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Gewalt gegen FrauenDeutschland macht zu wenig

Eine Studie belegt erstmals konkret, wie wenig gegen geschlechtsspezifische Gewalt unternommen wird. Es fehlt eine bundeseinheitliche Strategie.

Banner auf einer Kundgebung gegen Femizide: Wer gegen patriarchale Gewalt kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen Foto: IMAGO / Cord

Hamburg taz | Deutschland unternimmt zu wenig gegen geschlechtsspezifische Gewalt und verfehlt viele Anforderungen der Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Das belegen nun erstmals umfangreiche Zahlen im Monitor „Gewalt gegen Frauen“, den die Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR) am Dienstag veröffentlicht hat. Trotz punktueller Verbesserungen habe Deutschland „gravierende Defizite bei der Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt“, heißt es im Bericht.

For­sche­r*in­nen haben vor allem für die Jahre 2020–2022 unter anderem Daten von Bund und Ländern, von Polizei und aus dem Hilfesystem zusammengetragen. Seit 2022 untersuchen sie für die Berichterstattungsstelle am DIMR im Auftrag der Bundesregierung, inwieweit Deutschland die Istanbul-Konvention umsetzt.

Diesen völkerrechtlichen Vertrag hat Deutschland 2018 teilweise und 2023 komplett ratifiziert und sich damit rechtlich bindend verpflichtet, die festgelegten Maßnahmen umzusetzen. Zu diesen gehört unter anderem, dass Betroffene geschlechtspezifischer Gewalt ausreichend Zugang zu psychologischer Beratung, finanzieller Unterstützung und Schutzeinrichtungen wie Frauenhäusern haben sollen.

Vor zwei Wochen war die Bestürzung mal wieder groß, als das Lagebild des Bundeskriminalamts zu geschlechtsspezifischer Gewalt veröffentlicht wurde: 2023 ist die Zahl der gegen Frauen gerichteten Straftaten im Vergleich zum Vorjahr erneut gestiegen. Fast jeden Tag geschieht ein Feminizid, alle drei Minuten erleben Frauen und Mädchen sexualisierte Gewalt. „Unerträglich“ nannte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) den Anstieg und verlangte „konsequentes Handeln“. Dass ausreichend konsequentes Handeln bislang fehlt, untermauert nun der Bericht des DIMR.

Demnach erfüllt Deutschland die Anforderungen der Istanbul-Konvention in sehr vielen Punkten nicht. Die Konvention empfiehlt zum Beispiel pro 10.000 Ein­woh­ne­r:in­nen einen Familienplatz, also ein Zimmer mit Betten für eine schutzsuchende Frau und zwei Kinder.

Die meisten Frauenhausplätze in Berlin, Bremen und Hamburg

Diese Kapazitäten hat kein Bundesland. Über die Hälfte der empfohlenen Plätze verfügen Berlin, Bremen, Hamburg und Niedersachsen. Mit etwas Abstand liegt auf Platz fünf Schleswig-Holstein mit 1,23 Betten pro 10.000 Einwohnenden.

Dass es bundesweit zu wenig Betten für schutzsuchende Frauen gibt, lässt sich auch an der Auslastung der Frauenhäuser ablesen. Die lag 2022 bei durchschnittlich 82 Prozent. In der Praxis bedeute eine Auslastung von mehr als 74 Prozent, dass eine Einrichtung ihrem Auftrag nicht mehr richtig nachkommen kann, heißt es im Bericht. Die Folge: Betroffene müssen abgewiesen werden.

Obwohl sie im Verhältnis zu Einwohnenden relativ viele Plätze in Schutzeinrichtungen haben, wiesen Hamburg und Schleswig-Holstein für 2022 die höchsten Auslastungsquoten auf, von je über 90 Prozent. In Niedersachsen waren die Einrichtungen im Schnitt um etwas weniger als 70 Prozent ausgelastet, für Bremen liegen keine Zahlen vor.

Finanzierung von Frauenhäusern Ländersache

Der Monitor zeigt auch, dass es zwar bundesweit zu wenig Kapazitäten im Hilfesystem gibt, die Lage von Bundesland zu Bundesland aber stark variiert. Das liegt auch daran, dass die Finanzierung von Frauenhäusern Ländersache ist.

Dazu kommt, dass Betroffene oft anteilig selbst für ihre Unterbringung bezahlen müssen. Auch das ist auf Länderebene unterschiedlich geregelt, teils durch gesetzliche Vorgaben, teils durch Verwaltungsvorschriften. Komplett übernommen werden die Kosten der Unterbringung nur in Berlin, Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen.

Um Betroffene geschlechtsspezifischer Gewalt wirksam zu unterstützen, bräuchte es vor allem eine bundeseinheitliche Strategie. Das ist das Fazit des Monitors „Gewalt gegen Frauen“. Das von der Bundesregierung geplante Gewalthilfegesetz soll unter anderem einen solchen bundesweiten Rechtsanspruch auf Schutz enthalten. Ob es noch vor den Neuwahlen verabschiedet wird, ist derzeit aber fraglich.

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5 Kommentare

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  • Eine bundeseinheitliche Strategie hört sich für mich nicht sehr nah an den Frauen dran.

    Ich könnte mir vorstellen, dass man in Berlin-Mitte eine andere Strategie brauchen könnte als im Oldenburger Land oder in der Oberpfalz.

  • Was soll ein bundeseinheitlicher Rechtsanspruch, wenn der Bund die Finanzierung und Verwaltung der Frauenhäuser nicht komplett übernimmt? Entweder dies bleibt Länderangelegenheit (wie im Entwurf der CDU vorgesehen) oder der Bund muss komplett übernehmen. Der Entwurf der Ministerin ist halbgar.

  • Die Instanbul Konvention (Gesetz zu dem Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt) wird häufig abgekürzt zitiert als "Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen." Auch das bmfsfj formuliert : "Die Konvention zielt damit zugleich auf die Stärkung der Gleichstellung von Mann und Frau und des Rechts von Frauen auf ein gewaltfreies Leben."



    Schutz vor Gewalt ist kein weibliches Privileg.



    Die äußerst unglückliche Formulierungen der Konvention und des bmfsfj verleiten dazu.



    Die eklatanten Fehlurteile, die deswegen bereits ergangen sind müssen jeden, dem es um Sicherheit und Würde Aller geht alarmieren. Es ist keine Nebensache, wenn die Glaubwürdigkeit von Zeuginnen derart überbewertet wurde, dass nachweislich Unschuldige Jahre ihres Lebens im Justizvollzug verbrachten und samt Familien stigmatisiert und wirtschaftlich ruiniert sind.



    Schutz vor Gewalt ist ein Recht Aller, auch wenn dies in der Konvention ausgesprochen missverständlich formuliert ist.

    www.bmfsfj.de/bmfs...cher-gewalt-122282

  • Es geht halt nicht! Wir haben eine Schuldenbremse und die geht allemal vor - gegenüber der Unversehrtheit von Menschen, vor allem wenn es weibliche Menschen sind. Es gibt sogar Parteien mit "echten" Kerlen, die den Schutz von Frauen aktiv behindern. Eine davon ist gerade aus der Koalition gefeuert worden, andere wollen gerade Macht erkämpfen....

  • Solange Deutschland meint, es sei in einer nationalen Notlage wenn in einem Volk von 84 Millionen Menschen eine einzige Messerattacke stattfindet, bei der ein Mensch stirbt, dann kann es nicht schlimm sein, wenn jeden Tag eine Frau ermordet wird. So offenbar die Logik der PolitikerInnen. Und der Presse. Denn offenbar wird in den Medien immer noch fröhlich jeden Tag die Lüge verbreitet, Migration sei unser größtes Problem. Und beide Tatsachen werden nebeneinander in den Medien verbreitet.