Getötete RadfahrerInnen: Sicherheit ist leider relativ

Die AktivistInnen haben Recht: Es muss noch viel mehr passieren, damit die Straßen sicherer werden. Jeden Unfall wird man aber nie verhindern können.

„Geisterräder“ erinnern an getötete RadfahrerInnen (Symbolbild) Foto: dpa

Es ist noch nicht mal Mitte Februar, und schon sind fünf Menschen beim Radfahren gestorben – vier wurden von Autofahrern getötet, einer kam nach bisherigem Kenntnisstand allein zu Fall. Völlig klar: Das sind exakt fünf Tote zu viel und eine traurige Bilanz für eine Metropole, die nicht nur Fahrradstadt werden will, sondern sich qua Gesetz eine „Vision Zero“ verordnet hat, also die Aussicht auf eine Zukunft ohne tödliche Verkehrsunfälle. Von den vielen zum Teil schwer Verletzten reden wir dabei noch nicht einmal.

Es ist völlig richtig von den vielen RadaktivistInnen dieser Stadt, Abhilfe im Sinne des Mobilitätsgesetzes zu fordern – durch den Bau geschützter Radwege oder die Umgestaltung gefährlicher Kreuzungen. Der Ruf nach weiteren Tempolimits und nach verpflichtendem Einbau von Abbiegeassistenten in Lkws ist ebenso berechtigt. Es passiert tatsächlich zu wenig, die Mobilitätswende kommt nicht schnell genug voran. Es ist nicht zielführend, die Berliner ­Politik für jeden tödlichen Unfall in Haft zu nehmen, wie manche das schon routinemäßig tun.

Als Ende Januar eine Radfahrerin an der Holzhauser Straße in Tegel von einem rechtsabbiegenden Lkw getötet wurde, ging dem tatsächlich Verwaltungsversagen voraus: Obwohl an derselben Autobahnauffahrt schon zwei Radfahrende schwer verletzt worden waren und die Umprogrammierung der Ampel laut ADFC seit Jahren beauftragt ist, hat sich nichts getan. Für Radfahrende ist es an dieser gefährlichen Stelle fünf Sekunden lang Grün, absurderweise dürfen Autos trotzdem gleichzeitig losfahren.

RadaktivistInnen haben am Sonntagnachmittag am Savignyplatz eine Mahnwache für einen getöteten Radfahrer abgehalten. Der 64-Jährige war am Freitag gestorben, nachdem ein Auto ihn schwer verletzt hatte. Laut Polizei hatte der 31-jährige BMW-Fahrer „mit hoher Geschwindigkeit“ einen Transporter rechts überholt. Dabei geriet das Auto ins Schleudern, rutschte auf die Busspur und erfasste den Radfahrer. Damit sind dieses Jahr schon fünf RadfahrerInnen bei Unfällen gestorben. Im gesamten Jahr 2019 waren es sechs – statistisch allerdings ein Ausreißer nach unten.

Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) kündigte an, ein weißes „Geisterrad“ am Unfallort aufzustellen. Der Verein Changing Cities, der ebenfalls zur Mahnwache aufrief, forderte den Umbau von Radwegen und die konsequente Ahndung von Verkehrsdelikten. „Wer keine sichere Radinfrastruktur in Berlin baut, trägt die Mitverantwortung für die Getöteten. Wir erwarten Antworten“, sagte Changing-Cities-Aktivistin Kerstin Leutloff. Sie rief Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) zur Teilnahme an der Mahnwache auf.

Beim Unfall auf der Kantstraße geht die Schuld offensichtlich vor allem aufs Konto des Autofahrers, der ohne Rücksicht auf Schwächere die Regeln verletzte. Der sofortige Verweis darauf, dass man hier längst einen geschützten Radweg hätte anlegen können, ist ein bisschen wohlfeil. Poller hin, Kanten her – wenn Autofahrer mit ihrer Karre protzen wollen oder aus sonstigen Gründen die Kontrolle verlieren, ist Sicherheit relativ. Das hat spätestens der SUV-Unfall mit vier Toten in der Invalidenstraße gezeigt.

Die einzige Stadt, in der nie wieder AutofahrerInnen RadfahrerInnen töten werden, ist die Stadt, in der keine Autos mehr fahren (das heißt auch: keine Busse, kein Lieferverkehr, keine Krankenwagen). Diese Stadt wird es nicht geben. Und auch in der sicherstmöglichen Stadt und auf dem schnellsten Weg dorthin wird es immer wieder zu schrecklichen Unfällen kommen. Auf vieles – sei es das Strafmaß für UnfallfahrerInnen oder, leider, eine Abbiegeassistenz-Pflicht – hat der Senat keinen direkten Einfluss.

Wer dieses Risiko nicht aushält, müsste konsequenterweise das Radfahren einstellen und es seinen Kindern verbieten. Bitte nicht falsch verstehen: All das, was gefordert wird – mehr Sicherheit, schärfere Regeln, höhere Strafen – ist absolut berechtigt. Realistisch bleiben schadet aber nicht.

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Jahrgang 1969, lebt seit 1991 in Berlin. Seit 2001 arbeitet er mit Unterbrechungen bei der taz Berlin, mittlerweile als Redakteur für die Themen Umwelt, Mobilität, Natur- und Klimaschutz.

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