tipps gegen n kleinen Bonus müßten drin sein!

    unterm——remember—



    Im BT. “ Habe ich am Wochenende erstmals meine Dissertation in die Hand genommen!



    🤣 🤣🤣! im Plenum



    “Jürgen Trittin “Genau Genau!“ & warf sich lachend über die Bank •