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Gewerkschaften und RechtspopulistenAus dem Paradies vertrieben

Kommentar von Thomas Gesterkamp

Vor allem männliche Arbeiter sympathisieren mit rechten Parteien. Die Gewerkschaften ignorieren das Thema.

Gewerkschaftsprotest am 1. Mai: Der DGB sorgt sich über den rechten Rand der Arbeitnehmer:innen Foto: Roland Weihrauch/dpa

D er kalifornische Stadtsoziologe Mike Davis machte schon 2004 auf eine politische Verschiebung in den Vereinigten Staaten aufmerksam. Als John Kerry gegen George W. Bush verlor, belegte er das am Beispiel von West Virginia. In den Appalachen, die die liberale Ostküste vom konservativen „Bible Belt“ trennen, liegt das Zentrum des einst wichtigen Kohlebergbaus – in Europa vergleichbar mit dem Ruhrgebiet, der belgischen Wallonie, Oberschlesien oder Südwales.

West Virginia, analysierte Mike Davis, war in den Vereinigten Staaten lange eine Domäne der Demokraten, doch plötzlich gewannen die Republikaner mit einem Vorsprung von über 10 Prozent. Der Hype um Barack Obama überdeckte den Trend vorübergehend, bei der Wahl von Trump 2016 aber stimmten die altindustriellen Bundesstaaten wieder rechts. Joe Biden, der Kandidat der Demokraten, hat das jetzt vier Jahre später trotz seines Siegs nur ansatzweise stoppen können.

Auch Ohio, Pennsylvania oder Michigan haben von dem Boom im Silicon Valley und anderswo wenig profitiert. Dort und erst recht im konservativen Süden wohnen die Rednecks, wie sie von den intellektuellen Eliten der Küstenregionen verächtlich bezeichnet werden. „Angry white men“ nennt sie der US-Geschlechterforscher Michael Kimmel.

Durch den Wandel zur Dienstleistungsökonomie ausgestoßen aus „ihrer“ Welt machen sie Feministinnen, Homosexuelle, Politiker oder Richterinnen für den Verlust von Privilegien verantwortlich. Die patriarchalen Dividenden sind aufgebraucht, die Arbeiter vertrieben aus dem Paradies vergangener Jahrzehnte.

Donald Trump, obwohl selbst keineswegs deklassiert, traf den Ton dieses Milieus. Die treuesten Anhänger des abgewählten Präsidenten waren und sind weiße Männer mit herkömmlichen Rollenmustern. Akademische Genderdebatten ignorieren sie, fühlen sich aber dennoch diskriminiert: durch Quoten und „affirmative action“, durch staatliche oder betriebliche Programme, die Frauen und Schwarzen bessere berufliche Chancen verschaffen wollen.

„Not am Mann“

Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung spricht von der „Not am Mann“, die internationale Forschung vom „double loser“, vom doppelten Verlierer, der weder eine gesicherte Arbeit noch eine feste Partnerin findet.

Arlie Russell Hochschild, Soziologin aus Berkeley, präsentiert in ihrer Untersuchung „Fremd im eigenen Land“ die Ergebnisse von Feldstudien aus der Kleinstadt Lake Charles in Louisiana. New Orleans wurde nach dem Wirbelsturm „Katrina“ überflutet, die petrochemische Industrie am Golf von Mexiko verschmutzt die Umwelt wie nirgendwo sonst in Nordamerika – dennoch leugnen die meisten der von ihr Befragten den Klimawandel. Ähnliche Mentalitäten lassen sich in abgeschwächter Form in der Bundesrepublik Deutschland beobachten.   

In der vom Braunkohletagebau geprägten Lausitz ist die Alternative für Deutschland (AfD) längst Volkspartei. Fast die Hälfte der Arbeiter stimmten bei der Landtagswahl in Brandenburg für sie, in Thüringen waren es knapp 40 Prozent.

Doch auch das westliche und saturierte Baden-Württemberg, in dem im kommenden Jahr gewählt wird, ist eine Hochburg der Rechtspopulisten – nicht zuletzt dank der Facharbeiter mit Gewerkschaftsbindung, die in der Autoindustrie oder ihren Zulieferbetrieben beschäftigt sind.

Bild der Warteschlange

Klaus Dörre, Soziologe an der Universität Jena, beschreibt das Phänomen in einem gerade erschienenen Buch mit dem Bild von der „Warteschlange“: Die Betroffenen warten am Fuße des Berges der Gerechtigkeit, aber es geht nicht mehr vorwärts. Ständig gibt es neue Gründe für Stockungen wie die Globalisierung oder die Eurokrise, und während dessen ziehen andere vermeintlich vorbei.

Am oft ländlichen Wohnort der vom Ressentiment Geprägten zerbröselt die soziale Infrastruktur, verstärkt durch die aktuellen Coronabeschränkungen: Läden schließen, der Bus fährt nur noch zweimal am Tag, die letzte Kneipe macht dicht. „Überall muss gespart werden, aber die Zugewanderten bekommen angeblich alles“, beschreibt Dörre das gängige Deutungsmuster. So wirke ein „Mechanismus, der Kränkungen durch Abwertung anderer kompensiert“.

Der Soziologe diagnostiziert die „Sehnsucht nach einem goldenen Zeitalter“, als Arbeiter noch respektiert wurden und Chancen zum gesellschaftlichen Aufstieg hatten. Er beschreibt deren schleichende Annäherung an den inzwischen auch parlamentarisch etablierten Rechtspopulismus. Die Entwicklungslinie reicht vom Frust der Ostdeutschen in der Nachwendezeit über die wachsende Globalisierung und Prekarisierung in den Nullerjahren bis zu den sozialen Folgen der Finanzkrise und den Ressentiments gegen Geflüchtete nach 2015.

Alarmierend ist der Rechtstrend unter Arbeitern für den DGB und seine Gewerkschaften. Dass vor allem männliche Mitglieder keineswegs immun sind gegen Stammtischparolen, wird intern mit Sorge beobachtet, doch eine öffentliche Positionierung fehlt weitgehend. Man kehrt das Thema gefährlicherweise unter den Teppich, um es nicht aufzuwerten. Dörre legt mit seinem Klartext sprechenden Forschungsband also den Finger in eine offene Wunde – gerade im Hinblick auf die kommenden Landtagswahlen und die Wahl zum Bundestag im Herbst 2021.

Zwar stimme die Mehrheit der Industriearbeiter nach wie vor demokratisch, „in EU-Europa sogar überwiegend links“. Doch erhebliche Teile der Arbeiterschaft fühlten sich von den sie traditionell vertretenden Parteien „im Stich gelassen“. Es wachse die Sympathie für rechtes Gedankengut. Eine „demobilisierte“ Gesellschaft bilde den „Nährboden, den die radikale Rechte für eine Umdefinition sozioökonomischer und kultureller Spannungen nutzt“.

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15 Kommentare

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  • SPD und CDU waren mal in der Lage diese Leute zu integrieren.

    Seit einigen Jahren schon hat man den Eindruck dass den Eindruck dass den beiden Parteien dieses nicht mehr wichtig ist.

    Das Ergebnis hat einen Namen und nennt sich AfD.

  • Sowohl der Artikel als auch das Buch von Klaus Dörre könnte man unter der Überschrift. "Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten" zusammenfassen. Wirklich ein uralter Hut, der auf keinen Kopf mehr passt. Beide Autoren sollten sich mal fragen, wenn sich die Arbeiter von den Linken verraten fühlten, weshalb wählen sie dann ausgerechnet die Rechte? Die Antwort ist "klassenübergreifend", Man wählt rechts nicht als Folge von Globalisierung und Finanzkrise, man wählt aus kuturellen Gründen rechts, weil man sich übergangen fühlt und sozusagen mit dem Geist der Zeit nicht mehr mitkommt.Es sind die kulturellen Werte der "Linken", die abgelehnt werden und die Förderprogramme für Minderheiten aller Art, die vielen das Gefühl geben, dass sie in der warteschlange des sozialen Aufstiegs von anderen überholt werden. So hat es zumindest Arlie Russell Hochschild in ihrem Buch: "Fremd in ihrem eigene Land" beschrieben. Das gilt sicher für einen Teil der weißen Arbeiter, aber genauso für viele andere soziale Gruppen, für weiße Frauen, weiße Mittelschichtsangehörige und in den USA auch für die Latinos und Asiaten der Mittelschicht. Wenn nur der klassische weiße Arbeiter rechts wählen würde, hätten wir nur ein kleines Problem.

  • "Doch erhebliche Teile der Arbeiterschaft fühlten sich von den sie traditionell vertretenden Parteien „im Stich gelassen“"

    Der Umbau der Industriegesellschaft wird ja auch tatsächlich von links ohne die dort arbeitenden gedacht.



    Kohleindustrie, Autoindustrie, Verkehr, Landwirtschaft, Konsum ... Es kann manchem links klimabewegten nicht schnell genug gehen mit dem Wandel und Betroffene werden da oft nicht mit gedachten.

  • Wer redet über Arbeiterinnen? Die immer die Dreifach, Vierfach-Verlierer waren: Kein fester Job, keine eigene Rente, die Verantwortung für die Kinder und die Alten, die zu betreuen waren? Und nun beweinen sich die männlichen "Doppelten Verlierer", weil sie keinen Job UND keine Frau finden. Kein Wunder, denn als eingefleischte Narzissten kommen sie NIEMALS auf die Idee, es könne auch an ihnen liegen, nein, es sind immer die anderen, die Schuld haben, dass es ihnen dreckiger geht, als sie gewohnt sind. Egal wer, aber die anderen. DAs haben die Trumps und AfDs dieser Welt erkannt und fangen damit ihre Wähler ein. Geht auf bis zu einem gewissen Prozentsatz. Hoffentlich nicht weiter.

  • Kann ich täglich hier beobachten.Auch hier haben die Arbeitnehmer total vergessen wem Sie die 35 Stunde Woche,30 bezahlte Urlaubstage etc etc.zu verdanken haben.



    Solidarität untereinander ist nicht mehr angesagt.Die kriechen Ihren Arbeitgebern mittlerweile so in den Hintern rein dass Sie schon ganz braun sind und bemerken es nicht einmal.Ich sehr hier für die Zukunft der Arbeitnehmer genauso schwarz wie den Arbeitnehmern weltweit.

  • „´Sehnsucht nach einem goldenen Zeitalter´, als Arbeiter noch respektiert wurden.“

    Das ist interessant.



    Mehr als hundert Jahre der Arbeiter bzw. die Arbeiterklasse das Lieblingskind der Linksschickeria und das Mündel der Sozialdemokraten. Die Arbeiterinteressen zu vertreten war doch Grundbedingung für den Aufstieg im linken Bereich. Das war auch dringend nötig, weil die Arbeiter bekanntlich die Verdammten dieser Erde waren, die man noch stets zum Hungern zwingt.

    Und jetzt … wach ich oder träum ich? … war das das „goldene Zeitalter, als Arbeiter noch respektiert wurden“.

    *staun*

    • @Frank Naumann:

      Da habe ich mich auch gefragt, was diese (N)ostalgie soll. Gerade bei der Altersgruppe der über 70 jährigen - wo die Arbeiter unter denen das angebliche "goldene Zeitalter " der Arbeiter noch arbeitend erlebt haben, ist der Anteil der AfD Wähler deutlich geringer.

  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - legt nach -

    “ Glückauf! Didier Eribon hat es in "Rückkehr nach Reims" - für Frankreich - analysiert. Analogien zu DE und anderen Industriestaaten sind erkennbar. Arbeiter wählten kommunistisch und hielten sich für "links", bis das ihnen nichts mehr brachte. Dann kam die verstärkte Migration und dann bekamen "die Arbeiter" von den Medien neue Feindbilder serviert. Und sie verhalten sich nun wie alle Menschen. Sie treten nach unten, gegen die neunen "Schwächsten der Gesellschaft". Es ist einfacher, nach unten zu treten als immer gegen "oben" zu kämpfen. Den meisten Arbeitern geht es ja mittlerweile ganz gut, wenn sie nicht gerade arbeitslos sind. Hinzu kommt noch, dass die neuen Rechten den einfachen Menschen einreden, sie würden mit ihnen gegen "die Eliten" kämpfen.



    Ein extremer Auswuchs einer Gilde von Politiker:innen-Typen, welche von einer Medienplutokratie (GAFA gehört auch dazu) gesteuert und hofiert werden, ist Donald Trump. Medien, welche die Menschen bei den Emotionen packen. Konsum überwindet kritisches Denken. Ähnliches gab es in den 1930ern schon mal. Aber wehe, wenn den Medien und konservativen Parteien wieder was aus dem Ruder läuft und jemand "den sie angestellt" haben (von Papen), die Macht wirklich an sich reißt und nicht "quietscht" de.wikipedia.org/w...r_Regierung_Hitler







    kurz - “Natalije - un nu komms du!“

  • Schön und pointiert zusammengefasst, aber dennoch nur teilweise passend.

    Wundern muss man sich tatsächlich nicht. Wir mussten ja wieder diese Tage in den Tagesthemen die widerliche Regierungsthese anhören, dass viele Geld, dass man den Unternehmen in der Coronazeit als Gewinn zukommen lässt, automatisch auch allen Anderen zu Gute kommt.

    Wen bitte sollen die Arbeiter den wählen? Die SPD? wohl kaum.



    Wären die Linken nicht so offensichtlich Moskau-treu, sähe es eventuell anders aus.

  • "Der Soziologe diagnostiziert die „Sehnsucht nach einem goldenen Zeitalter“, als Arbeiter noch respektiert wurden und Chancen zum gesellschaftlichen Aufstieg hatten."

    Hoffentlich hat der Soziologe oder der Artikelautor bei seiner Analyse auch berücksichtigt, dass sich der Anteil der "Arbeiter" seit dem "goldenen Zeitalter" (... der 50 stündigen Arbeit in Kohlegruben) nahezu halbiert hat und das fehlen von Arbeiterromantik kaum als Erklärung für das Erstarken des Rechtspopulismus taugt.

  • Der deutsche "Facharbeiter" ist eine Person mit mittel bis hoch 4stelligem Nettomonatseinkommen, hält Aktien "seines" Konzerns, hat ein Eigenheim und 2 KFZ (davon 1 SUV) in der Garage stehen hat. Am Prekariat haben sich die Gewerkschaften längst vorbeientwickelt. Das ist eben das Problem, wenn man das Klassenkonzept des mittleren 20. Jahrhunderts versucht, in die Gegenwart zu übertragen, in der das klassische "Proletariat" längst zum verlängerten Arm des Kapitals geworden ist, und sein Ausbeutungsverhältnis gegenüber den Armen gnadenlos verteidigt. Daran hat das deutsche Einheitsgewerkschaftswesen nicht unerheblich Schuld; historisch ist der DGB aus dem ADGB enstanden, und der war der verlängerte Arm der Noske-SPD.

    Ver.di ist vielleicht noch eine Ausnahme, da sind die ganzen Dienstleister*innen, die sich mit unter 2.000 netto im Monat durchschlagen müssen.

    • @Ajuga:

      Marx/Engels beschreiben das Prekariat als „passive Verfaulung der untersten Schichten der alten Gesellschaft“. de.wikipedia.org/wiki/Lumpenproletariat

      Dann doch lieber SPD, DGB und Gewerkschaften als revolutionäre Heilsversprechen.

  • Das gilt nicht nur für Arbeiter, sondern auch für Angestellte.



    In Saarbrücken wurde gerade der Vorstandschef der Sparkasse in den Ruhestand verabschiedet.



    Der Mann hat sich mit mittlerer Reife und Ausbildung zum Bankkaufmann bis hoch an die Spitze gearbeitet.



    Ein solche Aufstiegsmöglichkeit gibt es nicht mehr.



    Ohne Abitur und Studium in Rechtswissenschaften, Betriebswirtschaft oder Volkswirtschaft und natürlich Parteibuch hast du heutzutage keine Chance mehr.



    Wir entwickeln uns immer mehr zur Zwei-Klassengesellschaft.

  • Na Servus - 😱 -

    Nunja. Sach mal so:

    “…Alarmierend ist der Rechtstrend unter Arbeitern für den DGB und seine Gewerkschaften. Dass vor allem männliche Mitglieder keineswegs immun sind gegen Stammtischparolen, wird intern mit Sorge beobachtet, doch eine öffentliche Positionierung fehlt weitgehend. Man kehrt das Thema gefährlicherweise unter den Teppich, um es nicht aufzuwerten.…“

    Soo neu is det allet ja nich. Gellewelle.



    BRD - 40/50 bis Anfang 60er - Facharbeiter(Gewerkschaften) &/vs Flüchtlinge. Remember?! Fein.



    & noch was davor?! Gern.



    “Die sind doch schon hinter der roten Fahne herjeloofen!



    Als noch keen Hakenkreuz druff war - wa!“

    So geht das



    &



    Nochn ordentlichen FakeSchuß Sozialpartnerschaft!



    In die BescheißerleMelange & dann paßt das. Schonn. Newahr.



    Normal.

    • @Lowandorder:

      Sorry - I forgot -

      Das Zwischenglied - glatt vergessen. Gelle!

      DIE DACHLATTE VON HOLGER BÖRNER



      Wie‘s so bei Betonbauern zugut! Gelle!



      VERTRUMPT NOCH MAL - 😱 -

      kurz - “Beton - kommt drauf an.



      Waste draus machst!“



      Nur - Wundern? Nö. Sollte frauman sich nicht! Gelle. In echt nicht •



      Normal.