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Generaldebatte auf dem Grünen ParteitagMehr Selbstkritik wagen

Sabine am Orde
Kommentar von Sabine am Orde

Der Beginn des Grünen-Parteitages verdeutlich: Die Partei setzt auf staatspolitische Verantwortung. Doch ein Weiter-so darf es nicht geben.

Ein nachdenklicher Robert Habeck beim Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen Foto: Kay Nietfeld/dpa

D ie Grünen sind mit einer Art Sinnkrise in ihren Parteitag gezogen. Kann man mit der FDP überhaupt sinnvoll regieren? Macht die Ampel ohne das Geld aus dem Klima- und Transformationsfonds noch Sinn? Die klare Antwort in der Generaldebatte zu Beginn des Parteitags: Wir können nicht nur, wir müssen regieren. Zweifel daran blieben Einzelmeinungen von der Basis. Eine Partei mit mehr staatspolitischer Verantwortung dürfte hierzulande kaum zu finden sein – auch wenn den Grünen gerne das Gegenteil angedichtet wird. Und es stimmt ja: Jetzt die Regierung aufzukündigen würde nicht nur die Verunsicherung der Bevölkerung weiter erhöhen, ein mögliches Bündnis aus SPD und Union die Lage nicht besser machen.

Robert Habeck beschwor geradezu, dass Zukunft und Wohlstand des Landes auf dem Spiel stehen. Nicht länger den Klimaschutz nach vorne zu stellen, sondern Wirtschaft und Industrie und damit Arbeitsplätze und Wohlstand in den Mittelpunkt zu rücken, ist klug. Auch wenn es nicht allen in seiner Partei gefällt: So erreicht er nicht nur einen deutlich größeren Teil der Bevölkerung, er setzt auch SPD und FDP mit ihren eigenen Themen unter Druck. Gemeinsam mit der Union haben die es geschafft, dass Klimaschutz wieder allein als grünes Problem gilt – was für die Grünen schwierig ist. Gesamtgesellschaftlich ist es fatal.

Dennoch blieb in der Generaldebatte ein kritischer Blick auf die eigenen Fehler und den Zustand der Partei weitgehend aus. Dabei gibt es dafür genügend Anlässe: die vielen Zugeständnisse in der Ampel, der Machtverlust in Berlin und Hessen, die vielen Anfeindungen, die mäßigen Zustimmungswerte und schlimmer noch: Die Anzahl der Menschen, die sich nicht vorstellen können, die Grünen zu wählen, hat dramatisch abgenommen. Für eine Partei, die sich weiter ausbreiten will, ist das ein sehr schlechtes Signal.

Der Glaube, die Weisheit mit den Löffeln gefressen zu haben

Etwas mehr Selbstreflexion hätte den Grünen in ihrer Generaldebatte gutgetan. So bleibt der Eindruck, dass sie vor allem auf ein Weiter so setzten, obwohl ihre Strategie bislang nicht wirklich gut gelaufen ist. Hinzu kommt der alte Verdacht, dass die Grünen glauben, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben – und der Rest eben nur auf sie hören müsse. In der Debatte um das Heizungsgesetz, dem anfangs die soziale Abfederungen fehlte, haben sie so große Teile der Bevölkerung verloren.

Die Parteiführung wollte zu Beginn des Parteitags die Reihen schließen und nach vorne schauen, Selbstkritik wollte sie nicht. Vielleicht wäre das in der aktuellen finanziellen Großkrise auch zu viel verlangt. Doch die Spitzengrünen müssen sich diesen Fragen stellen. Die Sinnfrage wird schnell zurückkommen.

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Sabine am Orde
Innenpolitik
Jahrgang 1966, Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Seit 1998 bei der taz - in der Berlin-Redaktion, im Inland, in der Chefredaktion, jetzt als innenpolitische Korrespondentin. Inhaltliche Schwerpunkte: Union und Kanzleramt, Rechtspopulismus und die AfD, Islamismus, Terrorismus und Innere Sicherheit, Migration und Flüchtlingspolitik.
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9 Kommentare

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  • Auch die Zahl der Menschen, die sich nicht mehr vorstellen können, Grüne zu wählen, auch wenn sicher nicht alle sich inzw. eher erschiessen lassen würden wie ich, hat zugenommen, die "Ausbreitung" bei den letzten drei Wahlen in Summe minus 15%, also deutlich mehr als sie bei Bundestagswahl erreichten. Das gab's so vermutlich auch noch nicht oft. Jedenfalls in der Bundesrepublik aber ja wohl auch nicht diese krasse Total-Umkehr von Kampagne und Wahlprogramm und dann umgesetzter Politik, die teilweise noch als Erfolg verkauft, sonst hätte man uns längst mit historischen Beispielen unterhalten. Das ist einerseits bedenklich da nun grad die Grünen ja weniger bekannt wurden für Wechselwähler, im Gegenteil immer auf einen treuen Kern zählen konnten, insb. in schweren Zeiten. Das ist es doch, was sie auch nach 2005, dieser langen Durststrecke über Wasser hielt und meist sicher über der Hürde. Andererseits müssen sie jetzt sowieso neue Kreise erschliessen, siehe oben, selbst um bisheriges Gewicht zu halten, auszugleichen und so wird das Einerlei. Und ist auch Absicht, nach meinem spekulativen Eindruck diese ~13% vor zwei Jahren, die man wohl linkes Lager nennen kann, insofern ziemlich ausgereizt, wohl Wirkungstreffer. Sehr ernüchternd. Es hat ihnen nicht gereicht. Sie glaubten an und wollten mehr, nun müssen sie damit leben alles verlieren zu können. Wer derart alle Fenster aufreisst, geht dies Risiko.

    Die Autorin hat uns noch vor wenigen Tagen dabei selbst eine "Entladung" für diesen Parteitag angekündigt, bzw. ihre Quellen. Nun kann man wohl konstatieren dass nicht nur die Medien sondern selbst "langjährige Beobachter" wie Wolfgang Schroe­der da nicht mehr ganz mitkommen. Vielleicht fehlt es an Einblick und Tuchfühlung, Realismus, jedenfalls aber diese Partei dann auch etwas verzerrt erzählt wird. Find ich nicht hilfreich. Auch hier nun immer noch die Rede von linken Flügeln, linken Politikern: selbst Leute aus dem schwarz-gelben Kosmos sehen da keine linke Kraft mehr.

    • @Tanz in den Mai:

      Der Ausdruck „ sich inzwischen eher erschiessen lassen würde“ diskreditiert den Kommentar und ich habe nicht mehr weiter gelesen.

  • "Nicht länger den Klimaschutz nach vorne zu stellen, sondern Wirtschaft und Industrie und damit Arbeitsplätze und Wohlstand in den Mittelpunkt zu rücken, ist klug.“ Das Kernproblem ist doch, dass die Grünen erklären müssten, wie mit einer Politik Wohlstand geschaffen und erhalten wird, die das Klima besser schützt als bisher, „am besten sogar auf den 1,5-Grad-Pfad führt“.



    Daneben wäre es überaus klug, um sich die Unterstützung der bisherigen (inzwischen oft schon historischen) Wählerschaft zu erhalten, wenn sie dabei noch Fragen abarbeiten würden, wie etwa die Alternativen zum Bruttosozialprodukt, zur sozial-ökologischen Transformation der Industrie (statt den „Deindustrialisierungs“-Diskurs aufzugreifen), zur „Zeitpolitik“ im Sinne eines Endes der 40-Stunden-Anwesenheitspflicht und zu einer gerechten Verteilung des Wohlstands.



    Das noch kombiniert mit einer Rückbesinnung auf klassischen Umwelt- und Verbraucherschutz, innovativen Ideen in der Klimaanpassung (z.B. Wiedervernässung und Paludikultur) und einem Einsatz für das Versprechen dieser Koalition, den gesellschaftlichen Fortschritt zu fördern, also das kapitalistische, weiß-suprematistische Patriarchat zu bekämpfen: Das wäre eine Politik, die gebraucht würde.



    Stattdessen verzwergen sich die „Grünen“ selbst zu einer Partei, die sich der CDU so weit wie möglich andient, um vielleicht irgendwann mal gegenüber der SPD als Juniorpartner („Kellner“) bevorzugt zu werden.

  • Es gibt ein Kinderbuch von Habecks Ehefrau. " Die besten Weltuntergänge" für Kinder ab 8 Jahren.



    Dss Buch passt so zu den jetzigen Grünen. Ich findees sehr bedenklich.

  • "Nicht länger den Klimaschutz nach vorne zu stellen, sondern Wirtschaft und Industrie und damit Arbeitsplätze und Wohlstand in den Mittelpunkt zu rücken, ist klug."

    Mag sein. Aber eine CDU haben wir schon. Und eine FDP. Und eine AfD. Hätte gedacht, der Parteiname soll einen gewissen 'Markenkern' ausdrücken.

  • "Etwas mehr Selbstreflexion hätte den Grünen in ihrer Generaldebatte gutgetan. So bleibt der Eindruck, dass sie vor allem auf ein Weiter so setzten, obwohl ihre Strategie bislang nicht wirklich gut gelaufen ist. Hinzu kommt der alte Verdacht, dass die Grünen glauben, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben – und der Rest eben nur auf sie hören müsse."

    Das hat sich an Tag 2 leider 1:1 so fortgesetzt. Weiter so, weil wir das bisher gemeinsam so super gemacht haben. Hach, wir sind einfach alle toll und lieben uns - nur die anderen sind ein bißchen doof. Aber wir sind die wahren Vertreter der kleinen Krankenschwester und des kleinen Müllmanns und des ganzen breiten Mittelstands. Es grenzte bei einigen der schmucken, gut situierten Kandidatinnen und Kandidaten des Tages schon an Verblendung...

    • @StefanG:

      Und für alle Fehlentwicklungen u.



      heutigen Probleme ist die Merkelzeit,



      obwohl schon vor 2 Jahren geendet u.



      die Länder mit grüner Regierungsbeteiligung auch Kompetenzen haben, verantwortlich.



      Und Krisen sind nicht neu, Merkel



      mußte und hat



      2007/2008 Finanz-u.Eurokriese u. 2015



      Flüchtlingswelle ohne Chaos bewältigt.

  • ... das Gerücht von der Fortschrittskoalition: war nie mehr als das Selfie vierer etwas derangiert in die Kamera schauender Gestalten. www.sueddeutsche.d...8x792?v=1632912116 Ob die sich das selber damals geglaubt haben ?



    "So schlicht das Bild, so klar die Botschaft" (damals die SZ) - na, eher schlicht war die Botschaft. Seither fehlt irgendwie pausenlos das Contentmanagement. Bleibt beinahe alles Überschriftenkoalition.

  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    Für mich ist der bisherige Verlauf des Parteitages (leider) keine Überraschung.

    Die Delegierten haben ihre Kontrollfunktion abgegeben, weil sie der Machtpolitik der eigenen Führung im Weg gestanden hätte. "Basisdemokratie" ist in dieser Partei nur noch ein Chimäre ohne Bedeutung.

    "...Nicht länger den Klimaschutz nach vorne zu stellen, sondern Wirtschaft und Industrie und damit Arbeitsplätze und Wohlstand in den Mittelpunkt zu rücken, ist klug. "

    Das mag partei- und machtpolitisch sinnvoll sein.



    Eine kluge Entscheidung kann es aber allein deshalb nicht sein, weil der Klimawandel so gravierend und tödlich sein wird, das wir uns einst die vergleichsweise "harmlosen" Kriege zurückwünschen werden.

    Außerdem: Wer eine wirtschaftsliberale Partei haben möchte, hat wohl kaum die Grünen gewählt.