Gewalt-Nacht in Connewitz: „Das war Wahnsinn“
Nicht nur verletzte Beamte: Nach der Connewitz-Nacht klagen Feiernde über rabiaten Polizeieinsatz. Die taz zeigt ein Video des Angriffs auf Polizisten.
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Im Fall von Nico S. bleiben die Ermittlungsergebnisse abzuwarten. Laut Staatsanwaltschaft wird weiter gegen ihn ermittelt. Aber: Der 20-Jährige ist nicht der Einzige, der über den Polizeieinsatz in der Connewitzer Silvesternacht klagt. Damit erscheint dieser Abend noch mal in einem anderen Licht.
Denn diskutiert wird bisher vor allem über linke Gewalt. Die Polizei hatte nach der Silvesternacht „massive“ Angriffe auf Beamte gemeldet. Ein Polizist wurde dabei bewusstlos, die Tat wird als versuchter Mord eingestuft. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sprach von linkem Terror, auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) verurteilte die Tat „auf das Schärfste“.
Verletzte auch unter den Feiernden
Aber: Auch auf der Seite der Feiernden gab es Verletzte. Ein LKA-Sprecher bestätigt der taz, dass unter den 13 Festgenommenen ein Mann stationär im Krankenhaus behandelt werden musste. Er sei eine der vier Personen, die nach der Silvesternacht einen Haftbefehl erhielten.
Nico S. ist dagegen wieder frei. Aber auch er beklagt, von den Polizisten verletzt worden zu sein: Er erlitt ein Hämatom am Auge. Gegen 2 Uhr habe er mit seinen Freunden am Connewitzer Kreuz zusammengestanden, berichtet S. Dann plötzlich hätten die Polizisten ihn gegriffen, ein Beamter habe ihn mit einem Finger ins Auge gedrückt. Der Vorwurf: Er habe eine Flasche geworfen. „Aber von uns hatte keiner eine Flasche geworfen, definitiv nicht“, behauptet Nico S.
Gut 37 Stunden habe er in Gewahrsam gesessen. Erst danach sei er entlassen worden – mit dem Hinweis, man könne ihm nichts nachweisen. „Es ist unglaublich, unschuldige Leute so lange festzuhalten“, klagt Nico S.
Sein Anwalt Jürgen Kasek, der auch für die Leipziger Grünen aktiv ist, hält die Festnahme für unrechtmäßig: „Gegen meinen Mandanten liegt nichts vor.“ Und Kasek kennt noch einen zweiten Festgenommenen, der ebenfalls beteuert, nichts getan zu haben. „Gewalt ist nicht zu rechtfertigen, auf keiner Seite“, sagt Kasek. Was es nun brauche, sei eine umfassende Kritik der Silvesternacht – „die notwendigerweise auch das Handeln der Polizei einbezieht“.
Von Tätern fehlt noch jede Spur
Wie der Fall Nico S. ausgeht, bleibt abzuwarten. Denn die Leipziger Staatsanwaltschaft ermittelt nicht nur gegen ihn weiter, sondern auch gegen die anderen 12 Festgenommenen. Ihnen werden Angriffe auf Polizisten oder Widerstandshandlungen vorgeworfen. Nicht aber der versuchte Mord. Hier fehlten weiter Tatverdächtige, sagte ein LKA-Sprecher am Montag der taz. Auf einen Zeugenaufruf habe sich bisher niemand gemeldet.
Auch zu diesem Vorfall bleiben Fragen – wie nun ein anonymes Privatvideo der Tat zeigt, das die taz an dieser Stelle veröffentlicht. Darauf zu sehen sind eine Vielzahl Menschen auf der Straße, einige vermummt. Es wird geböllert. Ein Mann schiebt einen brennenden Einkaufswagen mitten auf die Straße, der daraufhin umkippt.
Kurz versuchen zwei Beamte – einer mit Helm auf dem Kopf, einer mit Helm in der Hand – eine Person offenbar festzunehmen, zerren ihn über die Straße. Ob es der Einkaufswagen-Schieber ist, bleibt unklar. „Eyy“, rufen nun Leute. „Haut ab ihr Schweine!“ Plötzlich rennen Dunkelgekleidete auf die Beamten zu, springen sie mit Tritten um. Auch ein zweiter Beamter, ebenfalls ohne Helm und bisher unbeteiligt danebenstehend, wird umgetreten.
Raketen werden nun auf die Polizisten geschossen. Ein Vermummter wirft mit einem Polizeihelm, den einer der Beamten offenbar verloren hat. Die Polizisten gehen zu Boden. Als einer wieder aufstehen will, wird er nochmals umgetreten – und bleibt nun bewegungslos liegen. Erst jetzt eilen andere PolizistInnen zur Hilfe und vertreiben die Angreifer. Ihren bewusstlosen Kollegen schleifen sie von der Straße.
Rohe Gewalt, aber kein geplanter Angriff
Was die Bilder zeigen: Tatsächlich wurde rohe Gewalt gegen die Polizisten ausgeübt. Nach einem „geplanten und organisierten Angriff“, von dem Leipzigs Polizeipräsident Torsten Schultze sprach, sieht es indes nicht aus – eher nach einer Spontantat nach dem Festnahmeversuch. Und auch die Behauptung der Polizei, den Beamten seien die Helme vom Kopf gerissen worden, belegt das Video nicht. Zu sehen ist vielmehr, dass zwei der Polizisten von vornerein keinen Helm auf dem Kopf trugen.
Zuvor schon musste die Polizei nach taz-Recherchen eine ursprüngliche Äußerungen korrigieren. Sie räumte ein, dass der bewusstlose Beamte nicht im Krankenhaus „notoperiert werden musste“, wie sie anfänglich mitteilte. Die taz hatte erfahren, dass es einen Eingriff an der Ohrmuschel mit lokaler Betäubung gegeben hatte.
Zudem hatte die Polizei als Ausgangspunkt der Angriffe den brennenden Einkaufswagen benannt, der gegen 0.15 Uhr auf das Connewitzer Kreuz geschoben wurde – „mitten in eine Einheit der Bereitschaftspolizei“. Auch hier hieß es später nur noch, der Wagen sei „in Richtung der Polizeibeamten“ geschoben worden.
„Völlig unkoordinierter Einsatz“
Auch der Leipziger „Partei“-Abgeordnete Thomas Kumbernuß, der vor Ort war, sagte der taz, von der Polizei sei bei der Szene mit dem Einkaufswagen „weit und breit nichts zu sehen gewesen“. Erst als sich die zwei Beamten auf den Mann gestürzt hätten, seien Vermummte aus der Menge der Feiernden gestürmt und auf die Beamten „eingesprungen“. „Die wollten es wissen.“
Kumbernuß schildert indes auch den Nachgang der Tat. Denn auf der Straße sei weiterhin der ursprünglich Festzunehmende fixiert gewesen. Er selbst sei hingeeilt und habe gesehen, dass der Mann ebenfalls bewusstlos gewesen sei, so Kumbernuß. „Hört auf, der macht doch gar nichts mehr“, habe er gerufen. Die Polizisten hätten geantwortet, er solle sich „verpissen“.
Später seien die Beamten abgezogen und hätten den Mann liegenlassen, so Kumbernuß. Sanitäter seien nicht geholt worden. „Das könnte man unterlassene Hilfeleistung nennen.“ Er selbst und Bekannte hätten sich dann um den Mann gekümmert, bis dieser aufwachte. Kumbernuß wirft der Leipziger Polizei einen „völlig unkoordinierten Einsatz“ vor. „Die meisten Leute wollten einfach nur friedlich feiern, aber die Polizei ist immer wieder rabiat in die Menge rein.“
Das berichtet auch Laura N. Auch sie war mit Bekannten in der Silvesternacht am Connewitzer Kreuz. Von dem bewusstlosen Polizisten habe sie nichts mitbekommen, wohl aber den Tumult und die Böller-Würfe. „Wir sind dann gegangen, weil wir mit dem Stress nichts zu tun haben wollten.“
Gegen 1.15 Uhr aber seien sie zum Kreuz zurückgekehrt, so Laura N. Dann plötzlich sei die Polizei auf ihre Gruppe zugestürmt, habe einen Mann von hinten so niedergeschlagen, dass eine Flasche in seiner Tasche geplatzt und ihn geschnitten habe. Auch sie selbst sei dreimal ins Gesicht geschlagen worden, sagt Laura N. Als sich ihr Freund den Beamten in den Weg gestellt habe, sei er festgenommen und bis zum nächsten Morgen im Gewahrsam gehalten worden. „Das war ein Wahnsinn, ein Gewaltexzess.“
Auch Laura N. beteuert, dass die Gruppe zuvor nichts getan habe. Auf der anderen Straßenseite sei die Polizei zuvor gegen Leute vorgegangen, man selbst habe aber nur friedlich zusammengestanden. „Warum es uns getroffen hat, ist uns ein Rätsel.“ Man wolle nun Strafanzeige gegen die Polizei stellen.
Beschleunigter Prozess schon am Mittwoch
Auch die Anwohnerin Nadine B. berichtet von einer „beängstigenden Stimmung“ in der Silvesternacht. Schon am frühen Abend sei man überall in Connewitz auf Polizisten gestoßen, wiederholt habe es Kontrollen gegeben. „Das Ganze vermittelte nicht den Eindruck einer Deeskalation, im Gegenteil.“
Nach Mitternacht seien Polizisten dann immer wieder in Menschenmengen gelaufen, „völlig planlos und aufgebracht“, so Nadine B. Sie selbst habe gesehen, wie zwei Frauen umgerissen, andere Personen „heftig weggeschubst“ wurden. Ein junger Mann habe sich orientierungslos sein Auge gehalten, offenbar habe er Pfefferspray von der Polizei abbekommen. „Diese Szenen gab es wieder und wieder. Wir schrien die Polizei an, aufzuhören“, so Nadine B. „Ich weiß nicht, was das sollte.“
Auch die Linken-Landtagsabgeordnete Jule Nagel, die ebenfalls vor Ort war, hatte solche Szenen beschrieben und das „rabiate“ Vorgehen der Polizei kritisiert. Sie fordert inzwischen eine unabhängige Untersuchung des Polizeieinsatzes. „Im Zweifel hat der Polizeipräsident Konsequenzen zu ziehen.“
Auf der anderen Seite drückt die Justiz derweil aufs Tempo: Bereits am Mittwoch steht einer der Festgenommenen in einem beschleunigten Verfahren vor dem Amtsgericht Leipzig: Dem Mann werden ein tätlicher Angriff auf Polizisten, Widerstand und Körperverletzung vorgeworfen.
Mitarbeit: Jean-Philipp Baeck
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