Gentrifizierung in Berlin: Räumungen als letztes Mittel
Ein Pilotprojekt zur Verhinderung von Zwangsräumungen steht unter dem neuen schwarz-roten Senat auf der Kippe.
Nun aber droht das Vorhaben an rechtlichen Bedenken zu scheitern, wie aus einer Antwort der Senatsverwaltung von Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) hervorgeht, die der taz vorliegt.
Bislang läuft das Verfahren so: Mieter*innen, die mit ihren Miet- oder Nebenkostenzahlungen in Verzug geraten und zwei Monatsmieten schuldig sind, können von ihren Vermieter*innen fristlos gekündigt werden. Kommen sie einer Aufforderung, die Wohnung zu räumen, nicht nach, folgt die Erhebung einer Räumungsklage beim zuständigen Amtsgericht. Die Klage bekommen die Mieter*innen per Post zugestellt. Reagieren sie nicht, erlässt das Gericht unweigerlich einen Räumungstitel. Ein Gerichtsvollzieher kommt und setzt die Zwangsräumung durch.
Laut Sebastian Schlüsselburg, dem rechtspolitischen Sprecher der Linksfraktion, sind vor allem „Menschen in psychischen Ausnahmesituationen oder mit Suchtproblemen“ betroffen. Menschen also, deren Briefkästen überquellen und die auch amtliche gelbe Briefe nicht mehr wahrnehmen. Die Idee des Projekts sei daher, eine weitere Schleife zu drehen, um Zwangsräumungen zu verhindern.
Statt einer rein postalischen Zustellung sollen Justizbedienstete die Klagen persönlich zustellen, notfalls mit mehreren Versuchen und ergänzt um Informationen zu Hilfsangeboten. Denn auch nach Klageerhebung kann eine Räumung immer noch durch die Begleichung der Schulden abgewendet werden; Sozialämter oder Jobcenter kommen für die Kostenübernahme infrage.
Justizsenatorin hält sich bedeckt
Schlüsselburg spricht von einem „gut vorbereiteten Projekt“. Der Staat könne nicht daran interessiert sein, dass Menschen ihre Wohnungen verlieren, um dann in Sozialeinrichtungen wie Wohnungslosenunterkünften zu landen. Justizsenatorin Badenberg dagegen hält sich bedeckt. In einer Antwort auf eine taz-Anfrage teilt ihre Verwaltung mit: Die Senatorin „teilt die hinter dem Projekt stehende Annahme, dass zur Bekämpfung der Wohnungs- und Obdachlosigkeit im Land Berlin auch neue Ansätze geprüft werden müssen“. Es müsse jedoch untersucht werden, ob das Projekt „rechtlich möglich und inhaltlich zielführend ist“. Demnach ist „die Meinungsbildung zur Fortführung dieses konkreten Projekts noch nicht abgeschlossen“.
Im Zentrum der rechtlichen Prüfung, die noch von Lena Kreck in Auftrag gegeben wurde, stehe die Vereinbarkeit mit der Zivilprozessordnung, „nach der Räumungssachen 'vorrangig und beschleunigt durchzuführen’ sind“. Dies trage dem besonderen Risiko von Vermieter*innen Rechnung, deren Mietausfälle steigen, je länger der Räumungsprozess dauert. Die vorgesehenen „wiederholten Zustellungsversuche“ stünden im „Spannungsverhältnis zum bundesgesetzlichen besonderen Beschleunigungsgebot“.
Laut der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage von Schlüsselburg an den Senat soll die Entscheidung über das Projekt „bis Herbst“ fallen. Schlüsselburg sagt: „Ich hoffe sehr, dass es jetzt auch umgesetzt wird und nicht unter dem politischen Deckmantel einer Rechtsprüfung beerdigt wird.“ Der Abgeordnete spricht von einem „Spielraum“, den das Bundesgesetz lasse. Es sei also eine Frage des Wollens.
Die sozialen Wohnhilfen der Bezirke haben laut einer Linke-Anfrage vom März vergangenen Jahres zwischen 2017 und dem ersten Halbjahr 2021 etwa 17.000 Räumungsklagen erfasst. In vielen Fällen fallen die Räumungsurteile als Versäumnisurteile, also ohne dass die beklagten Mieter*innen Widerspruch eingelegt hätten. Das zumindest legen Zahlen aus Pankow nahe. Von 544 Räumungsurteilen ergingen drei Viertel als Versäumnisurteil. Zum Stichtag 31. Dezember 2022 waren mehr als 33.000 Wohnungslose von den Bezirken untergebracht.
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