Gemeinde startet Gedenkprojekt: Von Neonazis erstochen
In der Silvesternacht 1990/91 töteten zwei Rechtsextreme in Rosdorf bei Göttingen den 21-jährigen Alexander Selchow. Dort will man nun an die Tat erinnern.
Die Nazi-Skinheads Oliver S. und Sven S. (beide 18) hatten in der Silvesternacht 1990/91 eine Party von Gleichgesinnten in Rosdorf mit dem festen Vorhaben verlassen, noch „herumschwirrende Linke durchzuklopfen“. Eine Viertelstunde nach Mitternacht trafen sie zufällig auf den für seine antifaschistische Haltung bekannten Wehrpflichtigen Alexander Selchow und einen Begleiter. Letzterer konnte flüchten, als die Neonazis Selchow attackierten.
Während Sven S. im später folgenden Prozess glaubhaft machen konnte, dass er den Soldaten wegen einer verbalen Auseinandersetzung am frühen Abend lediglich zur Rede stellen wollte, sprang Oliver S. laut Gericht mit gezücktem Messer auf Selchow zu und versetzte ihm insgesamt fünf Stiche in den rechten Arm und den Bauch. Der Angegriffene starb wenige Stunden später trotz einer Notoperation in der Göttinger Universitätsklinik an massivem Blutverlust. Oliver S. wurde zu sechs Jahren Jugendhaft verurteilt, Sven S. bekam vier Wochen Dauerarrest.
Beide waren als Mitglieder der – inzwischen verbotenen – Freiheitlich-Deutschen Arbeiterpartei (FAP) schon zuvor an zahlreichen rassistischen und gegen Linke gerichteten Gewaltaktionen beteiligt. Oliver S. hatte unter anderem mitgemischt, als Neonazis die Besucher eines Gerichtsverfahrens mit Tränengas besprühten, iranische Frauen bespuckten, mit gezückten Messern gegen Hausbesetzer vorgingen und am Grab von Rudolf Heß demonstrierten. Sven S. war dabei, als Skinheads Disko-Besucher:innen mit Flaschen bewarfen und mit Knüppeln zusammenschlugen.
Mehr als 30 Jahre nach der Tat entschied der Rat der Gemeinde Rosdorf im vergangenen Jahr auf einen Antrag der Grünen hin, aber mit den Stimmen aller Fraktionen, dass mit einem Gedenkprojekt an den Tod des jungen Soldaten erinnert werden soll. „Ich bin als Kind in Rosdorf aufgewachsen und habe die damaligen Ereignisse als 11-Jährige mitbekommen“, erzählt die bis heute in dem Ort lebende Theater- und Filmregisseurin Julia Roesler.
„Der Mord an Alex hat mich und meine Familie stark aufgewühlt und das Leben danach verändert.“ Leider sei die Tat im Ort über Jahrzehnte nie öffentlich als gemeinsame Erfahrung reflektiert und diskutiert worden. Umso mehr freue sie sich, sagt Roesler, „dass nun an Formen des Gedenkens gearbeitet wird, die diesem Bedürfnis Raum geben und hoffentlich eine intensive Aufarbeitung und Erinnerung anstoßen. Auch und vor allem, damit so etwas nie wieder passiert.“
„Alle im Gemeinderat vertretenen Parteien und Gruppen haben nicht nur den Beschluss unterstützt, dass es eine Form des Gedenkens geben soll“, sagt SPD-Ortsbürgermeister Bernd Schütze. „Alle Fraktionen arbeiten auch aktiv mit in der Arbeitsgruppe, die das Projekt trägt. Das finde ich bemerkenswert.“
Die Arbeitsgruppe, in der außer den Parteien auch Initiativen vertreten sind, hat inzwischen erste Ideen entwickelt. Unter dem Motto „Was geschah mit Alexander Selchow?“ sind unter anderem eine Stationen-Wanderung durch das Dorf und eine Gedenk-Homepage geplant. Auch Studierende des Masterstudiengangs Mediendesign der Hochschule Ostfalia in Salzgitter sind zur Mitarbeit an der Website eingeladen worden.
Interviews mit Zeitzeug:innen
„Sie bekommen Kontakte zu Zeitzeug:innen und erarbeiten auf dieser Basis eigene Umsetzungsideen für einen Erinnerungsort im Internet“, berichtet Projektleiter Karsten Knigge. „Zudem sollen sie und andere Projektbeteiligte Interviews führen und Ortsbegehungen machen.“ Offizieller Auftakt für das Gedenkprojekt war eine öffentliche Veranstaltung am 21. April.
Zur Vermittlung der damaligen Geschehnisse und ihrer Auswirkungen auf das Leben in Rosdorf gehört Projektleiter Knigge zufolge auch eine Projektdokumentation, die später frei zugänglich gemacht werden und so überregional ähnliche Gedenkprojekte anregen und erleichtern soll: „Die erschütternde Zahl von fast 200 durch Rechtsextremist:innen getöteten Menschen seit 1990 in Deutschland zeigt, wie wichtig es ist, klare Signale der Ablehnung von rassistischem und nazistischem Gedankengut in die Gesellschaft zu senden.“
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