Genetiker über Herkunftsnachweise: „Eindeutige Zuordnung nicht möglich“
Gentests, um etwas über die Vorfahren und die eigene Herkunft zu erfahren, sind derzeit in Mode. Alles Unsinn, sagt der Genetiker Mark Stoneking aus Leipzig.
taz: Herr Stoneking, haben Sie eine DNA-Analyse machen lassen, um die Herkunft Ihrer Vorfahren zu bestimmen?
Mark Stoneking: Nein.
Wollen Sie eine machen?
Nein.
Warum nicht?
Weil das vor allem der Unterhaltung dient. Eine Auswertung zu haben, wo meine Vorfahren möglicherweise herkommen oder auch nicht herkommen, dass hat für mich keine Bedeutung. Ich weiß, dass viele Leute diesen Test zur Herkunft machen, weil sie hoffen, dass es ihre Identität verändert, ihren Blick auf sie selbst. Ich glaube, dass meine Persönlichkeit auf den Erfahrungen beruht, die ich gemacht habe und etwas über meine Vorfahren von vor tausend Jahren zu wissen, ist nichts an dem ich wirklich interessiert bin.
ist 1956 in den USA geboren. Der Genetiker ist seit 1999 Gruppenleiter (Human Population History) am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Honorarprofessor an der Leipziger Universität.
Es ist doch schön, sich seine Vorfahren möglicherweise als kaukasische Prinzessin vorzustellen.
Okay, es beflügelt die Fantasie, es ist ein Spiel. Und wir Menschen sind neugierig, wollen wissen wo wir herkommen.
Wie funktioniert so ein Test?
Es geht folgendermaßen: Man schaut nach den Vorfahren im Genom eines Menschen und sucht nach der passenden Zuordnung bei der aktuellen Bevölkerung. Dazu bedarf es Daten, die in Datenbanken gespeichert sind. Diese Daten sind nicht realistisch, sondern modellbasiert. Man hat eine gewisse Anzahl an Referenz-DNA und die Zuordnung der Herkunft erfolgt dann nach dem Prinzip: Wir ordnen so zu, wie es am wahrscheinlichsten ist. Die Prozentangaben sind nur eine ungefähre Einschätzung und sollten nicht zu ernst genommen werden.
Der Werbeclip eines Reiseanbieters stellt Menschen vor, denen das Ergebnis ihrer DNA-Analyse präsentiert wird. Sie erfahren beispielsweise ob sie deutsche, afrikanische oder italienische Vorfahren haben. Dann werden sie geschäftstüchtig befragt, ob sie diese Regionen ihrer Vorfahren gerne bereisen wollten. Kann man tatsächliche nationale Zugehörigkeit aus den Tests lesen?
Nein, man kann die Herkunft nicht so genau festlegen. Was man kann, ist großflächige geografische Räume festzulegen, aber so viel Prozent britisch, deutsch oder irisch, das sind Märchen. Das ist nicht korrekt. Diese Anbieter suchen nach der wahrscheinlichsten Zuordnung in den vorhandenen Datenbanken. Es wird dann aber nicht gesagt, dass die Zuordnung lückenhaft ist, sondern man sagt, dies sei die beste Zuordnung. Wir Wissenschaftler würden allenfalls sagen, dass jemand etwa aus Nordwesteuropa stammt. Aber schon, wenn wir in andere Regionen schauen, wird die Zuordnung schwierig, weil wir dort viel zu wenig Datenmaterial haben.
Afrika zum Beispiel?
Ja. So behaupten diverse DNA-Analyse-Anbieter in den USA, dass sie den Ort der afrikanischen Vorfahren, ja sogar das Dorf bestimmen könnten. Das ist Legende. Man kann Vorfahren aus Westafrika feststellen, aber niemals ein Dorf. Und die Datenbasen sind lückenhaft. Zum Beispiel wurde vor ein paar Jahren Westeuropäern, die bei amerikanischen Anbietern den Test machen ließen, Nativ-american-Vorfahren bescheinigt. Das war kaum möglich. Wie sich dann herausstellte, waren es Vorfahren aus Zentralasien, aber deren Informationen standen diesen amerikanischen Datenbanken nicht zur Verfügung.
Die amerikanische Senatorin Elizabeth Warren aus Oklahoma ließ eine DNA-Analyse machen. Und zeigte sich stolz auf ihre „nativ american“ Vorfahren, die sie möglicherweise auch als Wähler gewinnen will.
Ja. Und Trump nannte sie prompt Pocahontas.
Kann sich Elizabeth Warren nun als Nachkomme der Cherokee bezeichnen?
Bei Elizabeth Warren wurde ein Anteil von nicht Übereinstimmung mit dem europäischen Erbgut festgestellt, der sich dem Erbgut der „nativ american“ zuordnen lässt. Daraus ließe sich ableiten, dass sie in ihrem Stammbaum Nativ-american-Vorfahren hat. Aber man kann die genetische Information nicht einem bestimmten Indianerstamm zuordnen.
Was hat es auf sich mit den Unterschieden?
Zuerst: Zu 99,9 Prozent sind wir Menschen in unserem Erbgut identisch. Wir beziehen uns also auf 0,1 Prozent unserer Erbinformation. Da gibt es in der Tat einen Unterschied zwischen der geografischen Herkunft. Diese Tatsache hilft uns, die Geschichte der menschlichen Bevölkerung, ihrer Mobilität zu verstehen.
Und diese 0,1 Prozent im Erbgut sind chaotisch und durcheinander?
Ja, aber es ist trotzdem mächtig und hilfreich, um Bevölkerungsgeschichte zu klären. Natürlich kann man diagnostizieren, dass jemand nordwesteuropäische Vorfahren hat. Es ist wichtig, um die Wanderung zu verstehen, die Geschichte der Menschheit. Wie alles geschah. Es gibt eine Wahrheit darin, aber nicht so, wie es in diesen Tests dargestellt und verkauft wird.
Hat das etwas mit Rasse zu tun?
Wir sprechen in der Anthropologie nicht von Rasse, das ist ein schwieriges Konstrukt. Dann müsste es in der Bevölkerung bestimmte Unterschiede geben, die ganz klar bestimmt und abgegrenzt werden können. Aber wenn wir schauen, wie die genetischen Unterschiede der Menschen auf der ganzen Welt sich darstellen, dann gibt es keine klaren Zuordnungen, sondern nur graduelle Unterschiede. Zwar können Menschen aus einer Region mehr Ähnlichkeiten aufweisen, aber gleichzeitig auch Unterschiede, die sie mit Menschen aus einer anderen Region teilen. Biologisch gibt es keine eindeutige Zuordnung. Deshalb ist Rasse nicht hilfreich, um die Menschen zu verorten. Es ist eine soziales Konstrukt und keine biologische Einordnung. Wir sprechen in der Anthropologie von Bevölkerung und nicht von Rassen. Man kann Unterschiede identifizieren, aber die sind nie eindeutig. Es gibt genetische Unterschiede, aber diese sind immer fließend.
Es gibt also keine biologische Reinheit.
Nein. Unsere ganz Menschheitsgeschichte haben wir uns vermischt. Die Einteilung der Spezies Mensch in Rassen oder Unterarten ist aus wissenschaftlicher Sicht heute obsolet. Die sichtbaren Unterschiede aus verschiedenen Kontinenten führen nicht zu objektiv abgrenzbaren Gruppen, da die Übergänge fließend sind. Wir leben unter verschiedenen klimatischen Bedingung, wir ernähren uns anders, wir sind anderen Parasiten ausgesetzt, anderen Krankheiten. All das produziert die Unterschiede, die wir sehen unter den Bevölkerungen. Hinzu kommen die zufälligen Veränderungen, der genetische Drift. Aber unsere Vorfahren sind immer gewandert, haben sich immer vermischt. Selbst in den abgelegensten Stämmen gibt es genetische Variationen und unterschiedliche Einflüsse.
Manche preisen die Tests als Argument gegen Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung an.
Ja, aber man könnte ja auch einfach auf die Übereinstimmung aller Menschen mit 99,9 Prozent hinweisen, statt die Unterschiede zu betonen zu suchen. Man kann die Dinge immer interpretieren wie man will. Zum Beispiel beruft sich die „white supremacy“-Bewegung in den USA (weiße Überlegenheit, Anm. der Red.), nachdem ihre Vorfahren nun nicht wirklich rein sind, inzwischen auf den genetischen Einfluss des Neandertalers im Erbgut, der sie angeblich überlegen macht. Diesen Einfluss haben Afrikaner nicht. Man könnte nun genau umgekehrt sagen, deshalb sind die Afrikaner die wahren Menschen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland