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Geschlechterrollen in CoronazeitenDie Stunde der Schreimänner

Kommentar von Jagoda Marinić

Es braucht keine Männer, die die Pandemie kleinreden. Wichtig sind Frauen, die sich dagegen wehren, mal wieder auf Sorgearbeit festgelegt zu werden.

Für Frauen droht der Backlash in die Fünfziger: 1. Mai in Berlin Foto: Karsten Thielker

D a wird von allen wochenlang gefordert, man müsse die Kurve abflachen, wochenlanges Daheimbleiben für alle, und wenn die Mission gelingt, steht schon ein Männerchor in den Startlöchern und weiß alles besser. Ja, auch da gibt es Ausnahmen, Männer, die vernünftig für die Grundrechte kämpfen, aber die Regel sind die Vernuftbetonten nicht. Die Regel ist derzeit: Je lauter ich die Virologen niederstampfe, je länger mein Zeigefinger in Richtung Schweden deutet, desto heldenmutiger bin ich. Ich übe Widerstand, also bin ich, denken unsere selbsternannten Helden der Pandemie, Schreimänner nenne ich sie.

In China sind seit Ausbruch des Virus mehrere Männer verschwunden, weil sie öffentlich angeprangert haben, die Verwaltungen gingen zu fahrlässig mit der Bevölkerung um. Sie drehten Videos von mangelnden Hygienemaßnahmen, kritisierten Feste, die nicht hätten stattfinden dürfen. Die Regierung habe ihre Maßnahmen nicht den Erkenntnissen der Wissenschaft angepasst. Den Fakten. Sie handle irrational und gefährde so die Bevölkerung. Diese Männer, es ware viele, sind derzeit verschwunden. Im Westen kennt man nicht einmal ihre Namen.

Bei uns hingegen wird die Regierung für ebensolch faktenbasiertes Handeln und erfolgreiches Krisenmanagement nicht gelobt. Nein, bei uns wird das zum Vorwurf. Hier wird, Demokratie sei Dank, auch niemand eingesperrt, aber die Schreimänner führen sich auf wie Maulhelden, die es besser wissen als jene, die Deutschland gerade erfolgreich durch die Krise manövrieren. Und sie nerven. Die Grundthese ist: Ganz egal, wie viele Leute in den USA, in Spanien oder Italien sterben, die deutsche Regierung hat einfach Mist gebaut und die Wirtschaft für etwas Grippeartiges gegen die Wand gefahren. Als stünden Länder, die später zum Lockdown fanden, ökonomisch besser da.

Was daran nervt? Die Schreimänner werden gehört und kommen öffentlich durch. Sie demaskieren ihre Eitelkeiten. Um jeden Preis versuchen sie die Debatte über eine historische Pandemie zu assimilieren zu einer gewöhnlichen Meinungsdebatte. Sie könnten ja unwichtig werden, während die Virologen nun die Podcast-Charts anführen. Ach je, dann wären diese wichtigen Männer ja nur noch wie Frauen. Wie diese nervigen Frauen, von denen man gerade nur noch hört, dass ein Backlash für den Feminismus zu erwarten sei, die Geld verlangen für ihre Zeit mit Kindern – als hätten sie sich nicht selbst Kinder gewünscht, diese Frauen! So unwichtig wollen die Schreiherren keine sechs Wochen lang werden! Virologen? Weg damit!

Backlash in die 50er Jahre

Für Frauen droht unterdessen der Backlash in die Fünfziger. Das weiß seit einem grandiosen Artikel in The Atlantic die ganze Welt. Und jetzt? Was brauchen Frauen jetzt, um das zu verhindern? Selbst die klügsten Frauen ächzen auf Twitter unter der Last und wiederholen das Mantra der Fünfziger, die uns drohen; es ist wie bei diesen Geduldswürfeln früher, man kann es drehen und wenden, wie man will: Bis zum Sommer wird es wohl keinen normalen Schulunterricht geben.

Doch wo sind zumindest drei Forderungen, was Eltern oder Familien nun brauchen, damit Frauen das nicht alleine auffangen? Wie verhindern, dass Frauen an den Haushalt gebunden werden, vom öffentlichen Reden und nichtöffentlichen Denken aber abgehalten werden? Im englischsprachigen Raum reichen Akademiker derzeit Papiere ein ohne Ende, die Pandemie bekommt den Wissenschaftlern gut, während die Akademikerinnen als Verfasserinnen von Papers verschwinden.

Selbst in gebildeten und sozio-ökonomisch privilegierten Milieus schnappen in der Krise also die alten Rollen zu. Man muss hier auch über die fehlenden Fortschritte im Feminismus durch die Komplizenschaft der Frauen sprechen. Es gibt ein Milieu, das aufgeklärt genug wäre, finanziell gesichert genug, um sich jetzt gegen den Backlash zu wehren. Es ist in meiner Generation Feministinnen jedoch nicht gewünscht, mit der Rhetorik von „Frauen müssen jetzt …“ zu arbeiten. Wer aber soll jetzt, wenn nicht wir? Wenn man nur das Bedrohungsszenario an die Wand malt, erschrecken zwar alle, doch keiner weiß, was dagegen zu tun wäre.

Die Forderung nach Teilhabe und Befreiung von Sorgearbeit darf jetzt nicht von der Empörung überlagert werden, sonst rollt sich das Worst-Case-Szenario für Frauen aus. Die Herren (!) der Lage sind, abgesehen von Merkel und zwei Ministerpräsidentinnen, Männer. Es liegt in ihren Händen und es interessiert sie nur in Interviews, ob Frauen unter der Arbeit stöhnen. Das zeigte selbst Alexander Kekulé, der zwar keine politische Verantwortung trägt, aber doch kräftig mitmischt: Er bedauerte seine Frau derzeit für die Sorgearbeit – in einem TV-Interview. Thank you, darling.

Naidoo und Hildmann, das Telegram-Dreamteam

Es braucht jetzt schnell fünf klare Forderungen für Frauen, wie sie trotz Pandemie weiter am Arbeitsleben teilhaben können. Das Grundeinkommen ist keine davon, das Grundeinkommen in solchen Zeiten wäre eine Art Herdprämie. Es geht um Entlastung von Sorgearbeit. Teilhabe am Diskurs und an Schlüsselstellen in Wirtschaft, Politik, Kultur und Verwaltung. TV-Redakteure sollten in Kommunen Frauen in Verantwortung finden, die vom Krisenmanagement berichten. Sichtbarkeit ist das Gebot der Stunde.

Um Entlastungsstrategien zu finden, braucht es die Beratung der Virologen, weil der Schutz des Lebens zur Fürsorgepflicht des Staates gehört. Das ist nicht verhandelbar, wie wieder andere Männer so prominent ins Land schreien. Die Lautstärke drosseln, vor allem für das Telegram-Dreamteam Naidoo und Hildmann. Immerhin: Selbst unter den Verschwörungstheoretikern setzte sich zum Glück keine Frau durch. Die lauten Schreimänner, die nun alles Erreichte verhöhnen, indem sie die Pandemie kleinspielen, die braucht es jetzt nicht. Aber die Frauen, die mehr sind als die Sorgearbeiterinnen, auf die sie derzeit festgelegt werden sollen, die braucht es jetzt dringend.

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18 Kommentare

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  • Um Änderungen, die nicht umsonst sind durchzusetzen muss Druck aufgebaut, Erpressungspotenzial , schlichtweg Gewalt angewandt werden können. Entweder sitzt man am Geldlussbeinflussendem Hebel, oder winkt bloß hilflos mit Moralstöckchen. Deshalb sind Pilotenstreiks erfolgreich und Klimastreiks nicht.



    Gegen wen sollen jetzt sofort Frauen nun effektive Zwangsmittel ansetzen? Wenn sie ihren Arbeitgeber bestreiken, bleiben sie eh am Herd, also bleibt nur die eigene Familie.



    Wieviele Frauen werden ins Büro ziehen und die Kinder auf Gedeih und Verderb ihrem Partner oder gar vor der Kita zu lassen und die Staatsmacht mit den Worten " Kümmert euch, ich geh arbeiten" herauszufordern?

  • So einen Schreimann habe ich neulich auch beim Aldi getroffen. Hätte ihn liebend gerne als Meckerziege verspottet, hab mich aber nicht getraut. :-)

    Irgendwo habe ich vor Kurzem gelesen, dass in Frankreich die Regierung die Medienhäuser verpflichtet, zum Corona-Thema nicht nur Experten zu Wort kommen zu lassen, sondern eben auch Expertinnen. So eine verpflichtende Regel wäre doch auch in unserem Lande gut: dass die Meinung von Expertinnen genauso viel Gewicht in der Berichterstattung bekommen muss wie die der männlichen Kollegen. Dass Medienhäuser das auch eigenständig nachweisen können müssen.

    Ansonsten natürlich so viel wie möglich Kinderbetreuung.

  • Schon strange wie viele verängstigte Hascherl zur taz-Redaktion und ihren Lesern gehören. Wer sich nur an schmalspurigen Virologen orientiert, verliert die Orientierung. Covid-19 ist keine Bagatelle, aber es ist nicht Ebola.

    • @independent:

      Da haben Sie Recht. Ebola ist erst ansteckend, nachdem die Symptome eingesetzt haben, also für jedermann deutlich zu sehen sind. Für eine Übertragung von Ebola braucht es überdies Blutkontakt. Deshalb verbreitet es sich vergleichsweise langsam. Covid19 verbreitet sich über winzige Speicheltröpfchen, die bis zu 1,50m weit fliegen, über solche die man eingeatmet oder irgendwie an die Hand bekommen hat und damit versehentlich Schleimhäute berührt hat. Die Verbreiter braucht dafür nicht einmal selbst krank zu sein, man sieht es ihm im Gegensatz zum Ebola-Kranken nicht an. Übrigens gibt es inzwischen eine Impfung gegen Ebola. Fragt sich, was ist nun die Bagatelle: Covid19 oder Ebola?

      • @Stechpalme:

        Warum nur haben Sie eine so fürchterliche Angst?

  • Kommentar entfernt. Bitte beachten Sie die Netiquette.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Also in Deutschland kann man sich den Kerl aussuchen, mit dem man zusammenlebt. Also Augen auf beim Eierkauf und nicht nur auf Bauch, Beine, Po achten.

    • @4813 (Profil gelöscht):

      yeah! ;-)

  • Relatives, nein, absolutes Durcheinander. Schreimänner (was ist das), in China verschwinden Männer, im Westen Akademikerinnen, über alles thronen die Verschwörungstheoretiker und das Virologen battle. Alles vage, alles kann, nichts muss. Nur Mundschutz ist wichtig.

    • @fly:

      Ein Mann der Struktur



      - einmal mehr -



      nicht erkennt?

      Das ist die Mühsal mit der real existierenden Männerquote. Es ist ja bloss ein Quote ohne Rücksicht auf Qualifikation.

  • 0G
    08630 (Profil gelöscht)

    Schade, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist eine Demonstration für das Weiterbestehen des Lockdowns zu organisieren! Natürlich mit begleitenden Forderungen wie diese "Teilhabe am Diskurs und an Schlüsselstellen in Wirtschaft, Politik, Kultur und Verwaltung. TV-Redakteure sollten in Kommunen Frauen in Verantwortung finden, die vom Krisenmanagement berichten. Sichtbarkeit ist das Gebot der Stunde.“ und das bedingungslose Grundeinkommen wäre dann nicht nur eine Herdprämie.

  • Zitat: „Ich übe Widerstand, also bin ich“

    Das scheint auch ein Motto von Jagoda Marinic zu sein. Leider ist Widerstand ohne Denken nur bedingt sinnvoll. Der Mensch ist halt kein Baum.

    Ist ja nicht so, dass Virologen keine „Schreiherren“ sein können. Müssen sie manchmal sogar. Die Virologie ist schließlich nicht die einzige Wissenschaft. Den Umstand, dass einzelne extrem laut(verstärkt)er Fachidioten die Geschicke einer ganzen Nation quasi über Nacht und ohne jede Rücksicht auf gewisse Grundrechte oder gesellschaftliche Kontexte im Alleingang lenken kann, finde ich jedenfalls einigermaßen verstörend.

    Ich kann verstehen, dass Corona Angst macht. Auch ich fürchte mich davor, das Virus unwissentlich weiter zu verbreiten. Aber noch mehr fürchte ich die Folgen dieser Angst. Wer panisch ist, kann nicht vernünftig denken oder handeln. Er kann nämlich nicht abwägen. Er klammert sich an den sprichwörtlichen Strohhalm, den der Fluss vorbei treibt. In dem Fall offenbar an einen, der die Gestalt eines gewissen Virologen hat.

    Sein wir mal ehrlich: „Historisch[]“ macht die aktuelle Pandemie vor allem der Umstand, dass sie zu einem globalen medialen Ereignis geworden ist. Zu einem, das bislang nicht für möglich gehaltene Konsequenzen zeitigt. Offenbar kann auch Panik die Ausmaße einer Pandemie annehmen. Wenn es nur noch darum geht, ob die Pro-Virologen- oder die Contra-Virologen-Schreihälse siegen, ist für mich eine Grenzlinie überschritten.

    Vernünftig für die Grundrechte kämpfen? Gern. Aber nicht, indem ich alle Männer zu Monstern erkläre - außer dem Hof-Virologen der Kanzlerin, dem die Folgen seiner Ratschläge für alle anderen Frauen erkennbar am A...llerwertesten vorbei gehen. Er ist ja Virologe, nicht Gleichstellungsbeauftragter.

    So unwichtig, scheint mir, möchten manche Virologen nicht mal sechs Wochen lang sein. Humanist*innen? Weg damit! Die sind ein Sicherheitsrisiko. Weil: Die finden Alleinherrschaft doof. Nicht nur männliche übrigens.

  • 0G
    01062 (Profil gelöscht)

    Sehr sehr schade.

    Man könnte aufzeigen was für Probleme Familien momentan in der Krise haben und wie stark der Einfluss der Wirtschaftslobby in diesem Land ist.

    Stattdessen gibt es wieder einen Artikel der Frauen in den Himmel hebt und Männer schlechter macht als sie sind.

    Dass Frauen zuhause bleiben müssen/dürfen liegt auch daran dass Firmen die Arbeitszeiten für Frauen felxibler regeln als für Männer, da unterbewusst das Rollenmodell von früher noch vorhanden ist.

    Da Männer in Familien oftmals (nicht immer) mehr verdienen oder mehr Stunden Lohnarbeit als Frauen machen, wird das nun mal zum logischen Modell wenn einer daheim bleiben muss.

    Ich empfinde das übrigens nicht als Vorteil arbeiten gehen zu müssen ;-)

    Schade Frau Marinic, dass sie so ein vereinfachtes Weltbild haben......

    "Schreiende Männer - Heilige Frauen"

  • Wenn die Partnerschaft in der Pandemie nicht funktioniert, liegt das nicht an der Pandemie sondern an der "Partnerschaft".



    Solange man als "moderner Städter" viele seine Pflichten an andere "outscouren" kann (Erziehung --> Schule; Waschen --> Reinigung; etc für Kochen, Putzen & Co) läuft es auch in einer halbgaren Beziehung.

    Erst bei Stress lernt man den anderen kennen. Vielleicht ist die Summe der Ansprüche größer als 100% und die Bereitschaft zur Beitragen kleiner als 100%? Jeder will sich verwirklichen, im Job, beim Sport etc. aber Kloputzen ist für andere... klar, dass das nicht gutgeht.

    Das hat aber nichts mit Männern, Frauen, Feminismus oder Patriachat zu tun. Liegt nur an uns selbst und unseren Ansprüchen an unser Leben und andere Menschen.

    Insofern... im Kleinen nach der Lösung suchen, dann funktionierts auch.

  • Bei uns gibt es jene Menge Frauen, die das Virus klein reden. So die Taxifahrerin, die Bistrobetreiberin, die Nachbarin.... Übrigens sehe ich keinen Backslash für uns Frauen sondern die Chance, uns endlich ernsthaft und vor allem konsequent in der Art, wie wir leben, für unsere Interessen einzusetzen. Und wer im Stil der 1950er weiterleben will, die soll.

  • Es gibt - glücklicherweise - auch Männer, die die Pandemie nicht kleinreden:

    "Drosten beunruhigt über Schüler-Studie 'Wenn das in Schulen passiert, dann darf man Schulen nicht öffnen'

    In Frankreich hatten sich in einem Gymnasium rund 40 Prozent der Schüler mit dem Coronavirus angesteckt. Das ergab eine Studie mit Antikörpertests. "

    www.tagesspiegel.d...fnen/25805780.html

  • Sehr richtig! Sehr gut!

    • @ Christoph:

      Guter Artikel, Danke.