Geiseln, Gottschalk, Kissinger: Weinen, aber richtig

Die vergangenen Tage lieferten viel Anrührendes. Doch so manches Tal der Tränen war eher im negativen Sinn ein Grund zum Heulen.

Ein zerknülltes Taschentuch vor blauem Hintergrund

Heulen kann man auch so. Grund genug gab’s diese Woche ja Foto: Sascha Steinach/imago

Frau Dr. Bohne und ich haben diese Woche viel geweint. Uns wurde im Internet nämlich mehrfach ein Kurs angeboten: „Weinen lernen“. Das helfe, Gefühle zu verarbeiten und ein ausgeglichener Mensch beziehungsweise, im Falle von Frau Dr. Bohne, Hund zu werden. Na, das ist doch was für uns! Den teuren Kurs haben wir dann doch nicht gebucht, sondern haben uns gedacht: Heulen kann man auch so. Grund genug gab’s diese Woche ja.

Ein Anlass war die Freilassung von Geiseln durch die palästinensische Terrororganisation Hamas. Frauen, Kinder, Senioren kamen frei. Grund für Freudentränen, aber auch für Tränen der Wut, finde ich. „Und noch mehr Wut, wenn man liest, dass in einigen Berichten von einem ‚Geiselaustausch‘ die Rede war“, sagt Frau Dr. Bohne. „Hamas hat Menschen freigelassen, die sie bei ihrem Terrorangriff am 7. Oktober als Geiseln genommen hat. Israel hat im Gegenzug Häftlinge freilassen müssen. Von wegen ‚Geiselaustausch‘!“ Wo sie recht hat, hat sie recht.

Weinen kann man auch über den Zustand der Bundesregierung. Das Bundesverfassungsgericht hatte der Ampel eine Schuldenumwidmung nicht durchgehen lassen, jetzt fehlen Milliarden. Diese Woche redete Kanzler Scholz dazu im Bundestag. Ein Befreiungsschlag war das nicht. „Aber was ist falsch daran, Hundespielzeug zu kaufen, wenn der Etat für Hundefutter nicht ausgeschöpft wird?“, fragt Frau Dr. Bohne. Ich widerspreche ihr. „Es sind Steuergelder. Da muss Transparenz herrschen und demokratische Absicherung.“ Die einen in der Koalition wollen sparen und Ausgaben streichen, die anderen die Einnahmen, sprich: Steuern, erhöhen. „Das Rudel funktioniert nicht!“, merkt Frau Dr. Bohne mit Blick auf die Koalition an.

Zum Weinen finden wir auch, dass die angeblich letzte „Wetten, dass..?“-Sendung von Thomas Gottschalk noch tagelang danach Thema war. Bei dieser sagte er am Ende, er habe im Fernsehen immer so reden können wie zu Hause, aber inzwischen sei das anders, zu groß sei die Gefahr eines „Shitstorms“, und daher sage er lieber nichts mehr. „Feigling!“, schimpft Frau Dr. Bohne. „Er kann doch sagen, was er will, und dann soll er halt mit Kritik klarkommen!“ Meinungsfreiheit bedeute eben nicht Kritikfreiheit! „Sehe ich auch so“, stimme ich ihr zu. „Aber die Art, wie er mit moralischer Empörung überzogen wird, finde ich auch kritikwürdig.“ Wir sind uns jedenfalls einig: Gottschalk soll leise heulen.

Verquere TikTok-Welt

Ebenso zum Weinen: die Lüge des Musikers Gil Ofarim, die er diese Woche vor Gericht einräumte. Im Oktober 2021 hatte er in einem Video behauptet, er sei in einem Hotel in Leipzig antisemitisch beleidigt worden. Ein Hotelmitarbeiter habe ihn aufgefordert, seinen Davidstern, den er angeblich an einer Kette trug, zu entfernen. „Er hat den Mann fertig gemacht, und jetzt werden es Menschen, die von Diskriminierung berichten, es erst recht schwer haben“, sagt Frau Dr. Bohne.

Apropos bescheuerte Videos: Auf Tiktok entdeckten in dieser Woche überwiegend junge Menschen aus dem linken Spektrum den Koran und den Islam für sich. „Und?“, sagt Frau Dr. Bohne. „Nichts und“, antworte ich. „Aber die naive Art, wie sie es tun, kurz nach dem Abfeiern von Osama Bin Laden, ebenfalls bei Tiktok, ist schon bedenklich.“ Und dann machte auch noch ein Tiktok-Video des AfD-Politikers Maximilian Krah die Runde, in dem er sagt: „Präsident Erdoğan ist nicht dein Feind.“ Der Präsident sei halt stark, im Gegensatz zu „schwachen deutschen Politikern“. Krah ist der Typ, der kürzlich behauptete, die Eroberung Afghanistans durch die Taliban sei die „einzig richtige Antwort“ auf Homosexualität. Vereint gegen Vernunft und Liberalismus entdecken Links und Rechts den Fundamentalismus. Frau Dr. Bohne und ich schluchzen.

Als wir gehört haben, dass Henry Kissinger im Alter von hundert Jahren gestorben ist, haben wir auch geweint. Um ihn, gewiss. Aber auch um die vielen Opfer seiner Politik, in Kambodscha, Osttimor, Chile, Argentinien, Bangladesch und anderswo.

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