Gewaltaufrufe gegen Frauen: Wenn er schlägt, liebt er nicht
Ein russischer Imam ruft im Internet zu häuslicher Gewalt gegen Frauen auf. In Politik und Gesellschaft stößt das vor allem auf Gleichgültigkeit.
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T imur Kamajew hat in dem Video in seiner Moschee Irek in Kasan, der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Tatarstan, Platz genommen. Einen weißen Umhang trägt er, auch eine weiße Kappe. Vor sich auf dem niedrigen Tischschen stehen eine Kanne Tee, eine volle Tasse, ein paar Süßigkeiten. Kamajew spricht ruhig. Er gibt Ratschläge zum Leben zwischen Mann und Frau – in der Ehe, versteht sich. Ratschläge, die auf Schlägen beruhen. Mache die Frau „etwas falsch“, gehorche sie nicht, sagt der Imam. Da dürfe der Mann gern ausholen.
Dass er mit seinen wenigen Sätzen eine Anleitung zur häuslichen Gewalt erteilt, das lässt sich Kamajew nicht sagen. Auch die geistliche Verwaltung der Muslime in Tatarstan sieht in den Ausführungen ihres Imams kein Problem. Die Journalisten hätten es falsch verstanden, der Imam aus Kasan habe sich nichts zuschulden kommen lassen, ließ die Verwaltung ausrichten. Das Video hat sie vorsichtshalber aus Youtube entfernen lassen.
In den sozialen Netzwerken äußern sich viele Nutzer*innen aufgebracht zur „Rechtfertigung häuslicher Gewalt“ durch den Imam. In der Öffentlichkeit findet keine Debatte statt. Wie auch, wenn der Begriff „häusliche Gewalt“ seit Jahren keinen Einzug in die russische Gesetzgebung findet? Der russische Staat hält das für „nicht notwendig“. Es gebe viele andere Gesetze, erklärte einst Russlands Präsident Wladimir Putin, als es Bemühungen von Menschenrechtler*innen gab, ein Gesetz gegen häusliche Gewalt anzunehmen.
Für den Präsidenten, wie so viele in Russland äußerst tolerant gegenüber häuslicher Gewalt und davon überzeugt, dass der Stärkere immer recht habe, ist das Prügeln in der Familie eine Bagatelle. Die Tat wird mit einem Bußgeld von umgerechnet etwa 50 Euro geahndet. Forderungen, Frauen besser vor häuslicher Gewalt zu schützen, sieht das Justizministerium als „Diskriminierung von Männern“ an.
Gleichgültigkeit ist weit verbreitet
Gewalt in den Familien stößt in der russischen Gesellschaft oft auf Gleichgültigkeit: Schlage der Mann die Frau, so müsse die Frau schuld sein, schlagen die Eltern ihr Kind, so habe es das Kind verdient, wird oft erklärt. Selbst die Opfer sehen darin nichts Kriminelles.
Auch der Imam in Kasan wähnt sich im Recht. Drei Punkte unterstreicht er in seiner Rede für das russische Video. Beginnen solle der Mann mit einer „Ermahnung der Frau“. Verstehe sie diese nicht, werde sie des Ehebetts verwiesen, „um nachzudenken“. Bringe auch das nichts, solle der Mann seine Frau „schlagen“. Natürlich nicht so, dass sie blaue Flecken davontrage. Der Schlag solle nur aus dem Arm heraus erfolgen, nicht aus der Schulter.
Es sei ein „Verhauen“, kein „Verprügeln“, stellt er klar. „Verprügeln“ verletzte die Rechte der Frau. Manchmal reagiere der Mann „emotional“ und „verprügele“ die Frau dann doch. Aber das solle sie ihm bitte verzeihen. Wenn das öfter vorkomme, solle sie sich an den Imam wenden.
Zahnbürste, das richtige Werkzeug für Züchtigung
Ein „leichtes Verhauen“ sei völlig angemessen, meint der muslimische Geistliche und unterscheidet sich dabei kaum von den Ausführungen russisch-orthodoxer Priester. Diese fallen immer wieder mit Aussagen auf, eine Frau gehöre geschlagen, wenn sie ihrem Mann nicht gehorche. Kamajew sieht in einem Miswāk, der traditionellen Zahnbürste, das richtige Werkzeug für die Züchtigung. „Sorgfältig, mit kleinen Schlägen“ solle dieses eingesetzt werden.
Für welche „Vergehen“ die Frau geschlagen werden dürfe, weiß der Imam auch: Respektlosigkeit gegenüber Verwandten, Gebrauch von Alkohol, Untreue. Derweil lässt die Moskauer Stadtregierung Plakate in Metrostationen und Einkaufszentren aufhängen: „Wenn er schlägt, liebt er nicht“, steht da. Ein QR-Code führt zu den wenigen Frauenhäusern im Land.
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