Gesetzentwurf zu Feindeslisten: Beunruhigend unscharf
Der neue Gesetzentwurf erfasst nicht nur Feindeslisten von ExtremistInnen, strafbar soll auch die Verbreitung anderer personenbezogener Daten sein.
V on einem Schnellschuss kann man eigentlich nicht sprechen. Immerhin wird schon seit rund zwei Jahren über eine mögliche Strafbarkeit sogenannter Feindeslisten diskutiert. Dennoch ist der Gesetzentwurf, den das Justizministerium jetzt vorgelegt hat, so unscharf, dass er sogar JournalistInnen und AktivistInnen beunruhigen sollte. Der Gesetzentwurf erfasst eben nicht nur Feindeslisten von RechtsextremistInnen, die die Öffentlichkeit einschüchtern. Vielmehr soll künftig die Verbreitung aller personenbezogenen Daten strafbar sein, die ihrer Art nach „geeignet ist“, die Gefahr schwerer Straftaten auszulösen.
Diese Formulierung ist so weit gefasst, dass beim Lesen vermutlich niemand, der die Vorgeschichte verpasst hat, an extremistische Todeslisten denkt. Intuitiv erinnert man sich vielleicht eher an die Bild-Zeitung, die anklagend und schon-immer-gewusst-habend über den Rückfall eines Sexualstraftäters im offenen Vollzug berichtet. Oder an eine Initiative gegen Polizeigewalt, die emotionalisierend einen Knüppelexzess konkreter BeamtInnen anprangert.
Kann das nicht auch „geeignet“ sein, Menschen in Selbstjustiz-Laune zu versetzen oder zu militanter Gegenwehr anzuregen? Wer das weit hergeholt findet, denke an die Diskussion in Frankreich. Dort soll das Filmen prügelnder PolizistInnen verboten werden, wenn die Verbreitung der Bilder die „körperliche oder psychische Unversehrtheit einzelner Beamter“ gefährden könnte.
Wenn die Koalition an ihrem Vorhaben festhält, müsste sie zweierlei sicherstellen: Erstens müsste eine subjektive Absicht verlangt werden, dass die Veröffentlichung der Daten zu Gewalttaten führt. Das hatte sogar das Bundeskriminalamt in seinem Vorschlag vorgesehen. Eine bloße „Geeignetheit“ darf nicht genügen.
Und es müsste klargestellt werden, dass meinungsstarke Medienberichte und Beiträge zum politischen Diskurs nicht unter das Gesetz fallen, solange sie nur (mutmaßliche) Missstände benennen und nicht zu Straftaten aufrufen. Die Abgrenzung ist schwierig. Aber genau darauf kommt es an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit