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Gesellschaftliche Elite in DeutschlandOben wird es eintönig

In gesellschaftlichen Eliten fehlen Ostdeutsche und Menschen mit Migrationshintergrund zumeist. Das fällt sogar dem Rest der Gesellschaft auf.

Wer schafft es nach oben? Eliten sind in Deutschland vor allem weiße Westdeutsche Foto: Karsten Thielker

Berlin taz | Ostdeutsche und Menschen mit Migrationshintergrund haben mindestens eine Gemeinsamkeit: Sie sind in der deutschen Elite unterrepräsentiert. Das belegt die am Montag veröffentlichte Studie „Soziale Integration ohne Eliten?“ des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), der Hochschule Zittau/Görlitz und der Universität Leipzig. Dieser Umstand habe negative Auswirkungen auf die Integration und die liberale Demokratie, heißt es in der Studie. Die Wissenschaftler:innen fanden zudem heraus, dass selbst die westdeutsche Mehrheitsgesellschaft die fehlende Repräsentation wahrnimmt und damit nicht zufrieden ist.

Die deutsche Gesellschaft ist dreißig Jahre nach der Wende und zwanzig Jahre nach Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts so heterogen wie nie zuvor. Laut der besagten Studie ist jede fünfte Person in Deutschland ostdeutsch und jede vierte hat einen Migrationshintergrund. Die Untersuchung von gut 3.000 Elitepositionen ergab jedoch, dass von 10 Chefsesseln lediglich je einer von Menschen aus diesen beiden Gruppen besetzt ist. Der Weg zur Repräsentation bleibt lang.

Zur Elite gehören nicht nur DAX-Vorstände und Bundestagsabgeordnete. Neben Politik und Wirtschaft haben die For­scher:innen des DeZIM-Instituts sowie der Universitäten Leipzig und Zittau-Görlitz zentrale ­Führungspositionen in den Bereichen Verwaltung, Wissenschaft, Gewerkschaften, Justiz, Militär, Sicherheit, Medien, Kultur, Zivilgesellschaft und Religion untersucht. Abgesehen von der Tendenz „unterrepräsentiert“ unterscheiden sich die Ergebnisse der einzelnen Bereiche enorm.

Die Daten zeigen beispielsweise, dass Ostdeutsche in der Politik bereits gut aufgestellt sind, während (Post-)Mig­rant:in­nen mit 7,7 Prozent bisher deutlich unterrepräsentiert bleiben. Anders sieht es im Bereich Religion aus. Dort sind Menschen mit Migrationshintergrund fast repräsentativ vertreten, Ostdeutsche mit 5 Prozent hingegen kaum.

Justiz und Militär schneiden besonders schlecht ab

Auch in den Medien gibt es zwischen den beiden Gruppen klare Unterschiede. Menschen mit Migrationshintergrund sind mit anteilig 17,7 Prozent zwar noch nicht entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil in den Führungspositionen aufgestellt, Ostdeutsche hängen mit 7 Prozent Beteiligung der Repräsentation jedoch noch weiter zurück. Besonders schlecht schneiden die Bereiche Justiz und Militär ab. Dort liegt der Anteil beider Gruppen an der Elite bei unter 2 Prozent.

Seit vielen Jahren wird diskutiert, wie sich der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund und Ostdeutschen in Führungspositionen erhöhen ließe. Auf der Suche nach Lösungswegen sind der direkte Vergleich von Ostdeutschen und Menschen mit Migrationshintergrund und auch die Aufschlüsselungen der Bereiche der Studie wegweisend. Die Unterschiedlichkeit der Ergebnisse zeigt, dass es Unterschiede in den Aufstiegschancen, Aufstiegshindernissen und Rekrutierungswegen für die verschiedenen Bereiche gibt und somit auch nicht die eine Lösung des Problems.

Was auch neu ist: Diese Tatsachen bewegen nicht nur (Post-)Mi­grant:innen und Ostdeutsche. Eine im Rahmen der Studie durchgeführte Bevölkerungsumfrage ergab, dass ein Großteil der Deutschen die Unterrepräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund und Ostdeutschen in zentralen Führungspositionen wahrnimmt.

Bemerkenswert ist auch, dass drei Viertel der Befragten diese fehlende Repräsentation als problematisch wahrnehmen, weil es so an Interessenvertretung, Erfahrungen, einem kollektiven Beteiligungsgefühl und schlichtweg an Gerechtigkeit fehle. Lediglich jede:r Fünfte:r sieht den fehlenden Aufstieg als individuelles Problem an. Das Bild der Chancengleichheit scheint auch bei der Mehrheitsgesellschaft zu bröckeln – doch wer macht Platz?

Gesetzliche Quoten werden laut der Studienergebnisse lediglich von einem Viertel der Befragten als sinnvoll erachtet. Öffentliche Förderungen und eine Stärkung der Stimme erscheinen dem Großteil der Befragten als sinnvollere Lösungsoptionen. 58 beziehungsweise 68 Prozent der Befragten meinen gar, es brauche für die Repräsentation ostdeutscher beziehungsweise (post-)migrantischer Menschen keinerlei Gegenmaßnahmen. Nun liegt es an der Wissenschaft, auch dieser Annahme Abhilfe zu leisten.

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9 Kommentare

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  • 9G
    90946 (Profil gelöscht)

    Es gibt immer noch eine große Zahl (post-)migrantischer Menschen, die hier in D kein Wahlrecht haben. Wer nicht wählen darf, interessiert sich vermutlich weniger für Repräsentanz in Politik und sonst. Institutionen und mischt sich dort weniger ein.

  • Oben wird es nicht eintönig. Oben war es schon immer eintönig - sogar mehr als heute. Tatsächlich war die Gesellschaft noch nie so durchlässig wie heute. Mit Geduld und Spucke wird sich das weiter verbessern. Wobei: Was nutzt es dem 'gemeinen Volk', wenn es oben bunter ist?

  • Der Aufstieg in die jeweiligen Führungsetagen braucht die richtigen Abschlüsse der richtigen Universitäten mit den richtigen beruflichen Lebensläufen und den richtigen beruflichen Netzwerken. Sowas entsteht doch nicht in 30 Jahren. Hierfür sind eher weitere 30 Jahre notwendig.

  • Fällt eine „Elite“ vom Himmel?



    Wohl kaum.



    Das ist ein Querschnitt der Leute, die vor zwanzig, dreißig und vierzig Jahren in günstigen Ausgangspositionen für den Aufstieg ins Berufsleben eingestiegen sind.



    Eine sich wandelnde Gesellschaft bildet sich immer verzögert in den Spitzenpositionen ab.



    Es wird halt kein 18 jähriger DAX-Vorstand, auch wenn es 10% Teens gibt.



    Abwarten hilft.



    Und für gleichartige Bildungschancen sorgen.



    Und zwischendurch nicht dramatisieren...

  • Zum einen haben sich Aufstiegschancen seit Jahrzehnten im allgemeinen verringert. Zum anderen ändert Repräsentation nur bedingt etwas. Ist eine Frau Kanzlerin, heißt das nicht automatisch, dass diese sich für Frauenrechte einsetzt (siehe auch Merkel). Ist ein*e Schwarzer Präsident, so heißt das nicht automatisch, dass sich diese*r konsequent gegen Rassismus einsetzt (siehe auch Obama). Es kommt also auf die politische Position, Strategie und womöglich weitere Rahmenbedingungen an. Soweit zur realpolitischen Ebene. Grundsätzlich finde ich es zudem schwierig, Repräsentation und Aufstiegschancen bezüglich von Eliten zu betrachten, wenn es dann auch um damit verknüpfte Einkommen und Privilegien geht. Wo ist da der Ausblick auf eine Klassenlose Gesellschaft?? Wo ist der Anspruch von Gleichheit? Was ist mit den (restlichen) Armen, Marginalisierten usw.? Was ist mit Der Kritik an Herrschaft und verschiedener Unterdrückungsformen? Etwas anderes wäre für mich eine Kritik in funktionaler Hinsicht daran, dass Menschen anhand weniger, ihnen entsprechenden Vorbildern bspw. in Bildung und Kultur sozialisiert werden.

    • @Uranus:

      "...Wo ist der Anspruch von Gleichheit? ..."

      Menschen sind nicht gleich, wollen nicht gleich sein, haben total unterschiedliches Ansprüche, Wünsche und Ziele, unterschiedliche Begabungen und Talente. Klar, Gesetze müssen für alle gelten aber das war's dann auch schon.

      Kommentar gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.

      Die Moderation

      • @Stefan L.:

        Ein Ideal der Französischen Revolution ist neben Freiheit und Geschwisterlichkeit die Gleichheit gewesen. Eingelöst wurde das jedoch nicht - weder in Frankreich noch in Deutschland. Die Gesellschaften sind bis heute hin mehr oder weniger stark hierarchisiert - auch in Hinblick auf Macht, Teilhabe, Gesundheit, Bildung und Mitbestimmung. Aus den Verhältnissen lässt sich nicht nur herauslesen, inwieweit sie Gleichheit darstellten, sondern auch inwieweit sie Freiheiten ermöglichten. Und da sieht es im Vergleich zu wenigen Menschen (Reiche) für die meisten (Arme) mau aus.

  • Wie war das vor 15 Jahren? Wo ist es seitdem besser geworden, wo schlechter?

    Insgesamt klingt es nämlich exakt nach dem, was nach einer halben Generation CDU/CSU-Hegemonie zu erwarten ist: die sozialen Folgen politischer Leitlinien, die bei aktiver Diskriminierung (Diskriminierung von Unterprivilegierten) Wegschauen, und bei passiver Diskriminierung (Privilegien für Überprivilegierte) aktive Unterstützung von Ungerechtigkeit präferiert.



    Dieser Verdacht wäre aber anhand empirischer Daten zu überprüfen.

    • @Ajuga:

      Ist aber in Ländern ohne "CDU/CSU-Hegemonie" wie z.B. Schweden sicher auch nicht anders.